Das unschlüssige Gesicht des Intendanten spricht Bände. So sehen Sieger aus, die genau wissen, dass sie mit zu wenig Gegenwehr vom Platz kommen. Dabei hat Manfred Krupp extra viel Angriffsfläche geboten. Vor knapp 100 Sportfunktionären hat er gerade eine halbe Stunde lang frei referiert. Darüber, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk angesichts der "immer weiter fortschreitenden Aufsplittung von Öffentlichkeit" eine historische Aufgabe zu bewältigen habe, nämlich "eine möglichst große Gesamtöffentlichkeit" herzustellen. Und wieso Sportübertragungen dafür strategisch wichtig seien, um nämlich Menschen zu erreichen, die sonst eigentlich nicht mehr einschalten und so zumindest in der Halbzeitpause die "Tagesschau" mitbekommen.

Und weil es sich an diesem sonnigen Maimittag in Frankfurt um die Zehnjahresfeier der Deutschen Olympischen Akademie handelt, hat Krupp auch nicht mit Kritik an der IOC-Entscheidung für die TV-Rechtevergabe an Discovery gespart. Das sei eine bewusste Entscheidung gewesen, "lieber eine höhere Marktkapitalisierung als eine große Verbreitung der Spiele" anzustreben. Die anwesenden Sportverbände steckten somit nun "im Zielkonflikt".

Doch alles, was aus dem Auditorium kommt, als der Programmpunkt "Diskussion" aufgerufen wird, ist in Ironie gekleidetes Jammern vom Hockeybund-Präsidenten: Warum die "Sportschau" nicht ehrlicherweise "Fußballschau" heiße, will er wissen, und warum die ARD nicht zusätzlich eine "Randsportschau" ins Programm nehmen könne. Die alte Leier, die einen Routinier wie Krupp kaum fordert. Vokabeln wie "Brücken schlagen", "Abstrahleffekte auf weniger populäre Sportarten" und "Events bündeln" betet der Eintracht-Frankfurt-Fan zur Not im Schlaf herunter. Hier hätte er mit deutlich mehr Gegenwind gerechnet. Schnell noch ein paar Hände schütteln, und während die versammelte Funktionärsriege zum Mittagsimbiss greift, sitzt Krupp schon wieder im Fond seiner Dienstlimousine auf dem Weg zurück in den Sender, iPad und iPhone griffbereit auf dem Schoß.

Während er ein paar Mails überfliegt, geht es ums Grundsätzliche. Solche Termine wie gerade eben bei der Olympia-Akademie nimmt er je nach Kalender ein- bis zweimal pro Woche wahr. "Um mit verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen ins Gespräch über Entwicklung und Stellenwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu kommen", sagt Krupp, "um gegenseitiges Verständnis zu erzeugen." Auf eine Zusage kommen mindestens zehn Absagen. Was dem HR-Chef die Sache erleichtert: Er braucht nur einige handschriftliche Stichpunkte, die er sich beim Frühstück notiert, um später auf einer Bühne rhetorisch dicht, angenehm strukturiert und mit überzeugenden Gedankengängen zu sprechen. So wie er beherrschen das nicht viele Anstaltsfürsten. Anders als sein Vorgänger Helmut Reitze lässt er sich seine Reden nicht schreiben. "Ich hab's probiert, aber ich bin einfach nicht gut darin, Texte anderer abzulesen", so Krupp.

Dass er trotz anfänglicher Skepsis zugestimmt hat, sich an zwei Tagen vom Medienmagazin DWDL.de im Intendantenalltag begleiten zu lassen, liegt auch an einer Hinterlassenschaft Reitzes. Der HR war bis Juni die einzige verbliebene ARD-Anstalt, die das Gehalt ihres Intendanten noch nicht offenlegen musste – und es auch nicht freiwillig tat. Nach der entsprechenden Änderung des HR-Gesetzes wissen wir nun, dass Krupp 2016 rund 275.000 Euro brutto verdient hat. Etwas weniger als sein Vorgänger, genauso viel wie MDR-Intendantin Karola Wille, mehr als die Kollegen der Kleinstsender Radio Bremen, RBB und SR, aber deutlich weniger als die 399.000 Euro von WDR-Boss Tom Buhrow oder die 367.000 Euro von BR-Spitzenmann Ulrich Wilhelm. Seine Zusatzjobs erledigt Krupp ehrenamtlich, darunter die als Hauptgeschäftsführer der HR-Werbung, als Vorsitzender der ARD-Verwertungskommission, der ARD-Medienkommission oder des Beirats der ARD/ZDF-Medienakademie.

