Nicht oft überzeugen Keynotes bei Medienkongressen oder Messen. Kevin Reilly hat es jedoch geschafft. Der Entertainment-Chef des US-Networks FOX sprach am Dienstag in Cannes anlässlich einer Preview zur neuen Serie "Touch" - einer Produktion von und mit Kiefer Sutherland. Reillys Gedanken zu den beiden seiner Meinung nach wichtigsten Herausforderung moderner TV-Programmierung, Mut zu Kreativität und Social Media, waren erfrischend logische Schlussfolgerungen. Er ist beispielsweise ein großer Freund des Bauchgefühls, weil Marktforschung bei neuen Ideen und Formaten nicht funktioniere. Die Musicalserie "Glee" habe man vierfach testen lassen und jedes Mal negatives Feedback bekommen. Für Reilly ist das nicht verwunderlich: "Es macht keinen Sinn Menschen zu fragen, was sie wollen, weil die Menschen nicht wissen, was sie wollen. Niemand kann den Wunsch nach etwas Neuem genau artikulieren, weil man nicht vermisst, was es noch nie gab." Deswegen müsse es die verrückten Kreativen geben. Die, die kompromisslos an ihre Idee glauben.

Diese Dimension des Fernsehgeschäfts passe natürlich nicht immer zu der geschäftlichen Seite. Da gebe es mitunter verschiedene Antworten auf die Frage, was gutes Fernsehen sei. Trotzdem müsse man eine Umgebung schaffen, in der Kreativität frei entstehen kann. Was logisch klingt, ist laut Reilly immer schwerer, weil die Kreativen längst versuchen, die Sorgen und Gedanken der Networks zu berücksichtigen. Doch genau das helfe nicht. Heraus kommt dann trotz aller Ambitionen und dem guten Willen zu neuen Ideen nur konventionelles Fernsehen. Das sei nicht die Lösung. Oft werde die Ideenfindung auch falsch angegangen. Geplante Kreativität habe noch nie funktioniert, weil die wirklich neuen Ideen nicht aus Anstrengung, sondern aus Langeweile entstünden. "Der Mensch ändert etwas, wenn er sich langweilt", so Reilly am Dienstag in Cannes. Die Mischung aus Langeweile und Tatendrang sei der beste Nährboden. Da kämen spektakuläre Ideen wie die "Sopranos" oder "Glee" zustande. Beides Serien, an deren Entstehung er beteiligt war.



Wer so eine einmalige Idee hat, muss damit dann jedoch sorgsamer umgehen als die Autoindustrie, mahnt Reilly mit einem kuriosen Vergleich. Dort gebe es regelmäßig zwar sehr spektakuläre Konzeptautos, von denen jedoch am Ende wenig übrig bleibt, wenn denn mal eins davon am Markt eingeführt wird. Gerade im Markt der US-Fiction bedeutet das: Die Sender müssen genau darauf achten, dass die Serie ihrer Idee auch nach der Pilotfolge treu bleibt und sich nicht maßgeblich verändert. Da dürfe weder der Sender der Versuchung der übereifrigen Einflussnahme erliegen, noch den Produzenten die eigene Produktion zu Kopfe steigen. Dann könne es klappen, sagt der Mann, der in den 90er Jahren auch für den Start von "ER" und "Law & Order" verantwortlich war. "Viele Erfolge sind das Ergebnis glücklicher Unfälle", sagt Reilly und gibt dem Fachpublikum zu bedenken: "Es scheitern mehr Serien daran, zu gewöhnlich zu sein als zu mutig. Das Publikum ist anspruchsvoll. Das sollte unsere Herausforderung sein, nicht deren Problem."

Mut bedeute in den letzten Jahren auch, sich den Herausforderungen des Internets zu stellen und das meine mehr als die Frage nach interaktivem Fernsehen zu beantworten. "TV-Zuschauer wollen involviert werden, nicht beschäftigt", so sein Credo. Mit anderen Worten: Interaktivität muss Sinn machen und fängt schon außerhalb des eigenen Programms an, etwa bei Facebook und Twitter. "Wir müssen die Zuschauer multidimensional erreichen. Wir müssen den Zuschauer für uns gewinnen bevor er uns eingeschaltet hat", sagt Reilly in Cannes. In dieser Saison hat man die komplette Pilotsendung von "New Girl" vor dem TV-Start kostenlos im Internet und via iTunes angeboten, dabei zwei Millionen Zuschauer erreicht und die TV-Quote nicht beeinträchtigt. Als Fan von Facebook und Twitter steht er bei der neuen Serie "Touch" nicht alleine da. Auch Hauptdarsteller und Executive Producer Kiefer Sutherland ist vom Nutzen überzeugt. So werde die neue Serie, die Ende März oder Anfang April nächsten Jahres bei FOX startet, zeitnah auch in möglichst vielen weiteren Märkten starten.

"So können wir alle Vorteile von Social Media nutzen, weil alle Fans auf dem gleichen Stand sind. Das gibt uns ein unglaublich spannendes Feedback-Potential", erklärt Sutherland. "Im Internet denken die User nicht mehr so national wie es TV-Sender noch tun." Die neue Serie erzählt die Geschichte von Martin Bohm (Kiefer Sutherland), einem alleinerziehenden und verwitwerten Vater, der keinen Zugang findet zu seinem elfjährigen autistischen Sohn Jake, der kein Wort spricht. In seiner Ratlosigkeit entdeckt sein Vater eine besondere Gabe bei ihm: Er sieht Zusammenhänge zwischen vermeintlich nicht zusammenhängenden Personen oder Ereignisse. Jake kommuniziert nicht in Wörtern, aber in Zahlen. Zusammen mit einem Professor für begabte Kinder versucht der Vater herauszufinden, was Jacks Hinweise für die Menschen bedeuten, die sie betreffen. Für Sutherland bedeutet die Serie eine überraschend frühe Rückkehr ins Fernsehen mit einer Rolle, die sehr emotional ausgelegt ist - und damit ganz anders als die des Jack Bauer in "24". Das wird ein Wagnis. Aber mit einem Entertainment-Chef, der erklärtermaßen lieber etwas riskiert als auf Nummer sicher zu gehen, hat die Serie Rückendeckung.