Vor knapp einem Jahr stand Netflix-CEO Reed Hastings im Pariser Norden auf der Bühne des ersten Slate Events seines Hauses und legte einmal mehr die Strategie seines Hauses dar. Es war nicht zwingend neu, aber damals noch nicht von jedem gehört und jedem Journalisten geschrieben. Ein Jahr und rasantes Wachstum später, ist das Produkt Netflix weltweit noch bekannter. Für seinen Auftritt beim zweiten jährlichen Preview-Event brauchte es also eine neue Narrative.

In Berlin konzentrierte sich Hastings nun auf das europäische Engagement seines Hauses, das nach der aggresiven Expansionspolitik auf dem Weg zum globalen TV-Netzwerk in immer mehr Märkten lokale bzw. regionale Verwurzelung beweisen will. In beinahe bescheidenen neun Minuten Redezeit schwärmt er von dem kommenden italienischen Mafiadrama "Suburra", der spanischen Romanze "Cable Girls" und der deutschen Produktion "Dark". Hier soll es auf keinen Fall enden: "Wir freuen uns sehr darauf weiter in Europa und europäische Inhalte zu investieren", so Hastings. "Wir fangen mit Europa jetzt erst an." Bisher seien es laut dem CEO über 1,75 Milliarden Dollar gewesen, die Netflix für Europa in die Hand nahm. 

CCO Ted Sarandos stimmte später mit ein und erwähnte noch einmal, wie wichtig "Narcos" für diese Entwicklung war. Eine Serie, die in Spanisch und Englisch von einer französischen Produktionsfirma in Kolumbien mit einem brasilianischen Hauptdarsteller produziert wurde. Der Beweis dafür, dass Internationalisierung der richtige Weg sei. Das ist nicht falsch, aber auch nicht neu: Das "Narcos"-Beispiel wurde schon vor einem Jahr in Paris bemüht und wird seit jeher immer mal wieder neu erzählt. 

Damals ging es auch schon um "Marseille" oder "The Crown" - zwei europäische Produktionen. Die Botschaft in diesem Jahr lag darin, diesen Kurs weiter zu verfolgen. Netflix ist offen für allerlei Modelle der Koproduktion und Verwertung. Man habe noch mehr Lust und Budget, so der Tenor. Bald gebe es Netflix-Inhalte auch in zwei weiteren Sprachen: Rumänisch und Griechisch. "Große Geschichten kennen keine geografischen Grenzen", sagte Programmchef Sarandos. "Nachdem Netflix Originals bereits seit vier Jahren Teil der Programmgestaltung sind, die in über 18 Ländern außerhalb der USA gedreht wurden, wissen wir, dass packende Geschichten von überall kommen können." Und sie scheinen auch überall funktionieren zu können: "Mehr als zwei Drittel der Zuschauer der seit vergangenem Jahr auf Netflix verfügbaren europäischen Shows stammten aus Gebieten außerhalb Europas", verriet Hastings.

Weitere unternehmensseitige Breaking News gab es in Berlin allerdings nicht. Dass Unitymedia-Kunden über die Horizon-Box künftig auch Netflix nutzen können, war nach einem entsprechenden Deal im vergangenen Jahr nur eine Frage der Zeit. So standen die kommenden Produktionen im Mittelpunkt der Berliner Veranstaltung, die auch passend mit dem Hashtag #SeeWhatsNext in Social Media viral ging. Zur ersten deutschen Netflix-Serie, "Dark", gab es die Premiere eines Teasers und die grobe Gewissheit: Im kommenden Winter gehe sie online (DWDL.de berichtete).

Auch die Teams von "Suburra" und "Cable Chicks" waren in Berlin zu Gast. "Cable Chicks" genießt sogar das Vertrauen, bereits jetzt um eine 2. Staffel verlängert worden zu sein. Es blieben durchweg entspannte und ungezwungene Unterhaltungen zwischen den Produzenten, Darstellern, den Moderatoren (Jochen Schropp übernahm für "Dark" und die restlichen englischsprachigen Panels) und dem Publikum. Damit hat Netflix genau das erreicht, worauf sie mit ihrer Location und dem Mobiliar bereits einstellen wollten.

