„Ich bin die Award-Babsi. Ich verleihe in Deutschland alles, was es zu verleihen gibt.“ Der am Donnerstagabend in Düsseldorf verliehene Webvideopreis 2017 ist nun nach allen anerkannten und staatlich geprüften Kriterien in der ersten Liga deutscher Preisverleihungen angekommen: Er wird moderiert von Barbara Schöneberger und zieht sich am Ende wie Kaugummi. In gleich 25 Kategorien wurden am Donnerstagabend Gewinnerinnen und Gewinner gekürt. Das zog sich mehr als zweieinhalb Stunden, was offenbar auch den Veranstaltern ein bisschen lang wurde: Zum Ende hin entfielen in ein paar Kategorien die Vorstellungen der Nominierten. Stattdessen wurde gleich der Sieger bzw. die Siegerin gekürt.



Mit der Moderation durch Barbara Schöneberger, knackigen Einspielern von Postillon24 und kreativen Kategorienvideos war man um Kurzweiligkeit bemüht, aber die Fülle der Kategorien war einfach etwas zu viel des Guten. Erfreulicherweise zeigte sich der Webvideopreis an mehreren Stellen sehr selbstironisch und Schöneberger hat, einmal im Rampenlicht stehend, ja ohnehin mit nichts einen Vertrag. Schade nur, dass ihr im ISS Dome hin und wieder die Anspielfläche fehlte. Weder waren genügend (ihr) bekannte Gesichter im Publikum, noch zündete manche Referenz an die lineare Fernsehwelt („Wir sind fertig bis die ‚Tagesschau‘ beginnt“).

Und doch hätte kaum jemand den Marathon der Kategorien mit einer so gelungenen Mischung aus Respekt und gnadenloser Ehrlichkeit moderieren können wie Award-Babsi. Bei einer ewig langen Laudatio von „unserem Mann in Hollywood“ Ralf Möller steht sie abseits und fängt an, demonstrativ laut und deutlich zu gähnen. In einer der Kategorien war auch Heidi Klum nominiert. Schöneberger erinnert das Publikum: „Heidi Klum wird genau heute 44 Jahre alt. Teile von ihr.“ Immer wieder gingen aber auch die Einspielfilme auf Themen ein, die die Branche beschäftigen. Die Landesmedienanstalten bekamen im Film zur Kategorie Livestream verdientermaßen ihr Fett weg.

Webvideopreis 2017© DWDL.de


In jener Kategorie wurden u.a. die Rocket Beans übrigens von einer Oma geschlagen. Es wurde wirklich bewegend beim Webvideopreis als sich die Marmeladenoma auf der Bühne ihren Preis abholte. Mit der tatkräftigen Unterstützung ihres Enkels hat sie durch das Vorlesen von Märchen und anderen  Geschichten eine Fangemeinde im Netz erobert. In Düsseldorf gab es nun den Webvideopreis und Standing Ovations des Publikums im ISS Dome. Und die Marmeladenoma kann aus der analogen Welt berichten: „Ich bekomme bis zu zehn Briefe am Tag.“

In diesen und einigen anderen Kategorien zeigt sich, wie erwachsen Webvideo und auch die Verleihung geworden ist. Sperrigere Kategorien wie Arthouse, Education & Science oder Journalism flankieren längst das, was natürlich weiterhin auch nicht fehlen darf: Kochen, zocken, Lifestyle und Comedy. In diesen Kategorien entsteht der durch YouTube geprägte Personenkult. Der war auch beim Webvideopreis 2017 allgegenwärtig, obwohl Bianca „Bibi“ Heinicke gar nicht erst gekommen ist. Sie und Ihr Song waren trotzdem immer wieder Thema, sogar im Opening von Schöneberger, die sich an einer Balladenversion des Songs „How It Is“ versuchte.

