2016 wird wohl nicht als großer Jahrgang in die Geschichte der TV-Serie made in Germany eingehen. Beim Blick auf die moderne, autorengetriebene, horizontal erzählte Qualitätsserie – gerne auch als "High-End-Serie" tituliert – zeigte sich das Jahr eher verhalten. Die einen waren noch mitten in der Produktion neuer großer Werke, die anderen nach Quoten-Rückschlägen bei "Deutschland 83", "Die Stadt und die Macht" oder "Blochin" risikoscheuer als noch ein Jahr zuvor.

Wird sich das 2017 ändern? Die Chancen stehen gut. Der quantitative Output legt jedenfalls deutlich zu – und das ist auch für die Qualität nicht unwichtig. Denn ohne  eine gewisse Routine im High-End-Segment sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Ob bei HBO oder beim dänischen Fernsehen DR Ende der 1990er Jahre, ob bei Netflix 2013: Neuartige Serien wie "The Sopranos", "The Wire", "Borgen" oder "House of Cards" entstanden jeweils aus ökonomischem Druck heraus, um stagnierendem Wachstum oder drohender Verwechselbarkeit zu begegnen.



Noch geht es den deutschen TV-Sendern viel zu gut, als dass Druck den Ausschlag geben könnte. Die beiden großen privaten Sendergruppen schreiben Jahr für Jahr Rekordgewinne, die Öffentlich-Rechtlichen haben sichere Beitragseinnahmen und noch immer relativ hohe Reichweiten mit konventioneller Fiction. Da mutet es fast wie eine intellektuelle Herausforderung an, heute ins High End zu investieren, um morgen auf der Siegerseite zu stehen.

Dennoch tun einige Player im deutschen Markt – oder besser gesagt: aus dem deutschen Markt heraus mit internationalem Anspruch – genau das. Zu den Treibern zählt UFA Fiction. Der Produktionsfirma ist es gegen Widerstände aus dem eigenen Konzern gelungen, RTL gegen Amazon Prime Video als 'Host Broadcaster' für "Deutschland 86" auszutauschen. Das hat zwar lange gedauert, aber im Zusammenspiel mit dem internationalen Erfolg der ersten Staffel und einem substanziellen Finanzierungsbeitrag aus dem Weltvertrieb dazu geführt, dass die Showrunner Anna und Jörg Winger seit November eine deutlich verbesserte Development-Struktur aufsetzen konnten. Zwei UFA-Fiction-Produktionen für das Frühjahr 2017 – "The Same Sky" von Paula Milne fürs ZDF und "Charité" von Dorothee Schön für die ARD – sind bereits vor der TV-Premiere in etliche Länder verkauft, erstere im englischsprachigen Raum an Netflix.

Auch die Studio Hamburg Production Group bleibt nach "Blochin" und "Die Stadt und die Macht" beherzt am Ball: Unter dem Arbeitstitel "Credo" dreht Regisseur Christian Schwochow zurzeit seine erste TV-Serie, einen sechsteiliger Thriller in der Welt internationaler Großbanken (Headautor: Oliver Kienle), der als deutsch-luxemburgische Koproduktion realisiert wird. Hohe Erwartungen liegen auf dem von Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten gemeinsam geschriebenen und inszenierten "Babylon Berlin". Die bislang vor allem aufs Kino spezialisierte Produktionsfirma X Filme Creative Pool stellt das Historiendrama nach den Romanen von Volker Kutscher für eine ungewöhnliche Sender-Konstellation her: Sky Deutschland zeigt die Serie im Herbst 2017 im Pay-TV, die ARD ein Jahr später im Free-TV. Für jede der 16 Folgen wird ein Budget von rund 2,5 Millionen Euro ausgegeben.

Mindestens ebensolcher Beachtung erfreuen sich die jeweils ersten deutschen Serienproduktionen für die Streaming-Anbieter Netflix und Amazon. Pantaleon Entertainment, die Kino-Blockbuster-Schmiede von Matthias Schweighöfer und Dan Maag, hat "You Are Wanted" gemeinsam mit Warner Bros. für Amazon produziert. In dem sechsteiligen Thriller (Buch: Hanno Hackfort, Bob Konrad, Richard Kropf) spielt Schweighöfer einen jungen Familienvater, der brutal aus seinem Alltag gerissen wird, als ein Unbekannter seine persönlichen Daten hackt und seine digitale Identität umschreibt. Amazon Prime Video veröffentlicht die Serie im März. Ein paar Monate später geht bei Netflix der Mystery-Zehnteiler "Dark" von Baran bo Odar und Jantje Friese online, produziert von Wiedemann & Berg Television. Die mysteriöse Familiensaga erzählt vom Verschwinden zweier Kinder und von dunklen Geheimnissen, die vier Familien auf tragische Weise durch Raum und Zeit miteinander verbinden. Schon am 26. Januar startet Maxdome die erste deutsche VoD-Serie, "Jerks" von und mit Christian Ulmen, die später dann auch das Programm von ProSieben bereichern wird.

