Die EBU selbst lässt sich dagegen weiterhin nur wenig zur politischen Situation in Aserbaidschan entlocken. Doch auch die Entscheidung, nichts zu sagen, ist ein Statement - eines, das den Herrschern in Aserbaidschan womöglich sehr gelegen kommt. In einem BBC-Interview gab EBU-Generaldirektorin Ingrid Deltenre nun allerdings zu, dass der Auftritt des Präsidenten-Schwiegersohns beim Eurovision Song Contest anrüchig sei und die Regierung Aserbaidschans die Verantstaltung zu politisieren versuche, wie Stefan Niggemeier in seinem Blog schreibt. Der Medienjournalist, der derzeit aus Baku berichtet, hatte sich in den vergangenen Wochen mehrfach kritisch mit Aserbaidschan auseinandergesetzt.

Und auch an anderen Stellen waren immer wieder kritische Stimmen zu hören. So sorgte etwa die Redaktion des Politmagazins "Kontraste" mit einem kritischen Kurzbericht über das Gastgeberland für Aufsehen, der unmittelbar im Anschluss an das Finale des deutschen Vorentscheids "Unser Song für Baku" zu sehen war. All das rief nun wiederum die Aserbaidschanische Botschaft auf den Plan, die die Rolle der deutschen Medien kritisierte. "Wir hätten nicht gedacht, dass eine freie Presse so einseitig berichten würde. Wir haben stets Fairness, Objektivität und wahrhaftige Berichterstattung erwartet", hieß es in einer am Mittwoch verbreiteten Mitteilung. Zugleich verwies man auf den angeblichen Prozess der demokratischen Entwicklung.

"Blickt man bis zur Unabhängigkeit Aserbaidschans vor erst zwanzig Jahren zurück, wird deutlich, dass bereits eine große Entwicklung stattgefunden hat." Man hoffe nun, durch den Eurovision Song Contest den Europäern "unsere Gastfreundschaft und die Kultur unserer säkularen und toleranten Gesellschaft näher zu bringen. Wir laden alle kritischen Politiker und Journalisten ein, sich ein ehrliches Bild von Aserbaidschan und der Entwicklung des Landes zu verschaffen." Man darf also gespannt sein, wie der Grand Prix am Samstag über die Bühne gehen wird. Viel spannender ist allerdings die Frage, ob sich die EBU dazu durchringen wird, nicht-demokratischen EBU-Mitgliedstaaten in Zukunft die Teilnahme am ESC zu untersagen.

Anlass zur Dkussion gibt es jedenfalls zur Genüge, denn neben Aserbaidschan nahm in diesem Jahr auch Weißrussland wieder am Song Contest teil, schied aber bereits im Halbfinale aus. Man müsse derartige Fragen jedoch diskutieren, sagte der ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber kürzlich in einem dpa-Interview. "Aber man könnte ja auch zu der Auffassung kommen, dass es sinnvoll ist, wenn der ESC in einem Land stattfindet, das nicht unseren Vorstellungen von Demokratie entspricht, weil der ESC dann für viele Sichtweisen ein Forum bietet – eben auch für die Opposition, die sonst nicht so große Aufmerksamkeit findet."

So verhält es sich auch im Falle Aserbaidschans: Zwar wird der Eurovision Song Contest von Seiten der Regierung für politische Zwecke benutzt, doch die Show bietet zugleich die große Chance, durch eine intensive Berichterstattung der Medien die Aufmerksamkeit Europas auf die im Land vorherrschenden Missstände zu lenken - sofern zwischen Käseigel und Partystimmung tatsächlich Platz dafür sein wird. Doch sämztliches Gerede über ein Für und Wider des Eurovision Song Contests bewirken am Ende ebenso wenig bis nichts wie das Anprangern von Missständen, wenn sämtliche Journalisten direkt nach dem Abspann abreisen und Aserbaidschan wieder völlig in Vergessenheit geraten sollte. Es wird auf die Nachhaltigkeit der Berichterstattung ankommen. Ansonsten werden bloß die tanzenden Omas in Erinnerung bleiben.