Diese Augen! Schon zweidimensional sind sie von so durchdringender Strahlkraft, dass Frauen selbst Jahrzehnte jenseits der Menopause weiche Knie kriegen, wenn sie ihnen aus dem Röhrenfernseher zublinzeln. Und dann erst dreidimensional betrachtet, in Fleisch und Blut also, umrahmt vom bronzenen Teint unterm herbstlaubbraunen Seitenscheitel, der auch ohne Stylingprodukt Tornados trotzen dürfte – sich diesem Blick Auge in Auge über sein neues Dokumentarfilmprojekt zu entziehen, wäre völlig aussichtslos! Wenn man es denn wollte.

Aber warum sollte man?

Ob live oder am Bildschirm – Claus Kleber ist ein Superstar des Nachrichtenwesens, der die Zuschauer unweigerlich in den Bann zieht: Äußerlich durch sein hinreißend schiefes Lächeln, atmosphärisch dank fachkundiger Nonchalance, inhaltlich maximal vertrauenswürdig. Als Chronist mal ungewöhnlicher, meist herkömmlicher Sachlagen, füllt er den Wortimport des Anchorman seit 13 Jahren mit einer seriösen Grandezza, dass jeder Kollege mit ähnlicher Optik verblasst wie ein Stück achtbarer Berichterstattung auf dem Boulevard.

Im zusehends erregten Infotainment ist Claus Kleber somit das kluge Gewissen, dem angesichts des Schlechten in aller Welt schon mal vor laufender Kamera die Tränen kommen, wenn sich dem Irrsinn des Fremdenhasses in Gestalt eines netten Busfahrers das Gute entgegenstellt. Kein Wunder, dass der Verkünder solcher News das Thema eines eigenen Beitrags fern vom allabendlichen "heute-journal" nicht kalt lässt. Im Gegenteil. „Obwohl ich in meinem Alter etwas abgebrühter bin als jüngere Kollegen“, kommentiert der 60-Jährige die Premiere seiner Reportage aus dem Silicon Valley im schlichten Schneideraum der Produktionsfirma ECO Media, „haut mich vieles schlichtweg um“.

Was genau, erzählt – nein: akklamiert er akkurat gekleidet wie immer, aber doch etwas hemdsärmeliger als des Nachts nach Krimi, Schnulze, Show, Produkttest der ZDF-Primetime. Menschen vor allem und ihren grenzenlosen Ehrgeiz, betont er mit Blick über Hamburgs Hafen. Werktätige der digitalen Revolution, die auf Basis multimedialer Innovationen von Google über Smartphone bis Facebook nun den Elfenbeinturm der Wissenschaft stürmen: Gentechnologie, Life-Science-Medizin, Bionik – Baustellen von heute mit dem Werkzeug von morgen für die Probleme von gestern.

Fünfmal war der frühere US-Korrespondent hierfür mit seiner Kollegin Angela Anderson im alten Einsatzgebiet und hat „The Valley“, wie er es in amerikanischem Englisch nennt, völlig neu kennengelernt. Satte 30 Drehtage war das Team für 60 Minuten Sendezeit im verregneten Frühling Kaliforniens unterwegs, um „zu finden, was wir noch nicht mal erahnt hatten“. Dafür traf sein Team Visionäre und Wahnsinnige, Professoren und Philosophen, oft alles in Personalunion: den brillanten Freak Astro Teller, der das Internet an Fesselballons um die Welt bringen will, nein: wird. Die Molekularbiologin Jennifer Doudna, deren Forschung am Erbgut von Krankheitserregern für den Nobelpreis gebucht ist. Den Künstler Jeremy Mayer, der aus alten Schreibmaschinen kybernetische Wesen mit sozialkritischer Botschaft erschafft. Dazu Manager mit Startup-Vita wie den Gründer vom Übernachtungsportal AirBnB, aber auch einen Ottonormalnutzer namens Resty Mendoza, den der Privattaxidienst Uber verstörend gezielt in die Armut treibt. Jedem davon begegnet der Volljurist aus dem Kölner Speckgürtel mittig zwischen kindlicher Euphorie und reifem Skeptizismus.

Wer Claus Kleber ergriffen vom „Florenz des 21. Jahrhunderts“ schwärmen hört, wo 500 Jahre später erneut „technische, kulturelle, wissenschaftliche, künstlerische, medizinische, politische Ideen auf engstem Raum entstehen“, könnte den Sohn eines schwäbischen Ingenieurs für fortschrittshörig halten. Vor Staunen distanzlos. Doch wenn er die Präsentation des allerersten iPhone samt Apps schildert, deren Bedeutung er trotz persönlicher Fürsprache durch Google-Chef Eric Schmidt „überhaupt nicht erkannt“ habe. Wenn er sich als medium adopter outet, der die religiös verklärten Geräte von Tablet bis Apple-Watch anders als Digital Natives frühestens kauft, „wenn ihre Kinderkrankheiten verschwinden“. Wenn ihm Datengier, Machtkonzentration, Ressourcenvergeudung im Silicon Valley das seltsam faltenlose Gesicht zerfurcht. Dann wird deutlich, wo Claus Kleber herstammt.

Als europäischer Journalist frage er sich anders als viele Kollegen vor Ort oft, „ob der Nutzen jeden Nebeneffekt wert ist“, ob nicht ein paar hässliche Seiten die Schöne neue Welt des Reportage-Titels verdunkeln. Die amerikanische Verachtung jeder Form von Regulierung, gar staatlicher Kontrolle jedenfalls, sagt Claus Kleber gereizter als sonst, sei ihm völlig fremd. Manche Schöpfung im Tal der neuen Götter hält er demnach für „zu heikel, um sie zwei, drei Firmen zu überlassen“. Nicht jede Schöpfung sei nun mal sinnvoll, nur weil sie gekauft werde. Zum US-Bashing lässt sich der polyglotte Reporter nach 15 Jahren vor Ort nie hinreißen; doch vor einer Antwort, er zeigt sein charmantestes Lächeln, „steht immer das Begreifen“.

Dieser Mix aus Attraktivität, Kompetenz und Wissbegier, Anziehungskraft, Neutralität und Empathie macht den ewig mit der gleichen Frau verheirateten Vater zweier Kinder nicht nur zum bestbezahlten, sondern wohl besten Moderator deutscher Zunge: beliebt wie Günther Jauch, geschätzter als das "Tagesschau"-Team im Ganzen. So rechtschaffen wirkt der überzeugte TV-Mann, dass er Ende 2007 dem schmeichelhaften Ruf widerstand, Chefredakteur des "Spiegel" zu werden. Stattdessen verließ Claus Kleber das Ruhekissen ZDF auf den Asphalt der Freiberuflichkeit, wo er mit Angela Andersen neben dem "heute-journal" gefeierte Dokus dreht.

Man wünscht sich beinahe einen Skandal, irgendwas mit Schleichwerbung oder Applaus für die Falschen. Doch Fehlanzeige! Selbst die ProSieben-Persiflage "Switch Reloaded" fand nur eines am Anchor veräppelungswürdig: Den Namen, der ebenso putzig alliteriert wie Gundula Gauses zu seiner Linken. Wenn’s weiter nichts ist…

"Schöne neue Welt" läuft am kommenden Sonntag um 23:30 Uhr im ZDF