Foto: RTLDerzeit boomen die Fernsehformate, in denen prominente oder halb-prominente Gesichter in Not geratenen Familien mit Rat und Tat beim Aufmöbeln ihres Alltags helfen. Die "Super-Nanny" setzt Eltern auf die Spur, Schuldenberater Zwegat hilft bei der privaten Insolvenz, Vera und Verona zeigen Herz oder Einsatz und mobilisieren die Nachbarschaft zwecks Hilfe. Ab Herbst schickt RTL mit "Susan - Familienhilfe mit Herz" eine solche Sendung gar täglich auf den Schirm. Es wird wohl nicht die letzte Erweiterung des Genres bleiben. Entsprechend groß ist der Bedarf der Sender an Bedürftigen. Davon gibt es zwar genug, doch das persönliche Schicksal der jeweiligen Familien muss auch fernsehgerecht zu bewältigen sein.

Die Macher der Programme haben klare Ziele, die sie mit der Positionierung der Help-Shows verfolgen: Die Quote muss stimmen. Die Protagonisten der Sendung hingegen stehen in der Regel zum ersten Mal vor der Kamera und kennen das Gewerbe nicht. Die geweckten Hoffnungen sind groß. Das kann zu Problemen führen. So hat man bei der Produktionsfirma Blue Eyes in München noch immer mit den Folgen einer Ausgabe der inzwischen eingestellten RTL II-Sendung „Glückwunsch - Vera macht Träume wahr“ zu kämpfen, die im vergangenen Jahr ausgestrahlt wurde.

Blue Eyes hatte sich mit Familie Q. einen besonders schweren Fall für die Sendung vorgenommen: Frau Q. lebt mit ihren vier Kindern und der Mutter unter einem Dach. Eine Räumungsklage stand ins Haus. Drogen und häusliche Gewalt bestimmten den Alltag. Für die beteiligten Ämter und Hilfseinrichtungen sei völlig klar gewesen, dass nur ein Wohnortwechsel der Familie den Start in eine neues Leben hätte ermöglichen können, wie Blue Eyes gegenüber DWDL.de versichert.
 


Das setzte man in der Sendung in die Tat um und siedelte die Familie aus dem Ruhrgebiet in eine ostwestfälische Kleinstadt um. Insbesondere vor dem Hintergrund der Zwangsräumung und der Bedrohung durch gewalttätige Ex-Freunde habe die Familie dem Umzug im Vorfeld positiv gegenüber gestanden, heißt es seitens Blue Eyes. Nun aber sieht sich die Familie vor dem wirtschaftlichen und gesundheitlichen Ruin: Der Kontakt zu vertrauten Ärzten, auf die sie angewiesen seien sei abgebrochen, beim Umzug seien wertvolle Dinge abhanden gekommen, beklagt die Familie nun gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de. So habe man den Umzug nicht gewollt. Ihren Zorn richtet die Familie, die sich im Stich gelassen fühlt, nun auf die Produktionsfirma und Moderatorin Vera Int-Veen. Die Produktion verweist darauf, die Familie habe sich nicht wie vereinbart aktiv um die weiteren Schritte gekümmert und habe weitergehende Hilfsangebote nicht angenommen.

Der Familie gehe es inzwischen, mehr als ein Jahr nach der Sendung eher schlechter als besser beklagt Frau Q. Das sieht man bei Blue Eyes indes anders. Die Sozialprognose habe einen kompletten Wohnortwechsel nahe gelegt, heißt es in einem Statement von Blue Eyes. Bei allen relevanten Schritten habe man Hilfseinrichtungen wie die Caritas oder den psychologischen Dienst involviert, in Vorgesprächen sei mit der Familie über einen Wechsel in eine andere Stadt gesprochen worden. Nun sieht diese in der neuen Heimat die Ursache vieler Probleme. Es scheint ein Vermittlungsproblem zu geben, zwischen dem, was eine Fernsehproduktion für ein großes Publikum leisten will und kann und der Hilfe, die die Leidgegeprüften, die öffentlich ein neues Leben verpasst bekommen, wirklich brauchen und die über eine Bekämpfung von Symptomen hinausgeht.

„Noch einmal würden wir einen derart komplizierten Fall nicht in einer Sendung behandeln“, weiß Ingo Büsing, Redaktionsleiter bei Blue Eyes heute. Dabei erschien die Geschichte von Familie Q. zunächst wie gemacht für eine Help-Show. "Fernsehen ist ein Zeigemedium", sagt Büsing. "Die Lebenssituation der Familie war so desolat, dass es - egal, was wir gemacht hätten - nur besser werden konnte." Fernsehen zeigt äußerlich sichtbare Aktionen. Wie die Menschen mit ihrer neuen äußeren Lebenssituation und den gleichen inneren Problemen weiterleben, das zeigt das Fernsehen nicht. Fall erledigt für die Produktion. Für die Protagonisten wohl noch lange nicht.

Das Ansinnen einer Sendung wie „Glückwunsch“ sei nicht, die Protagonisten langfristig an die Hand zu nehmen, sondern ihnen einen Neustart zu ermöglichen. „Wir haben der Familie nicht den Fisch zubereitet, sondern ihnen das Angeln beigebracht“, sagt Saskia Sell, bei Blue Eyes zuständig für Business und Legal Affairs. So habe es vielfältige Hilfestellungen und zahlreiche weitere mobilisierte Helfer gegeben, wie in der Sendung dokumentiert wird.

Der Zeigeeffekt, die Aktion und das emotional aufgeladene Vorher-Nachher-Bild, das die Sendung liefern soll, ist wohl für die Betroffenen eher nebensächlich. Die Talk- und Help-Show-routinierte Vera Int-Veen musste diese Erfahrung auch bei einer weiteren Familie machen, der in der von time 2 talk produzierten RTL-Sendung „Helfer mit Herz“ ein Neustart ermöglicht werden sollte. Auch dort beschwerte sich eine Protagonistin anschließend über die Gönner mit der Kamera. Versprochene Leistungen wie Reitstunden habe man nie erhalten, im Kleingartenverein, in dem die Familie seit der Sendung eingemietet war, sei man nicht länger erwünscht, der geschenkte Wagen sei kaputt, und in der Wohnung, in die man sie während der Sendung übersiedelte, wohne sie auch nicht mehr, beklagte die Familie im Frühjahr in der Lokalpresse.
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