Grafik: RTL2Der Verdacht, die Redaktion steuere die Kandidaten mittels Regieanweisungen ist so alt wie die Sendung selbst. Pamela Müller, die mit ihrem Team täglich 44 Minuten Sendung abzuliefern hat, kann darüber nur lachen. „Wenn man jeden Tag aufs Neue in Spannungsbögen denkt, muss man nehmen, was man kriegen kann“, sagt sie. Da bleibe keine Zeit einem Kandidaten eine langfristige Geschichte auf den Leib zu schneidern, die er dann doch nicht einlöse.
 
Man könne die Kandidaten nicht wie Soap-Darsteller führen, erklärt Müller. „Man kann sie nur in Situationen bringen und abwarten, wie sie damit umgehen“, erklärt die Fernseh-Macherin, die auf das Verhalten ihrer Schützlinge auch keine Wetten eingeht. „Wetten werden bei uns nur über die Quote abgeschlossen“, sagt sie ernst.
 
Inszenierte Langeweile
 
Doch mit dem, was die Kandidaten letztlich machen, hat man als Redakteur der Sendung viele Gestaltungsmöglichkeiten. So lerne man sehr schnell, wie man eine Geschichte in „Big Brother“-Manier erzählt. Es sind die kleinen Momente, die entscheidend sind. So sei es zum Beispiel wichtig, den Blick eines Kandidaten im Anschluss an ein Statement im Schnitt nicht zu vergessen. Nicht selten kommentiere ein scheinheiliger Augenaufschlag eines Kandidaten nach einem Streit das Gesagte besser als jeder weitere Kommentar.
 
 
Auch Langeweile ließe sich mit richtigen Portion Humor und filmischem Geschick unterhaltsam in Szene setzen. Nur eines darf man nicht - und das betont Pamela Müller im Laufe des Tages immer wieder: „Keine Verfälschungen! Das bekommen unsere Redakteure vom ersten Moment und immer wieder eingeimpft“, sagt sie.
 
Im Schichtbetrieb nach Geschichten fischen
 
Viel Zeit, die Geschichte ganz anders zu konstruieren, als sie sich im Haus ereignet hat, bleibt wohl ohnehin nicht. Im Schichtbetrieb fischen 24 Redakteure in der Regie nach Geschichten, die sich zwischen oft stundenlang andauernden Banalitäten wie Wimpernzupfen, Abwasch oder Liegestützen ereignen. Wer als Redakteur Dienst hat, hat für die Einhaltung des Ablaufplanes ebenso geradezustehen wie für die rechtzeitige Anlieferung der Lebensmittel und ist bei Problemen Ansprechpartner für die Kandidaten - im Sprechzimmer und mit verzerrter Stimme versteht sich. Eine eigene Sprecherkabine ist ebenfalls in der Regie untergebracht.

Als wäre das noch nicht genug, muss der Redakteur auch noch Inhalte liefern. Zwischen all den Belanglosigkeiten und so manchem stumpfsinnigem Gerede, das ein Tag im „Big Brother“-Haus so mit sich bringen kann, hat der Redakteur immer die mehr als 60 Monitore, die sich über mehrere Quadratmeter an der Wand der Regiezone erstrecken im Blick, um ein „Item“ - so nennt das Team eine Ereignis im Haus, das als geschnittener Beitrag Bestandteil der abendlichen Tageszusammenfassung wird - oder werden könnte, zu entdecken.
 
Kommen und Gehen in der Regie

Hier ist Konzentration gefragt. Zwar beobachten 60 Kameras unentwegt das Geschehen im Haus - doch nur jeweils vier davon zeichnen die Bilder auch auf. Welche das sind, entscheidet ebenfalls der Redakteur und lässt die entsprechenden Bilder von der Regie auf den so genannten Stream geben. Einer davon geht schließlich auch bei Premiere als Live-Bild über den Sender.

Die Bilder auf dem Stream sind der Rohstoff, aus dem die Sendung ist. Mit ihnen zieht sich der Redakteur - ist das Ereignis vorbei und im Kasten - zurück. Ein Kollege übernimmt seinen Platz am Regiepult, während er selbst einen Rohschnitt des Materials anfertigt, um es im Redaktionssystem als Beitrag anzuliefern und sich danach wieder in die Regie auf die Jagd zu begeben.
 
Eindruck, es wäre so geschrieben worden
 
Der Ablaufredakteur übernimmt. Er wählt aus den eingereichten Einzelstücken aus, welches es in die Sendung schafft. Je nach Entwicklung im Haus sind es mal mehr, mal weniger, die hinten überfallen. Er komponiert aus den Einzelteilen eine komplette Folge der Sendung und erstellt den groben Ablauf, aus dem dann ab sechs Uhr morgens der Endschnitt gefertigt wird. Dabei werden die Elemente aneinander angepasst, Bauchbinden eingeblendet, Musik unterlegt und ein Off-Text eingesprochen, der manchmal besonders geschickt gelingt, wie Müller erklärt.

„Durch die Verbindung der einzelnen Teilstücke und den Off-Kommentar, mit dem wir die Elemente verbinden, entsteht manchmal der Eindruck, unsere Geschichten seien von Autoren geschrieben worden - dabei werden sie erst nachträglich aus den Ereignissen entwickelt. Das ist unser Job: Geschichten zu erzählen“, sagt Müller, die als Executive Producer alle Fäden in der Hand hält.
 
Pamela Müller lebt "Big Brother"
 
Das Geschehen hat sie stets im Blick. Von ihrem Büro aus schaut sie in den Garten des Hauses, das in ein Fernsehstudio in Köln-Ossendorf gebaut wurde. Auf ihrem Schreibtisch stehen sechs kleine Monitore, auf denen sie sieht, was gerade über den Sender geht, welcher Stream mitgeschnitten wird. Von ihrem Büro aus, kann sie so jede beliebige Kamera im Haus anwählen und ist per Mikrofon direkt mit der Regie verbunden.

Auch wenn der Aufwand bei „Big Brother“ enorm ist und immer wieder das Telefon schellt, weil es etwas abzunehmen oder zu klären gibt, nimmt Müller sich Zeit, um die Hintergründe zur Sendung zu erklären. Man merkt ihr an, dass ihr das Format viel bedeutet. So viel, dass sie an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr für die Sendung parat steht. Selbst zu Hause läuft bei Pamela Müller der Pay-TV-Livestream zur Sendung. Nur im Schlafzimmer nicht. Das sei auch ganz gut so, sagt sie. Müller ist seit der ersten Staffel dabei. Angefangen hat sie bei „Big Brother“ als Redakteurin. Davor hat sie Dokumentationen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gemacht.
 
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