"Nu hammer die": Die neuen letzten Popstars

Foto: ProSiebenUnd Abschied wird mit großem Aufwand gefeiert. Knapp 900 Gäste werden in Studio 32 erwartet, um hautnah mitzuerleben, wie „Nu Pagadi“ entsteht. Aus fast 6.500 Bewerbern blieben nach diversen Castings, Workshops und dem Bandhaus sechs übrig, für die es gestern Abend um den Eintritt in die Band ging.

Nervöse Verwandtschaft

Abgetrennt von den Publikums-Massen wartet die eigens angereiste Verwandtschaft auf den Beginn der alles entscheidenden Finalshow. Die einen trinken entspannt ein Gläschen Prosecco – für das die geladenen Gäste hier übrigens 2,50 Euro berappen, andere plauschen mit Kandidaten, die schon jetzt der Vergangenheit angehören. Wieder andere führen noch hektisch letzte Handgriffe an mitgebrachten Bastelarbeiten aus. So auch die Mutter und Nachbarin von Kandidat Markus, dem Ur-Ur-Neffen der Gebrüder Grimm. Alle müssen noch schnell auf dem Transparent unterschreiben.

Und noch jemand denkt an Markus. Gegen halb acht trifft eine SMS bei ihm ein. Der Absender: Kai Pflaume. Die beiden kennen sich noch von "Star Search". Auch hie war Markus schon Kandidat. Der SAT.1 Moderator teilt mit, er sei sich sicher, dass Markus gewinne. Schließlich habe er immer fest an sich geglaubt. „Wenn Markus gewinnt raste ich aus“, ist sich die Mutter des Newcomers sicher. Das Transparent bekommt er nach seiner Heimkehr nach Moers geschenkt. Es wird bis dahin im griechischen Restaurant der Nachbarin aufbewahrt. „Das bekommt er, wenn er zurück ist und mal wieder Hunger auf Gyros mit Metaxa-Sauce hat“, freut sich die Wirtin.  Die Stimmung ist aufgekratzt. Auch Doreens Familie ist bereits jetzt guter Laune. „Wenn Doreen in die Band kommt, feiern wir mit Freude und Alkohol“ sagt Großcousine Doris. Die Familie steht hinter ihr, ist aber auch besorgt. „Sie soll es zu 100 Prozent schaffen. Das ist ja ihr sehnlichster Wunsch. Aber dann geht es ja auch so weiter. Das sind ja schon ganz schöne Strapazen“.

Seit fast zwei Monaten haben manche Kandidaten ihre Familie nicht gesehen. Die Eltern von Katharina sind da entspannter. Ihre Tochter hat es bereits hinter sich. Sie ist schon vor einigen Wochen aus der Sendung geflogen. „Das war eine wichtige Erfahrung. Man sieht mal wie sowas läuft“ sagen sie im Nachhinein. An Katharinas Berufswunsch hat sich nichts geändert. Die Siebzehnjährige will weiterhin Sängerin werden. Ein paar Engagements bei regionalen Veranstaltungen hat sie wohl schon.

Hektik vor der Liveshow

Derweil läuft im Studio der Countdown. Eine Stunde vor Beginn der Livesendung wird die Bühne noch einmal per Wischmop auf Hochglanz gebracht. Jubelnde Teenager postieren sich vor der Deko. Noch zehn Minuten bis zur Show. Während der geneigte ProSieben-Zuschauer zu Hause die neue Newstime genießt, fängt im Studio das Warmup an. Man ist spät dran. Wegen technischer Probleme im Vorfeld verzögert sich der ganze Ablauf. Nur der Sendestart, der bleibt.

Kurzes Warmup von Christian Oberfuchshuber. Nur das Nötigste wird erklärt. Noch fünf Minuten. Der Ton wird rauher, die Bewegungen hektischer. Der Regisseur schaltet sich ein: Zu wenig Menschen vor der Bühnen-Mitte. „Bitte gehen Sie noch da rüber.“ Ein paar Leute versperren mit ihren Transparenten die Bahn des Kamerakrans. Hektik, kleinere Streitereien des Publikumservice mit einzelnen Gästen, die partout ihre Plätze nicht tauschen wollen.

