
Gegen 7:00 am Samstag Morgen verlässt ein Kardiologe aus Westfalen mit jubelnd in die Höhe gereckten Fäusten das Hotel Interconti in Berlin. Er ist der definitiv letzte Gast des Bundespresseballs 2007 und hat sowohl seiner Frau, als auch dem Autor dieses Augenzeugenberichts den Vortritt gelassen, um das Alleinstellungsmerkmal, „letzter Ballgast“ für sich reklamieren zu können. Und nur hier wird er Erwähnung finden, denn die meisten Artikel über das Ballereignis sind zu diesem Zeitpunkt längst schon geschrieben. Es sind verhalten-resümierende Artikel, die den Lesern in erster Linie das Gefühl geben, nichts verpasst zu haben, wenn sie nicht zu den ca. 2500 Gästen gehört haben sollten.
Der Tagesspiegel etwa titelt „Drei Damen mit Thrill“ und berichtet in einem Vierspalter kreuzbrav über die drei Music-Acts des Abends: Annett Louisan, Inga Rumpf und Jocelyn B. Smith. Die Berliner Zeitung traut sich mehr und gibt Klaus Wowereit und seiner Bemerkung Titelrang, er würde am liebsten erst um zwei Uhr in der Frühe auf den Ball gehen, und wörtlich: „Dann wären keine Journalisten da“, was die Frage aufwirft, wem der Regierende Bürgermeister von Berlin auf dem Bundespresseball eigentlich glaubt begegnen zu können, wenn nicht Journalisten – womit wir wieder bei dem Kardiologen aus Westfalen wären, dem Gewinner des „Wer-war-der-Letzte-Contest“.
Zunächst gehört es sich allerdings, die Szenerie der Ballörtlichkeit auf sich wirken zu lassen. Wie gesagt, das Ganze spielt im Berliner Traditionshotel Interconti, neben dem Zoologischen Garten, wo schon Condi Rice und andere Staatsgäste genächtigt haben. Das gesamte Foyer jedenfalls (mehrere tausend Quadratmeter) sind am Abend zur Ballarena umdekoriert. Es gibt die erlesensten Spezereien und Getränke, Buffets, Bars und sogar eine ausgewachsene Wellness-Oase, mit Massagesesseln und chill-out Musik.
Als Zentrum des Abends haben die Veranstalter, also die Bundespressekonferenz, genauer die Bundespresseball GmbH, den „Saal Potsdam“ bestimmt. Dort sitzen auf 864 mit weißen Hussen überzogenen Stühlen verteilt an 72 Tischen die wichtigsten Ballgäste. Und dort hat sich spätestens um 19:30 auch Klaus Wowereit niedergelassen, denn genau zu diesem Zeitpunkt schreitet Bundespräsident Horst Köhler zum Eröffnungswalzer auf die blank gebohnerte Tanzfläche, von der Wirtschaftsminister Michael Glos später sagen wird, sie sei wie immer zu klein. (Man wagt sich gar nicht auszudenken, was Glos wohl auf einer ausreichend dimensionierten Tanzfläche mit Gattin Ilse aufgeführt haben würde!?)
Übrigens sind nicht nur die Stuhlhussen in weiß gehalten, praktisch der gesamte „Saal Potsdam“ ist mit weißem Teppichboden und Stoffen in eine unwirkliche Winteratmosphäre getaucht, die eher an Sibirien im Februar, als an Berlin im Ballrausch denken lässt. Alles natürlich rücksichtslos edel und hochwertig. Zu dem Sibiriengefühl trägt auch die Tischdekoration bei: Einzelne kahle Zweige, die aus einer Art Moos- und Flechtenbett in der Tischmitte ragen und an depressive Landschaftsbilder von Caspar David Friedrich erinnern.
Die kahlen Bäumchen – so muss man befürchten – werden bald schon Esszimmertische in bürgerlichen Journalistenhaushalten in Charlottenburg/Wilmersdorf schmücken.
