Es war vor dreißig Jahren, im September 1988, als Gerhard Ackermans nach Unterföhring kam. Ein ziemlich verschlafener Ort im Nordosten von München. Die einzig wirklich spannende Persönlichkeit dort: Dr. Leo Kirch, Filmhändler, Medienunternehmer und Inhaber der Kirchgruppe. Adresse: Betastraße 1. Ich, Georg Kofler (31 Jahre alt), war seit einem Jahr sein Assistent, Büroleiter, Bürochef …  je nach Interpretation. Ende 1986 war ich vom öffentlich rechtlichen ORF in die Höhle des Löwen des noch jungen Privatfernsehens in Deutschland gewechselt.

Gerhard Ackermans war ein solider, bodenständiger Geschäftsmann. Wohnhaft in Mönchengladbach. Einer der beiden Gründer des Allkauf-Konzerns. Ein vermögender Mann. Einer seiner Bekannten, Heiner Wehking, hatte ihm vom neuen Fernsehen erzählt. Satellitenfernsehen. Da ist Ackermans eingestiegen bei Eureka TV. Auch der damalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, war fasziniert. Schleswig-Holstein wollte einen der drei verfügbaren Fernsehtransponder des TV SAT bekommen. So hieß der neue Satellit, der Fernsehprogramme übertragen konnte, die mit einer kleinen Parabolantenne, Durchmesser von 60 bis 70 Zentimeter, empfangbar sein sollten. Der TV SAT wurde ein Misserfolg, er landete schließlich in der – wie die Fachleute sagen - Friedhofumlaufbahn des Weltalls. Aber er erweckte neue medienpolitische Ambitionen in Schleswig-Holstein.

In der entscheidenden Konferenz der Ministerpräsidenten hob Barschel deshalb die Hand und erkämpfte für Schleswig-Holstein den dritten Kanal. Die beiden anderen gingen an Nordrhein-Westfalen und Bayern. Gut ausbalancierter politischer Proporz. Es gab damals zwei private, sogenannte Vollprogramme:  RTL und Sat.1. RTL wurde von der SPD protegiert, Sat.1 von der CDU/CSU. Dies hatte beispielsweise zur Folge, dass die wenigen terrestrischen Frequenzen, die den öffentlichen rechtlichen Anstalten mühsam abgerungen werden konnten, in den SPD regierten Bundesländern an RTL und in den unionsregierten Ländern an Sat.1 vergeben wurden. Natürlich in einem aufwendigen demokratischen, fairen und neutralen Prozess. Aber komischerweise immer mit diesem Ergebnis. Und jetzt gab es also ein drittes privates Vollprogramm. Sein Name: Eureka TV. Die Sendelizenz stammte von der neu geschaffenen Unabhängigen Landesrundfunkanstalt Schleswig-Holstein.

Eureka! Was für ein Anspruch. „Ich hab’s gefunden“, der überlieferte Ausspruch des Archimedes, nachdem er das Prinzip des Auftriebs entdeckt hatte. Der neue Fernsehsender entsprach jedoch keineswegs den anspruchsvollen Ambitionen seiner Initiatoren. Eine ziemlich dilettantische Mischung aus frühem, unbeholfenem Teleshopping und einem gut gemeinten, langweiligen Nachrichtensender. Also ein schlechtes HSE24 gepaart mit einem unprofessionellen, halbherzigen n-tv. Wen sollte das interessieren? So verbrannte der Sender vom Start weg viel Geld. Und es wurde immer mehr. 160 Mitarbeiter, Nachrichtenstudio, Sendetechnik, Verbreitungskosten. Auf der anderen Seite kaum Einnahmen. Mit seinen geringen Reichweiten war der Sender bei der Werbewirtschaft nicht relevant. Und mit dem abstrusen Programmmix erst recht nicht.