Das Moderatoren-Duo stimmt derweil den Rest der Gäste auf den Abend ein und erklärt die Nöte der großen Unterhaltungssender „Wenn wir die Telefonnumer für’s Voting so oft sagen, halten Sie uns bitte nicht für Vollidioten. Aber wir müssen Geld verdienen. Bei ProSieben läufts ja zur Zeit nicht so.“

Es geht doch – außer im Mittelblock

Und schließlich läuft es doch. Pünktlich geht die Sendung an den Start. Keine Spur mehr von Hektik. Professionell spult das Team der Produktionsfirma Tresor-TV das Programm ab. Die Moderatoren lassen die letzten Zweifel verblassen und treten den Beweis an, dass das Duo Schöneberger/Pocher die ideale Beseztung für eine Casting-Show ist. Hunzikers „Ich bin so aufgerrregt“ würde hier ebenso fehl am Platze wirken wie bierernste Überleitungen, die immer noch glauben machen wollen, Sendungen wie diese sind mehr als Unterhaltung. Da nimmt man gerne in Kauf, dass Oliver Pocher ab und an mal über die Stränge schlägt.

„Oliver Pocher kann sich das erlauben. Die Zuschauer erwarten das auch von ihm“ sagt ProSieben Pressesprecher Nico Wirtz im Anschluss der Show zu DWDL. Bei aller Härte, der Sender könne sich auf ihn verlassen. Der erste Werbeblock. Allgemein ist man zufrieden mit dem Studio-Publikum. Nur im Mittelblock läuft's noch nicht ganz so rund. Viele hätten in der Zuschauerredaktion angerufen, was denn da los sei. Christian Oberfuchshuber ist klar, was da los ist: „Ihr seid bestimmt die geladenen Gäste von ProSieben. Ihr sagt Euch 'Ich hab Abitur, ich mach nicht mit.'"

Doch weit gefehlt. Die geladenen Gäste waren entweder Familie, also voll dabei, oder haben sich im Block irgendwo unter dem Kamerakran und somit kaum sichtbar versteckt. Nicht nur die Werbepause ist wie immer ein Bruch, nein auch die funkige Pausen-Musik der Hausband „Tiger Corporation“ passt so gar nicht zu den eher rockigen Tönen der Sendung. Doch der Stimmung tut’s keinen Abbruch, so lange Christian auf einer Empore über der Bühne steht und den Applaus des Publikums dirigiert.

"Nu Pagadi" steht

Foto: ProSiebenDer Rest der Show verläuft ohne Pannen und wie vorgesehen. In Oliver Pocher scheint sich das Ideal des Traumberufs verwirklicht zu haben. Jede Gelegenheit wird genutzt, um sich in Szene zu setzen. Sei es im Plausch mit dem Publikum oder bei einer „Take me tonight“-Improvisation. Und dann, irgendwann weit nach 22 Uhr: Statt weißem Rauch steigt weißer Nebel auf im Studio 32. Wir haben die Band. Für Katrin und Richard heißt es nun: Wir müssen leider draußen bleiben. Nach der Show wendet sich Richard an das Publikum und bedankt sich bei allen „auch bei denen, die mich nicht mögen“. Für ihn ist klar: „Wir sind jetzt 20 Stufen weiter als vor der Show. Es hört hier nicht auf.“

Jury-Mitglied Lukas Hilbert wird die Entscheidung, die dieses Mal das Publikum ganz allein gefällt hat gegenüber DWDL später so kommentieren: „Ich bin froh, dass die rausgeflogen sind, die am besten damit klar kommen. Die beiden werden ihren Weg gehen.“ Und dann ist die Show zu Ende und eine neue beginnt: Nu Pagadi ist da. Wir sind gespannt. Denn die erste Feuerprobe steht bevor: Für die Band geht’s direkt nach Köln-Mülheim zu Stefan Raab. Das Publikum und die Familien warten vergeblich auf ein Foto, ein kurzes Gespräch oder nur ein Lächeln der Stars in Spe, denn die sind schon längst unterwegs. Für die Presse hingegen geht es ins Hotel Savoy. Für die gibt es ein Foto, ein kurzes Gespräch und ein Lächeln.

Was danach geschah

In der Kaminlounge der stilvollen Herberge in der Kölner Innenstadt hat ProSieben zum Gespäch geladen. Wir lassen Casting-Shows im Allgemeinen und die letzte Staffel „Popstars“ im Besonderen Revue passieren. „Nu Pagadi“ wirken gelöst. Gelöst und glücklich. Irgendwie ist der große Stress jetzt vorbei und der ganz große steht noch an. „Da kommt jetzt viel Arbeit auf uns zu“, weiß Bandmitglied Kris.