Dass lineare TV-Sender überhaupt begonnen haben, wenn auch meist noch mit spitzen Fingern, sich mit modernen High-End-Serien zu befassen, liegt zu einem großen Teil an der massiven Ausbreitung von Amazon und Netflix. Die SVoD-Plattformen sind ernstzunehmende Konkurrenten um die Sehzeit des Publikums geworden, seit sie konsequent das Segment der horizontal erzählten Qualitätsserie besetzt haben. Dabei funktioniert das Geschäftsmodell auch dann, wenn die einzelne Serie nur ein Nischenpublikum anspricht.

Seit 2016 sind sowohl Netflix als auch Amazon Prime Video in nahezu allen Ländern der Welt verfügbar. Damit können die Anbieter Nischenreichweiten und Abo-Erlöse global addieren, um die Rentabilität einer Produktion zu berechnen. Gleichzeitig wächst der Bedarf an lokalem Output in den einzelnen Märkten. Hier geht es um die langfristige Kundenbindung durch prestigeträchtige Inhalte. Das ist ein grundlegend anderer Geschäftszweck, als mit einer linearen TV-Ausstrahlung möglichst hohe Reichweiten anzupeilen, um entweder Werbekunden zufrieden zu stellen oder gesellschaftliche Legitimation zu dokumentieren.

Für Creator, Produzenten und Sender im deutschen Markt zeichnen sich zwei Wege ab, Aufwand und Risiko ihres Serienprojekts auf mehreren starken Schultern zu verteilen. Zum einen sind internationale Koproduktionen das Gebot der Stunde. Quer durch Europa entstehen neue Serien immer öfter zwischen Partnern aus verschiedenen Ländern, die völlig unabhängig von ihrer geografischen Herkunft zusammenfinden, weil sie an einen bestimmten Stoff und an die Vision eines Autors glauben. Dadurch sind heute Konstellationen zu beobachten, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schienen – ohne dass jeder auf Biegen und Brechen sein eigenes Land und seine eigenen Schauspieler im fertigen Produkt sehen wil. Auch US-amerikanische Partner sind dabei zunehmend mit von der Partie.

Aus dem deutschen Markt heraus ist Schwochows "Credo" ein gutes Beispiel – die Studio-Hamburg-Tochter Letterbox Filmproduktion produziert gemeinsam mit Iris Productions aus Luxemburg. Da es in der Serie um die Abgründe des globalen Investmentbankings geht, dürfte der kreative Blick der Nachbarn auf die eigene Steueroase von besonderem Reiz sein. Auch Tellux Next, eine Tochter der Münchner Tellux-Gruppe, arbeitet mit Iris Productions zusammen. Gemeinsam entwickelt man die historische Serie "Raizan – zwischen Himmel und Hölle", die vom geistigen Umbruch im Germanien zur Zeit der Völkerwanderung erzählen soll. Maze Pictures, eine noch junge unabhängige Produktionsfirma mit Sitz in München und Berlin, ist Koproduktionspartner von Luc Bessons EuropaCorp Television bei der Thriller-Romanverfilmung "Die purpurnen Flüsse", einem der ersten Projekte, das vom 2015 ins Leben gerufenen Deutsch-Französischen Förderfonds für TV-Serien profitiert.

Neben internationalen Koproduktionen erweist sich die frühzeitige Einbindung eines starken Weltvertriebs in die Entwicklung von High-End-Serien immer mehr als wesentliche Säule. Durch entsprechende Minimumgarantien auf die späteren Vertriebserlöse lassen sich Developments besser budgetieren – selbst dann, wenn noch kein Sender involviert ist. Ohne ein millionenschweres Upfront-Investment von Beta Film wäre etwa "Babylon Berlin" kaum zustande gekommen. Firmenchef Jan Mojto, der Grandseigneur des europäischen Programmvertriebs, spricht vom größten unternehmerischen Risiko seiner Laufbahn. Als Möglichmacher steht Beta Film auch hinter der UFA-Serie "The Same Sky" oder hinter Hans-Christian Schmids erster Miniserie "Das Verschwinden", einer Produktion der 23/5 Filmproduktion, die im Frühjahr mit vier 90-Minütern im Ersten ausgestrahlt wird, später dann mit acht 45-Minütern in den Dritten. Eine Mutter sucht darin auf eigene Faust nach ihrer spurlos verschwundenen Tochter und verheddert sich in einem Netz aus Lügen und Geheimnissen.

Ebenso wenig ist der Beitrag von FremantleMedia International für die breite internationale Finanzierung von "Deutschland 86" zu unterschätzen. Auch Vertriebshäuser wie Red Arrow International, Tele München Gruppe oder ZDF Enterprises investieren zunehmend in deutsche sowie ausländische High-End-Serien im Development-Stadium. Sogar ausländische Distributoren haben deutsches Produkt inzwischen im Blick, wie etwa das Engagement der französischen Federation Entertainment ("Marseille", "Bordertown") als Weltvertrieb von "Credo" zeigt.

Um die grenzüberschreitende Kreativität der Serienmacher weiter zu beflügeln, schreibt das Co-Production Forum des größten europäischen Serienfestivals "Séries Mania" dieses Jahr erstmals einen mit 50.000 Euro dotierten Preis für das beste Projekt in Entwicklung aus. Der Call for Projects läuft noch bis zum 17. Februar. Insgesamt 15 viel versprechende Projekte werden ausgewählt und im April in Paris vor rund 400 potenziellen Partnern und Käufern gepitcht.