Andrew Keen spricht von einer „massiven Umverteilung“. Rund 50 Milliarden Dollar pro Jahr seien zuletzt aus der traditionellen Kreativ- und Medienindustrie zu den wenigen globalen Monopolisten des Silicon Valley geflossen, so der Internet-Unternehmer, Futurecast-Gründer und Buchautor. Das Problem dabei: Im Gegensatz zu TV-Sendern, Filmstudios oder Plattenfirmen gebe es bei YouTube, Facebook & Co. keine aktiven Investitionen in Talent und keine aktive Kuratierung von kulturellen Inhalten. Ebenso, glaubt Keen, haben die „vier Reiter der Apokalypse“ – alias Google, Facebook, Apple und Amazon – den klassischen Journalismus in ihrem anhaltenden Kampf um Aufmerksamkeit „verschlungen“.

Was Keen in seinem gerade erschienenen Buch „How to Fix the Future“ schreibt und persönlich im verschneiten München auf der DLD-Konferenz von Hubert Burda Media vorträgt, klingt durchaus dramatisch: „Das ultimative Opfer der angeblichen ‚Demokratisierung‘ der Medien ist die Wahrheit höchstselbst. Ohne Gatekeeper, Fact-Checker und Redakteure, die in der Lage sind, die Wahrheit eines Zeitungsartikels oder eines Fernsehbeitrags zu verifizieren, sind deine Fake News genauso wahr wie meine.“

Bemerkenswert häufig ist auf dieser DLD-Konferenz von Regulierung und Zerschlagung die Rede. Oft sind es US-amerikanische Wissenschaftler, Unternehmer und Investoren, die davon sprechen und in der Regulierung durch die Europäische Union eine Art Heilmittel für die digitale Zukunft sehen. Ungewohnte Töne also. Da passt es ins Bild, dass Facebook-Manager Elliot Schrage, Vice President Communications & Public Policy des Social-Media-Konzerns, geradezu kleinlaute Äußerungen von sich gibt. Das Unternehmen müsse seiner Verantwortung besser gerecht werden, es sei bisher zu langsam und nicht effektiv genug in Sachen Missbrauchsbekämpfung gewesen.

Die jüngst angekündigten Änderungen hinsichtlich der Gewichtung persönlicher Verbindungen und der Bewertung vertrauenswürdiger News-Quellen durch die Nutzer (DWDL.de berichtete) seien entscheidende Schritte zur Verbesserung, so Schrage. Aus dem Publikum kommen dennoch kritische Nachfragen. Ob die Medien, die Facebook zur Distribution ihrer Inhalte nutzen, jetzt so etwas wie ein Kollateralschaden seien, fragt Daniel Fiene, Leiter Digitalstrategie der „Rheinischen Post“. „Die Medien, die die besten und vertrauenswürdigsten Inhalte haben, werden auch künftig gute, wichtige Partner für Facebook sein“, versucht Schrage zu beruhigen. Allerdings sollten sie ihren Mix überdenken: „Für kein Medium ist es eine gute Idee, nur Facebook als Distributionsplattform zu nutzen.“

Bei aller berechtigten Kritik an Facebook stehen auch die Medienunternehmen und die Nutzer in der Verantwortung. Mehrere DLD-Speaker machen das deutlich. Eine „Entfremdung vom Endkunden in doppelter Hinsicht“ – nämlich inhaltlich und, was die Plattformen betrifft, auch örtlich – sei nicht zu leugnen, so dpa-Geschäftsführer Peter Kropsch. Gleichzeitig sehe er gute Chancen, die Verbindung zum Publikum wieder enger zu knüpfen: „Unsere Kunden – also die Verlage und Sender – analysieren die Bedürfnisse von Lesern und Zuschauern derzeit besser denn je. Kontext wird immer wichtiger, maßgeschneiderte Angebote treten tendenziell an die Stelle von Massenprodukten.“

DLD Munich 18© picture alliance/Andreas Gebert

"Alte Ideen killen": Burda-Digitalvorstand Stefan Winners und Harvard-Professor Bharat Anand (v.l.) beim DLD

Auch Bharat Anand, Professor an der Harvard Business School und Autor des Fach-Bestsellers „The Content Trap“, erinnert die Medien an ihre eigene Verantwortung. Größtes Asset eines Medienunternehmens seien nicht die publizierten Inhalte, sondern vielmehr die Fähigkeit, sich der notwendigen Veränderung anzupassen. Und die größte Herausforderung heißt laut Anand entsprechend: „Alte Ideen killen, um Platz für neue zu machen.“ So wie Netflix es mit seinem ursprünglichen Geschäftsmodell DVD-Verleih zugunsten von Online-Streaming getan habe. „Genauso wie es für den Zustand der Musikindustrie die falsche Frage war, was mit der CD passiert, ist es jetzt für die Film- und Fernsehindustrie die falsche Frage, was aus dem linearen Sendebetrieb wird. Man sollte sein eigenes Business etwas agiler definieren“, empfiehlt Anand im Talk mit Burda-Digitalvorstand Stefan Winners, der wiederum in einem Halbsatz zum Besten gibt, Facebook habe ihn als Interviewer für Elliot Schrage abgelehnt.