Dunja Hayali© ZDF/Manuel Krug
"Seitdem die Flüchtlingszahlen gestiegen sind, ist das Ausmaß an Beleidigungen und Unterstellungen gestiegen, zudem verrohen Sprache und Anstand zunehmend." Dunja Hayali stellt fest, dass der Ton gegenüber Journalisten zunehmend von Hass geprägt ist. Die ZDF-Moderatorin ist nicht die einzige, der es so geht, aber eine, die es wissen muss, denn seit sie in der Flüchtlingsdebatte klar Position bezogen hat, sieht sie sich regelmäßig wüsten Beschimpfungen ausgesetzt. Über die Gründe dafür kann auch sie nur spekulieren. "Vielleicht liegt es daran, dass die Diskussion um Flüchtlinge meist höchst emotional geführt wird. Sehr ideologisch, ohne Differenzierung. Man ist entweder gut oder böse, Gutmensch oder Nazi, links oder rechts, Freund oder Feind. Und bei denen, die sich in Wahrheiten, Fakten oder Meinungen nicht wiederfinden, beziehungsweise, die sich ihre Meinung nicht bestätigt sehen, holen dann die verbale Keule raus."

Und diese verbale Keule hat es in sich. Als sie im Sommer einige Wochen lang als Vertreterin von Polittalkerin Maybrit Illner den "Donnerstalk" im ZDF moderierte, gab sie einen schonungslosen und zugleich beklemmenden Einblick in die hasserfüllten Kommentare, die sie Tag für Tag erreichen. Ähnliche Erfahrungen macht seit einigen Wochen auch Constantin Schreiber, seit der n-tv-Journalist im Netz das viel beachtete Format "Marhaba - Ankommen in Deutschland" präsentiert. Auf rund eine Million Abrufe kamen die kurzen Clips, in denen er Flüchtlingen auf Arabisch erklärt, wie das Leben in Deutschland funktioniert. "Bei uns sind bisher etwa 5.000 Zuschriften eingegangen, davon die Hälfte von Deutschen, und davon zumeist wüste Beschimpfungen bis hin zu Drohungen", erzählt er. "Ich knall dich ab, du linke Sau" ist nur eine von zahlreichen erschütternden Botschaften, die ihn erreichen.

Constantin Schreiber© n-tv
Der Hass nimmt zu, spürt Schreiber: "Eine Bekannte war durch Zufall dahinter gekommen, wer hinter einigen rechten Parolen auf ihrer Facebook-Seite stand. Und das war kein durchgeknallter arbeitsloser Irrer aus Sachsen, sondern jemand aus ihrem Arbeitsumfeld, von dem sie das nie gedacht hätte", erzählt er und stellt eine besorgniserregende Entwicklung fest: "Ich fürchte, die Skepsis und Ablehnung gegenüber der Politik und den Medien ist in Teilen der sogenannten Mitte unserer Gesellschaft angekommen und das ist eine große Gefahr. Wenn eine wachsende Zahl von Menschen nicht mehr an die Objektivität unserer Berichterstattung glaubt - sondern denkt, Politik und Medien stecken sozusagen unter einer Decke -, dann spielt das denjenigen in die Hände, die Medien als Sprachrohr extremer Parolen nutzen. Ich merke, dass es bei einigen Menschen keinerlei Hemmschwelle mehr gibt, die übelsten Beschimpfungen oder sogar Bedrohungen abzuladen."

Wie niedrig sich die Hemmschwelle inzwischen mancherorts befindet, zeigen vereinzelte Angriffe auf Journalisten. Erst vor wenigen Wochen haben sich der MDR, der Verband Sächsischer Zeitungsverleger und die DJV-Landesverbände in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammengeschlossen, um nach dem Angriff auf einen Fotografen des MDR und einen Mitarbeiter der "Dresdner Neuen Nachrichten" gegen die "Ausweitung der Hetze und Gewalt gegen Medien" zu protestieren. "Was folgt nach einzelnen Tritten und Schlägen gegen Medienvertreter?", fragten sie besorgt - eine Antwort darauf konnte ihnen freilich niemand geben. Vor den negativen Reaktionen fürchtete sich auch Isabella Müller-Reinhardt, nachdem die Sportjournalistin plante, gemeinsam mit einer aus Syrien stammenden Freundin einen YouTube-Kanal auf die Beine zu stellen, um zweisprachig über Alltägliches wie Pfandflaschen und Leitungswasser aufzuklären. Gestartet haben sie ihr privates Projekt nun doch - und dabei alle Zweifel beiseite geschoben. "Ich lasse mich von den Hohlköpfen nicht beeindrucken und bremsen", sagt Müller-Reinhardt, die vorsorglich jedoch die Kommentar-Funktion unter ihren Videos abgeschaltet hat.

"Was wir da erleben, ist die Verlängerung des Stammtisches in die digitale Welt."
Frank Überall, DJV-Bundesvorsitzender

Ganz neu ist ist Kritik an Journalisten selbstverständlich nicht. Es ist vielmehr das Ausmaß, das aufhorchen lässt. "Negative Zuschriften gab es schon immer", sagt Frank Überall, frisch gewählter Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de. "Ich kann mich noch gut an handgeschriebene Briefe in Sütterlin erinnern, in denen offensichtlich ältere Menschen mal differenziert, mal hemmungslos frech ihre Kritik formuliert haben." Die sozialen Netzwerke hätten die Hemmschwelle der Kontaktaufnahme allerdings herabgesetzt. "Es geht schneller und notfalls auch anonym", so Überall. "Was wir da erleben, ist die Verlängerung des Stammtisches in die digitale Welt. Seit einigen Monaten ist das durch die Diskussion über Geflüchtete und eine pauschale Unzufriedenheit mit politischen wie gesellschaftlichen Institutionen stärker geworden."

