Anlässlich des International Journalism Festival riefen Amazon, "La Stampa", "El Pais", "The Times" und DWDL.de Nachwuchsjournalisten auf, ein Essay über die Zukunft des Journalismus zu schreiben. In dieser Woche veröffentlichen wir die Gewinner-Beiträge. Der prämierte Text aus Großbritannien stammt von Una Kelly.

Seit rund zwei Jahrzehnten leben wir bereits in einer digitalen Welt, doch viele Nachrichtenorganisationen kämpfen immer noch - mit sozialen und mobilen Medien, mit der sich verändernden Kultur in den Nachrichtenredaktionen, mit der Einführung der notwendigen technischen Fähigkeiten oder damit, warum Start-ups wie Vice und Buzzfeed als ernsthafte Konkurrenten angesehen werden sollten.

Das ist ein klassischer Fall von störender Innovation. In ihrem Buch "Innovatoren in digitalen Nachrichten" vergleicht Lucy Küng die Wirkung des Internets auf die Nachrichten mit den Auswirkungen der Eisenbahn auf den Pferdetransport. "Während das Grundbedürfnis - die Bereitstellung von Nachrichten und Informationen über die Welt - das gleiche geblieben ist, haben sich die dazu angewandten Technologien zur Erfüllung dieser Notwendigkeit grundlegend verändert...” Der Wechsel von Print-Nachrichten zu digitalen Nachrichten ist vergleichbar mit dem Abriss des Stalls, dem Verkauf der Pferde und dem Kauf einer Eisenbahn. Ein komplett anderes Business.

Die digitale Störung kann man als ein Problem oder eine spannende Möglichkeit wahrnehmen. Inflexible Kultur und Innovationsunwilligkeit können dazu führen, dass Organisationen ins Hintertreffen geraten. Clean Sheet-Organisationen (solche, die im digitalen Zeitalter starteten) waren von Anfang an immer pro-digital, während Alt-Organisationen wie die BBC und die New York Times aufholen mussten. Im NYT Innovation-Bericht, wurde die tiefere Integration von Journalismus und Technologie empfohlen. Dies erfordert komplettes Umdenken hinsichtlich der Firmenkultur, aber auch der tatsächlichen Bürogestaltung, in der Redaktionen und Technologieabteilungen nebeneinander sitzen sollten.

Exklusiv und starres Festhalten an Formaten, die sich über Jahrzehnte hinweg entwickelte haben - der Print-Artikel, die 22.00-Uhr- Abendnachrichten - ignoriert die Vorteile der neuen Medien für das moderne Storytelling. Eine Story sollte immer in der Form präsentiert werden, in der sie ihre Botschaft am besten vermittelt oder die meisten Menschen erreichen kann. Völlig neue Formate sind entstanden - zum Beispiel “Listicles” oder interaktive Ratespiele. Journalisten der alten Schule mögen sich über diese abfällig äußern, aber die beliebteste Geschichte in der New York Times im Jahr 2013 war ein von internen Entwicklern erstelltes Quiz (How Y'all, Youse and You Guys Talk), das perfekt zu BuzzFeed gepasst hätte. In ähnlicher Weise zeigt auch die tägliche Infografik (#bbcgofigure) von BBC Visual Journalism, dass einige Stories eindringlicher sind, wenn sie mit Hilfe einer Karte oder eines Diagramms erzählt werden. Der Akt des Storytelling hat sich nicht verändert, aber die Art und Weise.

Die Allgegenwärtigkeit von Smartphones bedeutet, dass wir online und ständig bereit sind, Nachrichten zu konsumieren und uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Der Aufstieg des mobilen Kanals war im vergangenen Jahr ein riesiger Störfaktor - 60% des Traffics für BBC News stammt mittlerweile von Handys oder Tabletrechnern. Wo es mehr Geräte für Inhalte gibt, gibt es auch mehr Plattformen für Inhalte, was wiederum mehr Spitzenzeiten auf den Plan ruft. Im Fall der Financial Times sind diese beispielsweise der frühe Morgen für Mobile, der Nachmittag für stationäre Computer und der Abend für Tablet-Computer. Wenn Nachrichtenorganisationen zu diesen neuen Spitzenzeiten passende Inhalte anbieten, kann dies die Nachfrage nach Werbung erhöhen, wodurch sich auch die Einnahmen erhöhen.

