Man muss sich deutsche Küchen im Herbst 2005 als Zonenrandgebiete des Lebens vorstellen. Gekocht wird zwar auch damals schon vielfach mit Hingabe. Doch in der Regel dient sie eher dem Ziel schmackhafter Sättigung als einer extrovertierten Art von kulinarischer Selbstinszenierung. Und so hackt "Bernd, 35, Medienberater" das Kraut seiner Dillcremesuppe nicht mit dem zwölffach gefeiten Bunka Hocho japanischer Herkunft, sondern irgendwas Schneidigem von Zwilling, bevor er zum Hauptgang allen Ernstes Kartoffelstampf serviert! Aus dem Edelstahltopf statt der Kupfer-Sauteuse!! Auf runde Teller!!!

Mit Blümchenrand!!!!

Es sind halt andere Zeiten, als "Das perfekte Dinner" mit besagtem Bernd zum Auftakt Debüt feiert. Bis Johannes B. Kerner im Jahr zuvor anstelle des verletzten Stargastes George Clooney fünf Topköche zum Schaukochen in seine Talkshow lud, hatte sich die Haute Cuisine noch hinter den Hochglanzfassaden ihrer Sternerestaurants verschanzt. Seit 2003 aber trieb ihr Kerners Ersatz Tim Mälzer mit Hamburg Schnack und Dosengemüse ein wenig ihres elitären Dünkels aus, was die medienerfahrenen Rainer Sass und Johann Lafer ebenso wie die TV-Novizen Sarah Wiener und Ralf Zacherl fortan bis zum Völlegefühl fortsetzten. Doch keine Show, kein Maître, keine noch so wüste Küchenschlacht hat die Befriedigung des Grundbedürfnisses schlechthin mehr verändert als jene Sendung der RTL-Tochter Vox, die heute unfassbare 3000 Ausgaben feiert.

Dabei war der Titel keinesfalls Programm. „Zu Beginn“, erinnert sich Redaktionsleiterin Katja Rieger, „ging es nicht nur ums perfekte Dinner, sondern einen Tabubruch“. Fremde Menschen in den eigenen vier Wänden zu bekochen nämlich, die sozialkonfrontative Basis dessen, was das Privatfernsehen bald darauf unter der Klammer Real Life beherrschen sollte – auch wenn die Miterfinderin so natürlich nicht über „mein Baby“ spricht. Weil Kochen und Geselligkeit anfangs gleichrangiger waren, habe es „auch mal Reiswaffel mit Gurkenscheibe als Vorspeise“ gegeben, erinnert sich Rieger. In der heutigen Jubiläumsfolge hingegen mischt Hochzeitsplanerin Kerrin Wasabischaum unters Thunfischtatar, nachdem das Erbscappuccino ihrer Vorgängerin Sabine mit Minzmilchschaum und Frischkäsepralinen veredelt wird, um in der Paderborner Runde Eindruck zu schinden.

Gewiss, auch 2.999 Drei-Gänge-Menüs nach Bernds Premiere kocht das Gros der Teilnehmer nicht an Kochinseln mit Muldenlüfter; der Situation des Wohndurchschnitts entsprechend dominiert weiterhin das Ikea-Ensemble mit Blick auf die Wand. Trotzdem hat "Das perfekte Dinner" die Tischsitten stärker geprägt als all die Bioleks, Hensslers, Olivers zusammen. Und das will nach 65 Jahren Fernsehkochhistorie schon was heißen. 1953, als der Herd noch fest in Hausfrauenhand war, wurde Clemens Wilmenrod zum ersten Genre-Star. Doch gerade weil er weder Ahnung noch Ausbildung hatte, gebar der Schauspieler den Typus TV-Koch, wie wir ihn heute kennen: irgendwie kompetent, leicht frivol, relativ heiter, eifrig um das Leibeswohl bemüht, aber auch die Wertschätzung der Nahrung an sich.

Das galt in der öffentlich-rechtlichen Monopolphase auch für Max Inzinger und Rainer Sass, das verfeinerten Alfons Schuhbeck und Johann Lafer im dualen System, das taten abgesehen von Einzelkämpferinnen wie Léa Linster allein die Herren der Töpfe, bevor Kochpunks von Mario Kokoska bis Frank Rosin Gesellschaft von Cornelia Poletto und Sarah Wiener bekamen. Zu Spitzenzeiten des Genres im vorigen Jahrzehnt brachten sie es gemeinsam auf gut 100 Shows pro Woche. Dennoch hängt den Profis das seltsam Distinguierte eines Monarchen an, der zum Pöbel hinabstieg. Dorthin also, wo "Das perfekte Dinner" spielt, sofern es sich kein Promi dazwischen klemmt.

Hier geht auch mal gehörig was schief, wenn Laien sich mit eigens zugelegtem Hightech-Equipment am Stickstoff der Molekularküche versuchen oder auch nur am Mirakel der Gänsekeule. Hier scheitern aber auch Männer oft menschlich an der Monstranz ihrer Selbstgerechtigkeit, während Frauen zusehends dem Drang folgten, wenigstens in dem Punkt emanzipatorisch aufzuholen. Hier gibt es schließlich (wenngleich selten) die Maximalpunktzahl von viermal zehn der Mitstreiter um 1500 Euro Prämie, aber (eigentlich immer) Einblicke in den Alltag des Mittelstands.

So sah das Intro der ersten Sendung aus. Die komplette Woche gibt's kostenfrei bei "TV Now"

Regieanweisungen, beteuert Katja Rieger, gäbe es hinter den zwei Kameras zwar nicht, "höchstens Regelerklärungen". Und weil Essen auch Kommunikation ist, sei ein kleiner Ansporn zum Gespräch schon mal drin, insgesamt aber könne man sich auf die interaktive Dynamik sorgsam gecasteter Personen vom selben Standort verlassen, die neben dem Essen auch die Wohnsituation inspizieren. Und obwohl es das Dessert dank vieler Off-Kommentare von Daniel Werner ("er überredet die Kartoffel mithilfe eines Schälers zum Striptease") rückwärts nach oben drängt, erreicht das Format nicht mehr die 3,5 Millionen Zuschauer der Glanzzeit, aber solide Quoten knapp unter Senderschnitt. Was auf dem Kampfsendeplatz um sieben aller Ehren wert sei. Besser jedenfalls als bei manchem der zwei Dutzend Ableger, die schon mal zur indischen Daily Soap werden oder wie in Brasilien beim Frühstücksfernsehens serviert.

Das britische Original Come Dine With Me nennt Katja Rieger "etwas trashiger". Bisschen mehr Krach und Trara, bisschen weniger Avocado-Tartar. "Auch bei uns darf durchaus Reibung entstehen", räumt die Real-Life-Chefin von Vox ein, weshalb eine "Krawallbirne im Team" freundlich ausgedrückt: nicht unerwünscht sei. Im Kern jedoch geht es wie einst beim Dill-Fan Bernd und seinen Kölner Premierengästen nur zum Teil ums perfekte Dinner. Wichtiger ist ein unterhaltsames Miteinander. Bei gutem Essen. Und etwas Gezicke.

Vox zeigt "Das Perfekte Dinner" montags bis freitags um 19 Uhr.
Die Pilotwoche aus dem Jahr 2006 stellt Vox bei "TV Now" zwei Wochen lang kostenfrei zum Abruf bereit.