Eigentlich wäre in dieser Ball-Taiga auch noch Platz für Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier gewesen, die hatten allerdings das getan, was Wowereit vorgeblich auch gern würde: Sie blieben der Veranstaltung fern. Die Kanzlerin inzwischen so notorisch (sie war noch nie dort!), dass die Veranstalter das persönlich nehmen. Überhaupt wird die Frage, wer fehlt, mindestens ebenso aufgeregt diskutiert, wie die, wer gekommen ist. Und so darf man darüber Rätseln, warum weder die Medien-Traumpaare Illner/Obermann und Will/Meckel da sind, noch Frank Plasberg, von dem behauptet wird, er werde als Nachfolger von Stefan Aust als "Spiegel"-Chefredakteur gehandelt. (Dem Vernehmen nach hat Plasberg allerdings nicht mal vor dem Gerücht in Erwägung gezogen, den Ball zu besuchen) Vielleicht – und das wäre unter Kollegen nun wirklich gemein – wollten Illner und Will ganz bewusst genau die Schlagzeilen vermeiden, die sich die versammelte Pressewelt gewünscht hätte. Dadurch ermöglichten sie und die anderen Ball-Schwänzer aber Spiegel-Online die Titelzeile: „Der Ball der Absagen“.
Die Enttäuschung, die sich darin ausdrückt, ist insofern interessant, weil ja gerade die schreibenden Kollegen wissen müssten, dass bei einem Fest für die eigene Zunft eine Menge wichtige Menschen zusammen kommen, deren Medienmacht groß, deren äußerliche Bekanntheit aber gering ist. So könnte jeder Besucher mit etwas Branchenkenntnis verfolgt haben, wie der Betreiber eines neuen kleinen Spartensenders Politiker umschlich, mal zum einen und dann wieder zum anderen ging, und daraus seine Schlüsse gezogen haben. Aber diese Art Ballgeschehen wäre sehr kompliziert zu beschreiben und wird deshalb ungeschrieben bleiben. Stattdessen beklagt man das Fehlen bekannter Fernsehgesichter und sinniert – wie alljährlich - über die nutzlose Frage, ob der Bundespresseball an Bedeutung verliert.
Auch interessant, wäre das Gespräch mit einem Ballgast mit schwäbischer Dialekteinfärbung gewesen, der sich als Event-Manager und PR-Berater vorstellte und die diskutierenswerte Frage aufwarf, für wen der pompöse Ball eigentlich gedacht sei. Als feierliches Branchentreffen könnte das ganze schließlich auch eine Nummer kleiner und preiswerter sein.
Wenn man weiter mit ihm gesprochen hätte und selbst auf das Thema gekommen wäre, dass PR-Leute den Unterschied zwischen PR und Journalismus nicht kennten, hätte man jedenfalls ganz schön in die Falle laufen können. Die Auffassung des schwäbischen PR-Manns: Journalist sei schließlich kein geschützter Titel und wenn wir Journalisten fänden, PR sei was ganz anderes als Journalismus, dann müssten sie, die Journalisten, den Unterschied glasklar deutlich machen und nicht darauf warten, dass die PR-Leute das tun. Die nämlich hätten daran überhaupt kein Interesse. Dann klappt er seine Eintrittskarte auf und zeigt die Seite mit den Sponsoren des Abends und fragt spöttisch: „Das ist die Eintrittskarte zum Bundespresseball und jetzt machen sie mir mal klar, warum das nicht die Einladung zum Bundes-PR-Ball ist?“ Bingo! Nach diesem Gespräch hätte man auch verstanden, was zum Beispiel Klaus Wowereit hier erwartet haben könnte: Eine PR-Veranstaltung der Bundespressekonferenz für Politiker vielleicht?
Ach so, der Kardiologe aus Westfalen, als Ballgast, wie schon gesagt der Letzte seiner Art, ist übrigens ein ganz feiner Mensch und leidenschaftlicher Raucher, genau wie seine reizende Gattin. Und sollte den Autor dieses Augenzeugenberichts, der ebenfalls stark raucht, jemals der Schlag treffen, würde er sich ohne weiteres in seine Hände begeben, was er sich bei vielen seiner Kollegen nicht mal bei bester Gesundheit getrauen würde. Er freut sich aber schon jetzt darauf, sie beim nächsten Bundespresseball in Smoking und Kummerbund wieder zu sehen.