Smartphones werden zunehmend mit größeren Bildschirmen und besserer HD-Qualität ausgestattet, was wiederum bedeutet, dass von Nutzerseite mehr Bedarf für Video besteht. Dabei kann es sich um kurze Videos wie für Facebook oder Twitter handeln, oder um Langformate. Shane Smith, Gründer von Vice, hat das Potenzial digitaler Videoinhalte klar erkannt. Breitband bedeutet, dass die Nutzer mehr Langform-Inhalte auf Smartphones oder Tabletrechnern konsumieren. Er stellte ebenfalls fest, dass YouTube bereits die Infrastruktur für die digitale Video-Distribution geschaffen hatte, und dass Bedarf für Inhalte bestand, die nicht nur aus niedlichen Katzenvideos oder niedrigqualitativem nutzergenerierten Inhalten bestanden. Vice News ist heutzutage eine journalistische Mischplattform und liefert fesselnde Dokumentationen auf einer digitalen Plattform. Der Vice-Dokumentarfilm “Islamischer Staat" wurde von der Branche gelobt und verzeichnet 20 Millionen YouTube-Aufrufe.

Social Media ist als Vertriebsplattform für Nachrichten immer wichtiger geworden. Eine wachsende Zahl von Lesern greift auf digitale Nachrichten-Websites über soziale Medien und von Algorithmen angetriebene Suchmaschinen zu. Viele dieser Verbraucher sind so genannte “Millennials”, ein besonders attraktiver Markt für Werbetreibende - Nachrichten-Organisationen sollten daher sicherstellen, dass ihre Inhalte nicht nur auf diesen Kanälen präsent sind, sondern auch so dargestellt werden, dass zur Weiterleitung angeregt wird. BuzzFeed meistert dies erfolgreich. Die Plattform ist erfolgreich, weil ihr Inhalt sich zum Weiterleiten anbietet - sie analysiert die Benutzerdaten, um festzustellen, wie und warum Inhalte weitergeleitet werden. Im März 2014 lag die Zahl der Facebook-Interaktionen im Zusammenhang mit BuzzFeed-Beiträgen bei 47 Millionen.

Zwar nutzt BuzzFeed diese Erkenntnisse gelegentlich zur Erstellung von albernen Inhalten (z.B. '10 Kartons, die wie David Cameron aussehen '), aber mit den Einnahmen aus diesen Inhalten, wird ernster, investigativer Journalismus finanziert. Noch vor ein paar Jahren hätte niemand gedacht, dass BuzzFeed, der berüchtigte Lieferant von Katzenvideos, mit der BBC bei einer gemeinsamen Recherche von Manipulationen im Tennis-Sport kooperieren würde. Sein Grundverständnis der Social-Media-Plattformen und seine tiefgreifende Analyse der Nutzerschaft hat Buzzfeed zu einem glaubwürdigen Player im Bereich Nachrichten gemacht, der selbst in der Lage ist, hochkarätige Journalisten von führenden Zeitungen für sich zu rekrutieren.

Die Zeiten, in denen Nachrichten-Organisationen entschieden, was für die Nachrichten wichtig ist und der Öffentlichkeit angeboten wird, sind vorbei. Bei Nachrichten geht es nicht mehr darum, Aufmerksamkeit zu erregen - sondern um sinnvolle Auseinandersetzung. Wenn Nachrichten-Organisationen wissen, wem sie dienen, können sie wertvolle Inhalte für ihre Leserschaft erstellen. Dies vertieft die Beziehung zum Publikum und schafft Loyalität und Bindungen. Dabei handelt es sich nicht nur um eine erfolgreiche redaktionelle Strategie, sondern auch eine kommerzielle - denn je größer die Beteiligung der Leser, desto größer das Publikum und desto höher die digitalen Einnahmen. Allerdings bleibt eine Herausforderung: Zeitungen müssen einen Weg finden, die Interessen ihrer traditionellen Print-Leser mit denen ihres jüngeren, digitalen Publikums abzustimmen.

Es ist schwierig und unklug, ein Universal-Erfolgsrezept im digitalen Zeitalter anzulegen. Jede Nachrichtenorganisation ist eine einzigartige Einrichtung mit individuellen Umständen. Es gibt grundlegende Unterschiede zwischen Digital- und Print-/Analog-Umsätzen, zwischen “alteingesessenen” und “brandneuen” Medien, zwischen Medien in privatem Eigentum, öffentlichem Eigentum und mit Venture-Capital-Finanzierung. Die Medienlandschaft ändert sich so schnell, dass genaue Vorhersagen unmöglich sind. Hüten Sie sich vor allen, die sagen, dass sie wissen, wo die Zukunft des Journalismus in dieser schönen neuen digitalen Welt liegt. Im Moment ist es ein einziges großes Experiment - und die Bereitschaft dabei mitzumachen, könnte der Schlüssel zum Überleben sein.