Kleider machen bekanntlich Leute, im Beruf mehr noch als anderswo. Manager zum Beispiel belegen ihren Status ja gern durch nackenwärts gegeltes Haar überm Maßanzug. Handwerker tun das oft auf robustere Art, Tendenz Oberkörper frei. Die Showbranche hingegen neigt zum exaltierten Detail, ulkiger Hut oder Killerheels. Dann aber sitzt da dieser Mann, der irgendwie alles in einem ist, und wirkt bescheiden, schlicht, fast scheu, als sei er auf dem Weg in seinen Schrebergarten und nicht der Hauptverantwortliche vom neuesten Fernseherweckungsformat für die ganz breite Masse.

Sönke Wortmann braucht offenbar keine lauten Worte noch Gesten. Selbst ein Großprojekt wie das Historien-Event „Charité“ erklärt der berühmte Regisseur nationaler Gemütslagen vom ersten WM-Sieg bis zum Sommermärchen so unprätentiös leise, dass man schon sehr nah heranrücken muss an seinen Fusselbart überm abgewetzten Flanellhemd, um ihn zu verstehen. Und selbst dort fragt man sich: Ist das echt dieser Filmemacher, der seit seinem Kinodebüt „Allein unter Frauen“ kurz nach dem Mauerfall praktisch jeden seiner handverlesenen Filme in die Gewinnzone katapultiert hat? Kann so ein Promi wirken wie ein Frührentner beim Kreuzworträtsellösen?

Er kann!

Und vielleicht liegt das Geheimnis all seiner Triumphe ja genau darin begründet: dem Widerspruch zwischen Geräuschlosigkeit und Glamour, Flanellhemd und Showbiz, Fusselbart und Entertainment. Vielleicht ist Sönke Wortmann, vor äußerlich total unersichtlichen 57 Jahren am Westrand des Ruhrpotts geboren, besonders deshalb so erfolgreich, weil ihm die eigene Fassade weit weniger wichtig ist als die seiner Werke. Mit denen nämlich, das gibt er erfrischend offen zu, möchte Wortmann seit jeher vor allem eins: unterhalten. „Ich wollte schon damals Filme fürs Publikum machen, nicht fürs Feuilleton“, erzählt er von der Filmhochschule München, wo der verhinderte Fußballprofi nach drei Jahren Dritte Liga und einem Semester Soziologie ab 1983 ausgebildet wurde.

Sein Ziel, schon damals: Komödien statt Kunstkino. Für einen Filmemacher, dachte er bereits beim Studium, „gibt‘s nichts Schöneres als einen lachenden Kinosaal“. Bis auf wenige Ausnahmen, sah man das an der Uni allerdings ein bisschen anders. Während die Leitfarbe der Leinwand damals noch sozialkritisch grau war, malte die „Schwarzwaldklinik“ den Horizont am Bildschirm grad himmelblau. Grenzgänger wie er galten da „als Aussätzige“, erinnert sich Wortmann an die kleine Schar Gleichgesinnter im Münchner Regie-Fach. Zu denen auch ein vorglühender Fixstern am Firmament des Fernsehmainstreams zählte: Nico Hofmann. Mit süffiger Romantik, historischer Gefühlsverdichtung und viel Kulissenschieberei wurde Wortmanns Studienkollege bald zum erfolgreichsten Filmproduzent der deutschen Filmgegenwart.

Umso erstaunlicher, dass die zwei Mitschüler von einst erst jetzt auch beruflich miteinander ins Geschäft kommen. Das aber nach allen Regeln des Historytainments öffentlich-rechtlicher Bauart: Im Sechsteiler übers Berliner Krankenhaus gerät nämlich mal wieder eine hübsche Frau (hier die Aushilfspflegerin Ida) in voremanzipierter Zeit (hier das Dreikaiserjahr 1888) zwischen zwei Männer (hier Ärzte der Charité) und muss dabei selbstbestimmter, tougher, klüger sein, als das Patriarchat Idas Geschlechtsgenossinnen seinerzeit zugestand. Sönke Wortmann macht zwar mit glaubhafter Hingabe klar, dass ihn die Geschichte der vier real existierenden Charité-Legenden Robert Koch, Emil Behring, Rudolf Virchow, Paul Ehrlich im Umfeld weltpolitischer Umbrüche mehr interessiert habe als alle Gefühlsduselei. Trotzdem sei der fiktive Liebesreigen im hyperrealen Kontext kein Kompromiss, sondern Überzeugung. „Ich mache nur, was ich selbst gern sehe“.

Das war bei seinem Durchbruch mit „Kleine Haie“ 1992 ebenso der Fall wie bei Ralf Königs Comicadaption „Der bewegte Mann“ kurz darauf. Bernd Eichingers Humoroffensive vom „Superweib“ bis „Charley’s Tante“ inszenierte er Ende der Neunziger demnach mit der ähnlicher Überzeugung wie im 21. Jahrhundert Oliver Berbens Hochglanzdrama „Die Päpstin“. Und selbst das geigenumflorte „Wunder von Bern“ enthielt 2003 jene Dosis Pathos, die ihm auch persönlich gefalle. Dass Wortmanns „Charité“ dennoch überzeugt, liegt da am Talent zur gehaltvollen Hülle. Gut, auch diesmal sind Ausstattung und Kostüme vielfach authentischer als Dramaturgie und Dialoge. Doch nach einem Buch von Dorothée Schön, an dem die preisgekrönte Autorin volle sieben Jahre recherchiert hat, ging es Sönke Wortmann beim ersten Ausflug ins Serienfach spürbar mehr um Kontext als Romantik.

Hat dieser Spagat zwischen Bolzplatz und Boulevard womöglich mit seiner Heimatstadt zu tun? In Marl, wo der kleine Sönke lange bevor es ihn als Regie-Star mit drei Kindern nach Düsseldorf zog, von einer Bundesligakarriere träumte, verleiht das Grimme-Institut seit 1964 den wichtigsten deutschen TV-Preis. „In meiner Jugend hatte ich weder Film noch Fernsehen im Kopf, sondern nix als Fußball“, verneint das Provinzgewächs jeden Zusammenhang von Herkunft und Karriere. Er sagt das ganz leise, man muss genau hinhören.

"Charité" läuft ab dem 14. März immer dienstags um 20:15 Uhr im Ersten