Oder in der Dankesrede der Lochis (Gewinner in der Kategorie Original Song), die allen Gästen im ISS Dome lautstark „Schämt Euch!“ entgegen riefen und die Hasstiraden gegen Bibi und ihren künstlerisch fragwürdigen Song kritisierten. Witzige Randnotiz: Die Lochis dankten in ihrer Rede auch ihren Anwälten. Mehrfachgewinner gab es in diesem Jahr auch: Julien Bam und Dner alias Felix von der Laden. Wann immer sie die Bühne betraten, war Applaus und Geschrei groß. Erwachsener als einst bei der Comet-Verleihung von VIVA, aber immer noch sehr impulsiv.

Das unterscheidet den Webvideopreis noch von all den anderen Verleihungen, die Barbara Schöneberger veredeln darf: Dort mag es regelmäßig Applaus aus kollegialer Höflichkeit geben. Aber leidenschaftliche Emotionsausbrüche und ein (zumindest am Anfang der XXL-Verleihung) mitfieberndes Publikum geben dem Webvideopreis eine dringend nötige Dynamik. Es hätte dem Abend in Düsseldorf vermutlich auch gut getan, wenn einige der prominentesten Preisträger vor Ort gewesen wären. Doch Jan Böhmermann und Caroline Kebekus konnten nicht kommen. So fehlten der Verleihung potentiell pointierte Dankesreden und Barbara Schöneberger zwei weitere ihr bekannte Anspielpartner.

Webvideopreis 2017© DWDL.de


Doch der Webvideopreis kann zuversichtlich in die Zukunft schauen: Er hat sich seit der ersten, noch sehr bescheidenen Preisverleihung im Jahr 2011 passend zur Branche sehr vital entwickelt und 2018 wird da keine Ausnahme bilden. Fast beiläufig wurde im Rahmen der gestrigen Preisverleihung ein Knaller angekündigt: Aus dem Webvideopreis werden 2018 die Webvideotage. Nähere Details zu dem Projekt waren den beiden Geschäftsführern der European Webvideo Academy, Markus Hündgen und Dimitros Argirakos, auf der Aftershowparty nicht zu entlocken. 2011 gab es schon einmal die Deutschen Webvideotage - damals wurde dabei der Webvideopreis geboren.

Wenn die starke Aftershow-Party im Düsseldorfer Medienhafen ein Indiz war, dann ist dies ein logischer Schritt: Kaum eine kreative Branche braucht solche Events so dringend zum Networking wie die Webvideo-Szene. Während andere Branchen in der Professionalisierung weit homogener sind, Reisebudgets und Co. zur Standardkalkulation gehören, zeigte der Webvideopreis 2017 in Düsseldorf, dass trotz stetiger Weiterentwicklung - und manchmal auch übertriebener Kommerzialisierung - noch immer Underdogs mit nicht mehr als einer Idee, Kamera und Internetanschluss ein Publikum finden können. Manch einer trifft bei einer Veranstaltung wie dem Webvideopreis dann erstmals auf so viel persönliches und fachliches Feedback.

In diesem Jahr wurde der Webvideopreis im Netz übertragen. Vor zwei Jahren hatte man zwar auch schon einmal die große TV-Bühne ausprobiert, doch die klassische Fernsehübertragung bringt (zeitliche) Limitierungen mit sich. Andere Preisverleihungen können schon lange ein Lied davon singen. Gebraucht hat der Webvideopreis die TV-Präsenz nicht. Kooperationen mit Fernsehsendern aber durchaus: Eine Kategorie wurde in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit RTL und EndemolShine Beyond ausgelobt und auch das ZDF und seine Initiative zum ZDI (Zweiten Deutschen Internet) fand Platz. So werden Brücken gebaut.

In Form, Verständnis, Partnerschaft und blonder Gallionsfigur auf der Bühne ist man angekommen in der ersten Liga der Preisverleihungen. Der gemeinsame Nenner von Fernsehbranche und Webvideo ist nach all den Jahren des Konkurrenzdenkens endlich gefunden: Beide haben das Recht auf Preisverleihungen, die sich ziehen können. Nur ein Unterschied war bis vor zwei Jahren undenkbar: Bei der einen können die Fans zuschauen, bei der anderen nicht. Da hat der Webvideopreis dem Deutschen Fernsehpreis etwas voraus.

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