Eine Frau stirbt nach schwerer Krankheit, die Tochter weint am frischen Grab, der Himmel ist angemessen grau, das Drama demnach vorprogrammiert – wer sich sowas ausdenkt, verfasst gemeinhin Drehbücher für den sozialkritischen ARD-Mittwochsfilm. Aber Sonntagsschnulzen im Zweiten Programm, wo Sonnenuntergänge allwöchentlich mit Herzen um die Wette glühen? Zum besseren Verständnis bedarf es da dringend noch der zehnminütigen Anfangssequenz vor Lisa Bayliss‘ tränennasser Beerdigung. Sophie von Kessel stürmt darin als reizende Bibliothekarin Rebecca durch die Ladentür des feschen Möbelhändlers Joss (Michael Lesch), in den sie sich Hals über Kopf verliebt, bevor der neue Mann (Horst Jansen) ihrer todgeweihten Mutter (Heidelinde Weis) um einen Abschiedsbesuch auf Ibiza bittet und so das in Gang setzt, was seit genau 25 Jahren verlässlich für Topquoten im Zweiten sorgt:

Rosamunde Pilcher.

"Stürmische Begegnung" hieß das Debüt dieser endlosen, vor allem: endlos erfolgreichen Filmreihe, in dem sich Rebecca und Joss erst sehr schnell nahekommen, dann noch viel schneller voneinander entfernen, um nach allerlei Verwicklungen, Missverständnissen, Teilkatastrophen glückselig durch die südenglische Landschaft zu tollen, das Hochzeitsaufgebot vor Augen. Heute Abend läuft – je nach Zählweise – die 142. Eheanbahnung dieser Machart. Und sie wird – Achtung: kein Spoiler! – damit enden, dass der nette Naturbursche Bill (Jens Atzorn) die zuckersüße Cottage-Erbin Lilli (Anna Herrmann) nach allerlei Verwickl… Aber das hatten wir ja schon.

So wie absolut jeden einzelnen Handlungsstrang einer Filmreihe, die unserem eng begrenzten Sprachraum nicht nur das drollige Halbwissen beschert, alle Welt kommuniziere an jedem Ort des Planeten ausnahmslos in geschliffenem Hochdeutsch; sie hat uns auch ein paar Neologismen geschenkt: Pilcherisierung zum Beispiel, Eskapismus oder Süßstoff-Offensive, in der das ZDF gemeinsam mit der ARD-Schnulzenschmiede Degeto seit langem die Gehirne des alternden Stammpublikums verklebt. Auf Rosamunde Pilcher folgte ab 2003 nämlich "Inga Lindström" auf demselben Sendeplatz, drei Jahre später kurz ergänzt ums "Tal der wilden Rosen", das 2010 von "Katie Fjordes" neuenglischem Liebesnest ersetzt wurde.

Gemeinsam mit dem Urschlamm berechenbarer Gefühlswelten aus Cornwall bringen es die Auslandsromanzen deutscher Provenienz auf unfassbare 246 Episoden, in denen die Chance, Denise Zich, Michael Degen, Tanja Wedhorn, Patrik Fichte oder Gaby Dohm zu begegnen, bei nahezu 100 Prozent liegt. Von den zahllosen Spielfilmen ohne Reihencharakter auf gleichem Kanal ganz zu schweigen. Am 21. Oktober zum Beispiel "Ein Sommer in Oxford", und einmal darf man raten, was bis zum "heute-journal" mit der hübschen Akademikerin Nina und dem adretten Klempner Daniel passiert, nachdem Dominik Raacke als öliger Hochschulprofessor abserviert wurde. Genau!

Dennoch ist es Fakt, dass das ZDF damit ein Vielfaches der Zuschauer dramaturgisch anspruchsvoller Erstausstrahlungen im "Kleinen Fernsehspiel" erreicht. Selbst Wiederholungen schaffen es leicht über vier Millionen, was qualitative Grundsatzkritik am Format quantitativ unterhöhlt. Besonders ältere Menschen, dafür braucht man kein kulturwissenschaftliches Studium, sehnen sich nun mal nach Verlässlichkeit im Mahlstrom aufgelöster Gewissheiten und Werte. Rosamunde Pilcher mag hierfür ein rückwärtsgewandtes Weltbild kolorieren, das einen bluttriefenden Heimatbegriff transportiert, die heterosexuelle Hochzeit als (besonders weiblichen) Lebenszweck lobpreist und frohlockende Werktätigkeit zum gesellschaftlichen Regelfall erklärt.

Armut kommt im ländlichen Makrokosmos flächendeckender Glückseligkeit daher nur selbstverschuldet zustande, während (meist dunkelhaarige) Nebenbuhler der (meist blonden) Märchenprinzen auf dem dornigen Weg zur holden Prinzessin kapitalistische Ausbeuter, aristokratische Faulenzer oder beides in einem sind. Man erkennt sie durch alle Modeepochen der vergangenen 25 Jahre gut am zurückgegelten Haar plus verschlagener Mimik. Was die weißen Reiter jedoch oft mit den Antagonisten eint: Zwischen heiler Natur und urbanem Moloch sehnen sich alle, wirklich alle nach den Wurzeln ihrer Herkunft. Die Scholle als Idealtypus des verstädterten Erdballs. Klingt reaktionär? Nun, nach diesem Prinzip trotzen auch Stadtfluchtmagazine wie "LandLust" dem Niedergang des Printsegments.

In der anschwellenden Kakophonie aus Digitalisierung, Klimawandel, Populismus und Hyperindividualismus ist es nämlich kein Wunder, dass sich krimimüde, fortschrittsgeplagte, also irgendwie affektkonservative Couchpotatos erschöpft in eine Gestrigkeit verkriechen, die auch Königshochzeiten oder Volksmusikfestivals simulieren. Würde nicht nahezu jeder Dialog bei Rosamunde Pilcher so fürchterlich nach jenem Papier rascheln, von dem er abgelesen wird, gäbe es nicht den rückgratlosen Zwang zum dekorativen Klischee von Oldtimern über Tweed-Anzug bis Dudelsack, gönnte sich die Reihe also einfach mal etwas Eigensinn, anstatt nichts als leicht erreichbare Instinkte zu bedienen – sie wäre in ihrer akkuraten Märchenhaftigkeit eine Art Fantasy weltliche Natur. Ohne Zombies, ohne Orks, ohne Tod und Elend, aber mit Happyend-Garantie und einer Illusion: irgendwo da draußen wartet Erlösung. Selbst wenn dafür die Mama stirbt.