Doreen ist sichtlich angetan von der Situation, als Popstar umringt zu sein von der Presse und ein Interview nach dem anderen zu geben: „Das ist ein tolles Gefühl, eigentlich total müde zu sein, und immer noch Energie zu haben, den Job zu machen“. Nur eines nervt alle vier: Jetzt haben sie so hart gearbeitet und so viel ist passiert. Die Menschen, die sie lieben und sie nach langer Zeit mal wieder in den Arm nehmen wollen stehen nur wenige Meter entfernt. Doch sie selbst müssen den Journalisten Rede und Antwort stehen. Auch das ist der Job.

Abrechnung mit der Konkurrenz

DWDL-Bildershow
Bilder vom "Popstars"-Finale

Mit „Nu Pagadi“, da ist sich die Jury einig, hat man etwas gewagt. Alle vier sind echte Persönlichkeiten, die sich auf der Bühne mit manch anderem großen Star messen können. „Das sind nicht irgendwelche Puppen, denen wir unsere Songs überstülpen, die wir noch rumliegen haben“ bringt Juror Uwe-Fahrenkrog Petersen es auf den Punkt. Einen Hehl aus seiner Meinung zu den Konkurrenzformaten macht er nicht und wird noch deutlicher: „Alexander Klaws ist ein dummer Junge, der Deutschland blamiert hat.“

Mit „Nu Pagadi“, so ist er sicher, wäre das nicht passiert. Auch wenn die Zeit der Castingshows allmählich abzulaufen scheint, nicht zwangsläufig sind die Ergebnisse irgenwelche One-Hit-Wonder. Für Fahrenkrog-Petersen macht „Popstars“ nichts anderes als eine Plattenfirma, die neue Künstler sucht und aufbaut. Nur eben vor der Kamera. „Robbie Williams, Justin Timberlake, Usher: die derzeit größten Stars der Welt sind alle gecastet worden“ – also, warum nicht auch „Nu Pagadi“? Und „Popstars“ ist – da sind sich alle Beteiligten einig – näher dran und und damit ehrlicher.

Doch ob das Quartett tatsächlich ein Erfolg wird, ist damit noch nicht gesagt. Die Jury ist da zuversichtlich, schließlich habe man ein sehr glaubwürdiges Resultat mit großartigen Künstlern zu Stande gebracht, laufen lernen müssen die vier aber allein. „Wir können nur den ersten Schuss geben“ sagt Jury-Mitglied Sandy Möling. Sie muss es wissen. Schließlich ging sie als eine der „No Angels“ aus der ersten „Popstars“-Staffel hervor.

Ende der Casting-Shows?

Viel hat sich seitdem verändert. „Man muss es immer spannender machen und immer noch einen oben drauf setzen“, sagt Möling. Das Ende scheint vorerst erreicht. Denn ein Format, dessen großer Pluspunkt nach Aussagen von Jury und Sender die große Ehrlickeit ist, lässt sich nur schwer steigern. Lukas Hilbert, der mit seinem Jury-Kollegen Fahrenkrog-Petersen die neue Band auch produziert warnt vor weiteren Verschärfungen: „Man muss jetzt noch mehr auf Qualität setzen und weniger auf die Tränendrüse drücken. Man sollte im Psychodruck nicht die Steigerung suchen.“

Für ihn war es schon hart, dass die sechs letzten Kandidaten gemeinsam im Finale gegeneinander antreten mussten. Sein Fazit: „Popstars ist wie ein Krieg. Ein Krieg gegen den Druck.“ Doch jetzt wird erstmal Frieden geschlossen. Und während vor dem Hotel dann tatsächlich drei Fans ausharren, um noch einen Blick auf die frische Band zu ergattern, verlagert sich der Tross gegen halb drei Uhr morgens in die Kölner Haifischbar, wo die Aftershowparty steigt. Auch wenn es heißt, die Zeit für Casting-Show ist nun um: Die absolut letzte Staffel muss auch diese nicht gewesen sein. ProSieben-Sprecher Nico Wirtz will nicht nie sagen: „Schließlich gibt es immer wieder Nachwuchs, der auch singen will“. Wir sind gespannt.