Am 1. Oktober wurde Günter Wallraff, der bekannteste Undercover-Reporter des Landes, 75 Jahre alt. Acht Tage später wird er nun auch im Fernsehen mit der Doku "Wallraff war hier" gewürdigt - und zwar bei RTL, das Wallraff nun schon seit einigen Jahren seine TV-Heimat bietet. Es ist eine noch immer ziemlich überraschende Zusammenarbeit, nicht nur, weil es sich ein Privatsender erst einmal leisten wollen muss, Wallraff und ein ganzes Team für lange und teure Undercover-Recherchen zu beschäftigen, bei denen dann manchmal noch nicht mal eine veröffentlichbare Reportage herauskommt, sondern auch, weil man einen wie ihn doch zunächst Mal bei den Öffentlich-Rechtlichen verorten würde.

Tatsächlich schalte er "seinen" Sender kaum selbst ein, sagt Wallraff wenige Tage vor seinem Geburtstag vor einigen Journalisten bei ihm zu Hause in Köln-Ehrenfeld. Und er hält auch nicht mit Kritik hinterm Berg: Mit Blick auf Formate wie "Schwiegertochter gesucht", bei dem Jan Böhmermann in bester Wallraff-Manier den unwürdigen Umgang mit Kandidaten offengelegt hatte, was ihm nebenbei gesagt Lob vom Altmeister einbrachte, sagt er: "Unterhaltung muss auch anders gehen." Und mahnt den Sender: "Manchmal sind die Zuschauer weiter als die Sender-Verantwortlichen sie einschätzen." Und doch fühlt er sich bei RTL bestens aufgehoben. "Ich werde nicht benutzt, ich nutze den Sender", erklärt Wallraff.

Das liegt zum Einen an der Zielgruppe: Mit seinen Reportagen, in denen es meist um prekäre Arbeitsbedingungen, geht, will er gerade auch jüngere Leute erreichen, was bei ARD und ZDF immer schlechter gelinge - zumal es kaum denkbar erscheint, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihm regelmäßig einen so prominenten Sendeplatz in der Primetime freiräumen würden. Dazu kommt, dass er gerade auch jene erreichen will, die von diesen Arbeitsbedingungen betroffen sind und die dann vielleicht nicht die typischen Arte- und Phoenix-Zuschauer sind. Noch wichtiger aber: Er fühlt bei RTL offenbar einen Rückhalt, den es nach seinen Aussagen bei den Öffentlich-Rechtlichen so nie gab. Über die Redakteure dort verliert er kein schlechtes Wort - doch einen Großteil seiner Energie habe er auf Diskussionen mit und Gutachten für die Hausjuristen verwenden müssen.

Auch RTL hat er schon einige teure juristische Auseinandersetzungen beschert, doch dort sei man bereit, durch die Instanzen zu gehen, ganz nach dem Moto "Jetzt erst recht". Drei von 13 Folgen von "Team Wallraff" zogen bis jetzt Prozesse nach sich. Wallraff sieht das mehr als Auszeichnung denn als Problem: Er habe schon überlegt, was er falsch mache, bis die erste Klage ins Haus geflattert sei. Und mit Blick auf die Unternehmen, die gegen "Team Wallraff" vorgehen, schiebt er mit einem Lächeln hinterher: "Da prozessieren genau die Richtigen." Dass manche Szenen oder Behauptungen von Gerichten verboten wurden, ficht ihn dabei nicht an. Man werde es bei Undercover-Reportagen nie hinkriegen, dass jede einzelne Szene belegbar sei - aber man stehe zu allem, was gesendet wurde und sei in den Grundaussagen auch noch nie widerlegt worden.

Trotzdem zucke er zusammen, wenn er heute manchmal von jüngeren Menschen mit den Worten "Sie sind doch der von RTL" angesprochen werde. "Mich gab's ja schon vorher", sagt Wallraff. Was er während dieses "Vorhers" geleistet hat, zeigt RTL seinen Zuschauern am Montag im Anschluss an eine neue Ausgabe von "Team Wallraff" in der einstündigen Dokumentation "Wallraff war hier". Lutz Hachmeister ist dafür mit ihm beispielsweise zu dem Gefängnis gereist, in dem er in den 70ern 77 Tage in Haft saß, weil er sich während der griechischen Militärdiktatur Flugblätter verteilt und sich angekettet hatte. Auch nach Hannover fährt man, wo er als Hans Esser einst die Methoden der "Bild"-Zeitung aufdeckte - auch wenn in dem Gebäude längst nicht mehr "Bild" sitzt. Er trifft nochmal auf jene, mit denen er einst als Türke Ali für "Ganz unten" geschuftet hat. Und er gibt auch persönliche Einblicke in sein Leben und seine Haltung.

Ein Nachruf ist es gleichwohl nicht, denn auch im Alter von 75 Jahren ist Wallraff weit vom Ruhestand entfernt, täglich wenden sich Menschen an ihn, die ihn um Hilfe bitten - und er versucht seine Beziehungen zu nutzen, um diesen Menschen auch wirklich zu helfen. Auch das ist im Film zu sehen. Die Undercover-Arbeit überlässt er heute hingegen gerne auch Jüngeren, seinem "Team Wallraff", dem er mit Rat und Tat zur Seite steht. Er sehe dort mehrere Mitarbeiter, die sowohl Biss als auch Gechtigkeitsempfinden mitbrächten, die sich mit persönlichem Einsatz über Wochen und Monate prekären Bedingungen aussetzen würden und die somit auch in seine Fußstapfen treten könnten. Doch noch ist vom Aufhören keine Rede. Er gebe sich immer zwei Jahre und plane für diese Zeit - und dann gebe er sich wieder zwei Jahre. Und es klang nicht so, als müsste RTL demnächst ohne ihn auskommen.

RTL zeigt heute um 21:15 Uhr "Team Wallraff - Reporter undercover" und im Anschluss um 22:15 Uhr die Dokumentation "Wallraff war hier".