Typisch Netflix wurde der Presse-Event mit gemütlichen Sofas im Vorführraum und arbeitsfreundlichen "Social Areas" ausgestattet. Lediglich das Hashtag "Netflix and Chill" hat gefehlt. Es war kein Tag für harte News. Transportiert werden sollte ein Gefühl, das ist deutlich geworden. Auf interessante Serientalks folgten charmante Startalks. Bob Odenkirk und Ted Sarandos plauderten wie die alten Freunde, die sie sind, über die kommende 3. Staffel von "Better Call Saul" und das Showbuisness per se. Fast hätte man geglaubt, "Better Call Saul" sei wirklich eine Netflix-Serie - dabei wird sie eigentlich für AMC produziert.

Beide kamen zu dem Entschluss, dass sie ziemlich aufgeschmissen wären, wenn sie nicht in dieser Branche arbeiten könnten: "Wenn ich mit dem Showbiz aufhören müsste, würde ich direkt am nächsten Tag eine neue TV Show schreiben", scherzte Odenkirk. Nach der kleinen Männerrunde betraten Chelsea Handler ("Chelsea"), Britt Robertson ("Girlboss"), sowie Uzo Aduba und Kate Mulgrew ("Orange Is The New Black") die Bühne und formten eine große Frauenrunde, die das Statement "Netflix so diverse" subtil untermauerte.

Erzählt wurden einmal mehr Casting-Anekdoten und das unfassbare Glück für Netflix zu arbeiten. Wer hätte das gedacht. Der nette Plausch gewann erst dann an Spannung als Donald Trump zum Thema wurde. Der zynischste Kommentar kam von Chelsea Handler, die das Thema mit der Bemerkung abschloss: "Danke, dass Europa an uns denkt, während wir nur an uns denken." Nach der Frauen-Runde ging es um die Dokus bei Netflix.

Der deutsche Sternekoch Tim Raue und Brian McGinn von "Chef’s Table" diskutierten mit Rashida Jones ("Hot Girls Wanted") und Laurent Bouzereau ("Five Came Back"). "Netflix war der Einzige, der der Sache eine Chance geben wollte" war hier der Tenor, in den alle mit einstimmten. Mit dem Ausbau der Genre-Vielfalt auch im Bereich Dokumentation wird Netflix für weitere Anbieter zur Konkurrenz und für weitere Produzenten zum interessanten Partner. Vor einigen Tagen gewann die Katastrophen-Doku "White Helmets" einen Oscar, den wichtigsten Filmpreis der Welt. Netflix war maßgeblich an diesem Projekt beteiligt.

Zum Abschluss des Tages kam noch einmal Ted Sarandos mit einer News auf die Bühne: Netflix wird mit dem französischen PayTV-Sender Canal+ zusammenarbeiten, um "Spy" zu produzieren, eine Serie über Israels promintestesten Spion Eli Cohen. Außerdem kündigte er die Serien "Troy: Fall of the City" und "Black Earth Rising" an, beides Co-Produktionen mit der BBC. "Orange-Is-The-New-Black"-Showrunnerin Jenji Kohan hat mit ihrer neuen Frauenwrestling-Serie "Glow" nun auch ein Startdatum bekommen. Die skurril-komisch anmutende Produktion wird ihre Premiere am 23. Juni feiern.

Neben Serien und Dokumentationen will Netflix auch im Film-Bereich aufrüsten. So dürfen sich Fans von Tilda Swinton auf die Fantasy-Geschichte "Okja" freuen, ebenso wie auf Brad Pitt in "War Machines" und Will Smith im gruselig anmutendem "Bright". Die endgültige Verabschiedung kam dann mit einem überraschenden und intensiven Trailer zu "Mindhunter", der bereits angekündigten Psycho-Serie vom oscarprämierten Regisseur David Fincher. 

Reed Hastings und Ted Sarandos traten in Berlin ein Stück in den Hintergrund und überließen lieber den Stars ihrer Produktionen das Wort. Das ist schön und schade gleichermaßen. Letztlich ist aber schon die pure Größe und Existenz dieser jährlichen Veranstaltung ein wiederholtes Signal für die Branche: Die europäischen Märkte sollten sich auf mehr Investitionen von Netflix einstellen - zum Leid von Wettbewerbern und zur Freude der Produzenten und Kreativen. Noch scheint der Hunger lange nicht gestillt. Das ist die deutliche, wenn auch banale Erkenntnis dieses Tages in Berlin.