Das Spiel beginnt in diesen Tagen. Es ist nicht so schlimm wie bei "The Game" oder "Chosen". Aber auf einige irritierende Überraschungen muss man sich doch gefasst machen. "Suddenlife Gaming" nennt Produzent Christian Beetz das Digital-Erlebnis der besonderen Art, das er dem WDR als Zusatzelement zur ursprünglich beauftragten Theaterübertragung verkauft hat. Wobei "Zusatzelement" untertrieben ist: Der aufwändige Countdown zu "Supernerds – Ein Überwachungsabend" hält das Crossmedia-Team der Gebrüder Beetz Filmproduktion gehörig auf Trab.

Am Abend des 28. Mai sollen Zuschauer des WDR Fernsehens und Besucher des Schauspiels Köln mehr erfahren über die Erkenntnisse von Edward Snowden, Julian Assange & Co. und über die Frage, wer heutzutage eigentlich wen bespitzelt. "Zu diesem Thema gibt es allerdings schon relativ viel Berichterstattung", so Beetz im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. "Viele Menschen fühlen sich davon überfordert, eine typische Reaktion ist dann etwa: 'Ich habe doch nichts zu verbergen!' Daher halte ich es für wichtig, dass wir nicht nur erklären, sondern dem Zuschauer eine emotionale Erfahrung vermitteln."

 

Genau das tun Beetz und seine Mannschaft, indem sie Teilnehmer, die sich mit ihren Daten auf www.supernerds.tv registrieren, bereits jetzt mit seltsamen, persönlich adressierten Botschaften in eine Narration hineinziehen. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität sollen bewusst schwer erkennbar sein, die Mitspieler sollen ein mulmiges Gefühl bekommen. "Wir bringen das Thema so an den Zuschauer heran, dass es ihm eigentlich zu nahe kommt. Dass er aus seiner Lethargie gerissen wird, dass er sich positionieren muss", sagt Beetz. Genauer mag er auf die Spielelemente nicht eingehen, da diese von der Überraschung leben. (Auch DWDL.de wird die Überraschung nicht zerstören, nur so viel: Der Autor dieser Zeilen erhielt etwa eine dringliche SMS von Internetaktivist Jacob Applebaum: "Please get back to me asap. thx. Jake")

Was auf den ersten Blick noch harmlos erscheint, kann schnell zum nachhaltigen Kopfkino werden: Was können "die" anhand der wenigen preisgegebenen Daten über mich herausgefunden haben? Werden sie diese Informationen veröffentlichen oder an Dritte weitergeben? Kann es für mich kompromittierend werden? Selbst die Schwägerin des Produzenten traut sich nach eigenem Bekunden nicht, an dem Spiel teilzunehmen. Dabei hat Beetz – im Zusammenspiel mit den eher pingeligen Juristen der öffentlich-rechtlichen Anstalt – auf manche Möglichkeiten von vornherein verzichtet, etwa aufs Bankkonto der Teilnehmer zuzugreifen und ihnen ungefragt einen Kontoauszug zuzusenden oder sie mit einem minutengenauen Protokoll ihres Supermarktbesuchs vom Vortag zu konfrontieren.

Für "Supernerds" arbeitet Beetz mit etlichen Hackern und Experten für Computersicherheit zusammen. "Ich dachte eigentlich, ich sei ganz gut informiert", bekennt der renommierte Doku-Macher. "Aber in der Vorbereitung war ich dann doch erstaunt, wie einfach es ist, auf fremde Daten oder Konten zuzugreifen. Über unsere jüngeren Angestellten, die immer ihre Laptop-Kamera abkleben, mache ich mich jetzt nicht mehr lustig – sondern tue es selbst. Und ich achte auch mehr darauf, was ich in E-Mails schreibe und was nicht."

Für ängstlichere Zeitgenossen, die sich auf das "Suddenlife Gaming" nicht einlassen möchten, hat die Produktionsfirma eine so genannte "Abhör-Hotline" eingerichtet. Wer die Kölner Festnetznummer 0221-64308505 anruft, kann dort u.a. Gespräche anderer Leute belauschen und Teil eines Spiels werden, das statt zwei Wochen nur wenige Stunden dauert. Zum Schluss erfolgt ein vorproduzierter Anruf der Kölner Theaterregisseurin Angela Richter, die für die Schauspielversion von "Supernerds" verantwortlich zeichnet und die fiktive Abhöraktion aufklärt. Natürlich darf auch die schriftliche Bestätigung nicht fehlen, dass alle Teilnehmerdaten wieder gelöscht wurden.

Den interessierten Konsumenten nicht mehr nur zu berieseln, sondern crossmedial zu involvieren – das ist auch über "Supernerds" hinaus Beetz' Credo für modernen Journalismus. "Der konsequente Einsatz crossmedialer Module verändert den Journalismus umfassend und kann ihn enorm bereichern", ist Beetz überzeugt. "Was nicht mehr funktioniert, ist autoritäres Erzählen von oben herab."

"Supernerds – Ein Überwachungsabend" läuft am 28. Mai live ab 20.15 Uhr im WDR Fernsehen, gefolgt von Beetz' Hintergrund-Doku "Digitale Dissidenten" um 22.15 Uhr. Für das "Suddenlife Gaming", das bereits im Gange ist, kann man sich unter www.supernerds.tv anmelden.