Im Sommer 1988 wurden die steigenden Verluste von Eureka TV für Inhaber Gerhard Ackermans allmählich unheimlich. Er suchte nach einem strategischen Partner im Medienbereich, möglichst einem, der sich mit diesem neuartigen Fernsehen auskannte. Ich beobachtete, wie seine Emissäre bei den bekannten Medienunternehmen vorsprachen. Es gab sogar eine Art Investment-Memorandum. Das wurde mir von einem befreundeten Unternehmer zugespielt. Ich war also vorbereitet. Anfangs machten die Berater von Ackermans noch einen großen Bogen um die Betastraße. Kirch galt als smarter Verhandler, ebenso charmant wie zielstrebig, manchmal auch trickreich, da war aus Sicht von Ackermans also Vorsicht geboten. Im September 1988 kam dann der Termin zustande. Ackermans kam mit einem Wirtschaftsprüfer und einem jungen Anwalt, Dr. Bernhard Heiss. Auf der anderen Seite des langen Tisches im Konferenzraum der Chefetage der Betastraße saßen Leo Kirch, sein Anwalt Joachim Theye und ich.

Das Gespräch verlief sachlich und angenehm, Kirch war wie immer sehr direkt, diplomatisches Brimborium war nicht sein Ding. Schnelles Handeln war geboten, Eureka stand kurz vor der Insolvenz. Wir sollten uns bei gegebenem Interesse alsbald melden. Am selben Abend fragte mich Kirch, was ich von der Sache hielte. Unbedingt machen, war meine Antwort. Ich hatte mir schon eine neue Positionierung des Senders überlegt.

Kofler Zmeck Kirch
Georg Kofler, Gottfried Zmeck (nach Kofler Büroleiter von Kirch) und Leo Kirch

Zielgruppe des neuen Senders sollte das jüngere Fernsehpublikum sein, besonders Familien mit Kindern. Und ein grobes Programmschema hatte ich auch schon parat. Zur Prime Time jeden Abend ein guter Spielfilm und danach eine amerikanische Serie. Vorabend: Situation Comedies, also Sitcoms. Dabei hatte ich zum Beispiel die „Bill Cosby Show“ im Auge, die damals beim ZDF in einer Synchronisation ohne die im Original typischen eingespielten Lacher nach den Pointen lief. Ein totaler Misserfolg, murrten die Redakteure des ZDF. Mich wunderte es nicht: Eine Sitcom ohne Lacher, welchem Programmbürokraten konnte so etwas überhaupt einfallen? Andrerseits sollte sich diese Fehlleistung als eine glückliche Fügung für ProSieben herausstellen: ein Jahr später ließ ich die „Bill Cosby Show“ neu synchronisieren, natürlich mit Lachern. Sie wurde zum ersten großen Programmhit von ProSieben, der uns viele Millionen Gewinn einspielte.

Vor den Sitcoms wollte ich mindestens zwei Stunden Zeichentrickserien spielen: „Familie Feuerstein“, „Tom und Jerry“, „Bugs Bunny“ und Co.. Eben alles für Kinder und Familien. Aus der Sicht des Hauses Kirch hatte diese Programmierung einen besonderen Charme: im Archiv in der Betastraße lagerten tausende Spielfilme und Serienstunden, die Kirch in zahlreichen, strategisch weitreichenden Deals mit den Hollywood-Studios aufgekauft hatte. Er war dabei ein gewaltiges Risiko eingegangen: was würde passieren, wenn die Fernsehsender, vor allem die zahlungskräftigen ARD-Anstalten und das ZDF, ihm nicht genügend Programme abkaufen würden, damit er seine gewaltigen Kapitaldienste leisten konnte? Jeder neue Sender war also ein willkommener neuer Kunde. Und nichts liebte Kirch mehr als Verhandlungen mit Kunden, die an seinen Filmen und Serien interessiert waren.

Die Entscheidung fiel noch in derselben Nacht. Wir machen das. Und da Leo Kirch schon an Sat.1 beteiligt war und sich nach damals geltendem Medienrecht nicht an einem weiteren Sender beteiligen durfte, stieg Thomas Kirch, sein einziger Sohn, damals ebenfalls 31 Jahre alt, bei der Eureka Television GmbH als Gesellschafter ein. Nach dem Beschluss, bei Eureka TV einzusteigen und die entsprechenden Verhandlungen aufzunehmen, stellte sich naturgemäß die Frage, wer den neuen Sender führen sollte.

Fortsetzung am Samstag