Manfred Krupp© hr/Ben Knabe

Beim Mittagessen in der HR-Kantine – zwei Tage nachdem "Bild" und epd vor der offiziellen Offenlegung über sein Gehalt berichtet haben – gibt Krupp zu, das habe ihn übers Wochenende "gequält". Nicht weil er die grundsätzliche Diskussion scheue, eher weil sich die Außenwirkung einer solchen Zahl nie ganz abschätzen lasse. Immerhin kam sonntags die Entspannung: Neben dem Aktenstudium zu Hause fand der Hobbykoch noch Zeit, drei Kilo Spargel zu schälen und zu kochen. Zur Freude seiner Frau, einer Genderforscherin an der Frankfurter Goethe-Uni, tobt Krupp sich gelegentlich in der Küche aus, besonders gern beim Kuchenbacken. Auf dem Flur vor der Kantine bleibt eine junge Mitarbeiterin stehen, als sie den Intendanten sieht. "Jetzt weiß ich endlich mal, was Sie verdienen", schmunzelt sie. "Im Vergleich zu Buhrow jedenfalls zu wenig."

Bei der Annäherung an die Frage, was ein Intendant für sein Geld so alles tut, treffen wir nicht nur einen leidenschaftlichen Streiter für das öffentlich-rechtliche System im Allgemeinen und den HR im Besonderen, sondern auch einen Manager, der mitten im Umbruchprozess seiner Anstalt steckt und die tradierte Organisation mit seinem Tempo bisweilen an die Grenzen treibt. Schon voriges Jahr hatte er tiefgreifende Veränderungen angekündigt, um Liquidität und Zukunftsfähigkeit des HR über das Jahr 2020 hinaus zu sichern. Für einen, der 1984 als Volontär ins Funkhaus am Dornbusch kam und dort über 30 Jahre eine Karrierestufe nach der anderen erklommen hat, ehe er voriges Jahr schließlich Intendant wurde, blickt Krupp erstaunlich kritisch aufs eigene Haus. Keine Spur von Scheuklappen, nahezu alles wird intern hinterfragt.

Das bekommt der sogenannte "engere Führungskreis" zu spüren, der aus knapp 40 Personen besteht – neben den Direktoren auch die Bereichs- und Hauptabteilungsleiter – und den Krupp alle zwei Monate zusammenruft. Diesmal, an einem sommerlichen Montag zwischen 17 und 19 Uhr, soll es um die Weiterentwicklung der Führungskultur gehen. Leifrage: Wie managen wir den Wandel? Einer in der Runde beschreibt offen und ehrlich seine Überforderung damit, immer mehr Mitarbeiter für Arbeitsgruppen zur Strukturreform abzustellen und gleichzeitig den redaktionellen Betrieb mit knapper Personaldecke aufrechtzuerhalten. Er spricht von einem "Mit-dem-Rücken-zur-Wand-Gefühl". Ist das der Punkt, an dem ein Intendant eingreifen und beruhigen sollte? Krupps Methode ist eine andere. "Dieses Gefühl ist manchmal gar nicht so schlecht", entgegnet er. "In der aktuellen journalistischen Arbeit müssen wir ja auch jeden Tag wieder bei Null anfangen."

"Je enger die finanziellen Spielräume, desto entscheidender der Umgang mit den Mitarbeitern"

HR-Intendant Manfred Krupp
 

An den Gesichtern um sich herum merkt er jetzt, dass seine Formulierung vielleicht ein bisschen zu radikal angekommen ist. Dass die Mannschaft nach Empathie giert. Also legt er nach: "Das ist dasselbe Problem wie bei uns in der Geschäftsleitung auch. Solange Einsparungen und Umstrukturierungen noch abstrakt sind, fällt es leicht, dem Prinzip zuzustimmen. Aber wird es dann konkret, ist das oft mit Schmerzen und vermeintlichem Bedeutungsverlust verbunden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit dem Struktur- auch den Kulturwandel hinkriegen. Je enger die finanziellen Spielräume, desto entscheidender der Umgang mit den Mitarbeitern." Nach einem längeren Plädoyer, in dem auch der gesellschaftliche Auftrag vorkommt, ist die Motivationsskala der Anwesenden spürbar gestiegen. Als ob er gar nicht anders kann als nun nochmal aufs Gas zu drücken, lässt Krupp seinen Appell in einem Zitat der Augsburger Puppenkiste gipfeln: Man solle es mit deren Figur "Opa Deldok" halten, der immer sagte: "Früher war alles schlechter!"

Wie es zugeht, wenn die Direktoren unter sich sind, und warum Manfred Krupp manchmal aus Versehen Fernsehdirektor spielt, lesen Sie auf der nächsten Seite...