Frank Überall© Manfred Wegener
Gleichzeitig erhielten Journalisten jedoch auch in sozialen Netzwerken viel Zuspruch, betont der DJV-Mann. "Darüber wird nur nicht so intensiv berichtet wie über die - zum Teil äußerst zugespitzte - Kritik." Auch Dunja Hayali weist auf das positive Feedback hin: "Das sollte man nicht einfach so weglesen, sondern vielleicht sogar mehr in der Vordergrund rücken. Zumindest für sich selbst", betont sie im Gespräch mit DWDL.de. Von der Hand zu weisen ist das zunehmende Bashing gegenüber Journalisten aber nicht, vor allem wenn es um das Thema Flüchtlinge geht, wie "Marhaba"-Moderator Constantin Schreiber wie kaum ein anderer aus eigener Erfahrung weiß. "Nun könnte man sagen, dann reagieren sich die Leute halt im Netz ab. Aber das Problem ist doch, dass dadurch eine Verrohung unserer Diskussionskultur einhergeht und eine Ablehnung der journalistischen Inhalte, an denen wir arbeiten", sagt er und klingt dabei sehr nachdenklich.

Soziale Netzwerke hätten inzwischen für viele die Funktion herkömmlicher Medien übernommen. "Man sucht sich die Informationen, die man will und fügt damit sein Weltbild zusammen", so Schreiber. Die Einordnung durch Journalisten spiele eine immer geringere Rolle, "in der Flüchtlingskrise meist nur noch als Diskussionsimpulsgeber", ergänzt er. "Aber das ist natürlich ein schmaler Grat, denn Kommentare sind eben doch Meinungen und werden dann schnell auf das Medium übertragen, in dem sie erscheinen." Nach Ansicht des DJV-Bundesvorsitzenden Frank Überall müssten Journalistinnen und Journalisten "die Menschen davon überzeugen, dass wir unabhängig und gewissenhaft unseren Job erledigen, Einordnung geben und wahrhaftig berichten". Gleichsam sagt er: "Schwarze Schafe gibt es auch in unserem Berufsstand. Aber die ganz überwiegende Mehrzahl meiner Kolleginnen und Kollegen arbeiten handwerklich korrekt - sie dürfen nicht weiter unter einen Generalverdacht gestellt werden. Darüber müssen wir reden."

Journalisten stellen sich der Diskussion

Rassistische, extremistische, hassgeprägte und beleidigende Äußerungen seien allerdings kein geeigneter Beginn eines Diskurses. "Wer sich so verhält, will nicht ernsthaft ins Gespräch kommen sondern nur Dampf ablassen." Darauf inhaltlich zu reagieren, sei letztlich "verschenkte Arbeitszeit", gibt Überall zu bedenken. Mit jenen Menschen ins Gespräch zu kommen, die Medien als "Lügenpresse" verunglimpfen, mache jedenfalls keinen Sinn. Dunja Hayali hat sich kürzlich dennoch unter die AfD-Demonstranten in Erfurt gemischt. Herausgekommen ist ein bemerkenswertes Stück, für das sie kürzlich auch von DWDL.de-Kolumnist Hans Hoff mit Lob überschüttet wurde. Doch wieso hat sie sich dafür entschieden, das Gespräch zu suchen? "Weil ich gerne mit Menschen spreche, anstatt über sie", erklärt die ZDF-Journalistin. Sie wolle verstehen, was die Menschen (an)treibt und was sie sorgt. "Aber verstehen wollen und Verständnis haben sind zwei unterschiedliche Dinge. Ich kann trotzdem sagen, dass ich in Erfurt viel gelernt habe", zieht Hayali rückblickend Bilanz.

Viele von denen, die gegen Flüchtlinge hetzen und "Lügenpresse" skandieren, sind womöglich schon verloren für die Gesellschaft. Doch es gibt eben auch diejenigen, die unreflektiert solche Parolen übernehmen und sich in der Berichterstattung nicht mehr wiederfinden, weil manche Aspekte einer Debatte nicht beleuchtet werden. "Da möchte ich ansetzen", gibt der neue DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall seinen Kurs vor. Man dürfe verärgerte Menschen nicht ignorieren. "Auf die Argumente sollte man eingehen und darauf antworten. So mancher Hinweis aus solchen Diskussionen hat schon zu neuen Aspekten in der Berichterstattung geführt." Gleichzeitig müsse man es aber auch Verständnis dafür geben, "dass es nicht zum alleinigen Hauptjob für Journalistinnen und Journalisten werden kann, sich mit Zuschriften zu beschäftigen", mahnt Überall. "Da muss jeden Tag aufs Neue ein ordentliches Maß in Quantität und Qualität der Kommunikation gefunden werden."

Dunja Hayali und Constantin Schreiber, aber auch viele weitere engagierte Kolleginnen und Kollegen wie Isabella Müller-Reinhardt, wollen sich nicht mit dem Bashing gegen ihren Berufsstand nicht abfinden und gehen in die Offensive, wollen ganz bewusst Gesicht zeigen. Das ist leichter gesagt als getan. Aber ihre Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, den Dialog nicht abreißen zu lassen.

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