Es ist ein Passus, den die großen Privatsender-Gruppen vermutlich gerne aus dem Rundfunkstaatsvertrag verbannen würden: Sender sind zur Ausstrahlung von Drittsende-Formaten verpflichtet, sofern sie alleine mehr als zehn Prozent oder in ihrer gesamten Gruppe auf mehr als 20 Prozent Marktanteil beim Gesamtpublikum kommen. Die Regel stammt noch aus einer Zeit der begrenzten Kapazitäten im Kabel - und sie trifft ausschließlich Sat.1 und RTL, die die Programme zwar bezahlen müssen, aber keinerlei Mitspracherecht bei der inhaltlichen Gestaltung besitzen.

Vor allem Sat.1 hat sich in der Vergangenheit gegen die aus Sendersicht unliebsame Regel gewehrt. So haderte man mit Formaten wie "Planetopia" oder "Weck Up" und suchte mehrfach die juristische Auseinandersetzung. Dass RTL in all den Jahren vergleichsweise ruhig blieb, dürfte auch damit zusammenhängen, dass man mit dem Ergebnis recht gut leben konnte - im Falle von "Stern TV" handelt es sich inzwischen sogar um eine reguläre RTL-Auftragsproduktion. 


Erkärtes Ziel des Gesetzgebers ist es, mit den Drittsendezeiten die Meinungsvielfalt im Fernsehen sicherzustellen - so zumindest die Theorie. Ein solches Fensterprogramm muss unter Wahrung der Programmautonomie des Hauptveranstalters einen "zusätzlichen Beitrag zur Vielfalt in dessen Programm, insbesondere in den Bereichen Kultur, Bildung und Information, leisten", heißt es. Aber kommen die Anbieter dieser Vorgabe auch tatsächlich anch und tragen tatsächlich zu mehr Vielfalt bei? Ein stichprobenartiger Test der vergangenen Tage offenbart, was die Sendungen wirklich leisten.

Spiegel TV© RTL
"Spiegel TV"
montags, 23:25 Uhr, RTL

Der Klassiker unter den Drittsende-Formaten: Seit mehr als 30 Jahren auf Sendung, ist "Spiegel TV" fester Bestandteil des RTL-Programms - und auch wenn die Sendung nach der jüngsten Vergabe den angestammten Sendeplatz am Sonntagabend verlassen musste und seither mit rund zehn Minuten weniger auskommen muss, ist sich die Redaktion treu geblieben. Wer "Spiegel TV" einschaltet, weiß, was er bekommt: In dieser Woche waren das Berichte über Clan-Kriminalität und Neonazis. Mit rund elf Prozent Marktanteil fügt sich die Sendung gut ein ins Programm und verleiht RTL jene Ernsthaftigkeit, die "Extra" im Vorfeld mitunter vermissen lässt. Ein Gewinn fürs Programm.

Die Alltagskämpfer© RTL
"Die Alltagskämpfer - ÜberLeben in Deutschland"
montags, 0:30 Uhr, RTL

Auch wenn sich der von Solis TV verantwortete Sendeplatz eigentlich mit dem (Über-)Leben in Deutschland auseinandersetzen will, wie es der Untertitel nahelegt, blickten die "Alltagskämpfer" in dieser Woche nach Mallorca, wo deutsche Auswanderer im Mittelpunkt standen. Ob Hundefriseurin, Restaurantbesitzer oder die Helfer der Initiative "S.O.S. Mamas" - es wird ein vielschichtiges Bild gezeichnet. Und doch stellt sich die Frage, ob Auswanderer-Geschichten wirklich zur Bereicherung des RTL-Programms beitragen. Vor allem, wenn in dem Film plötzlich auch noch Rotlicht-König Bert Wollersheim auftaucht. Der Mehrwert hält sich in Grenzen. Erstaunlich auch, dass Solis TV für den Film gar nicht verantwortlich zeichnet, sondern eine Firma namens Filet Film.

Ohne Filter - So sieht mein Leben aus© RTL
"Ohne Filter - So sieht mein Leben aus"
montags, 1:15 Uhr, RTL

Wer nach den "Alltagskämpfern" dran bleibt, bekommt gleich das nächste Drittanbieter-Format zu sehen. Dessen Konzept klingt zumindest auf dem Papier spannend: In jeder Ausgabe geht es um drei Menschen, die den gleichen Ort als Lebensmittelpunkt, aber unterschiedliche Lebenseinstellungen haben. Am Ende treffen sie aufeinander und tauschen sich aus. In dieser Woche blickte die Produktionsfirma Arriba Media in den Heidepark und stellte unter einem einen jungen Mann vor, der dort als Zombie die Gäste erschrecken soll. Das Treffen mit einem Sanitäter und einem Mann, der im Heidepark seine Freundin heiraten will, geriet jedoch erstaunlich nichtssagend. Schade um die verschenkte Sendezeit.

Focus TV - Reportage© Sat.1
"Focus TV - Reportage"
dienstags, 23:10 Uhr, Sat.1

Im halbjährlichen Wechsel mit der "Spiegel TV - Reportage" ist derzeit die "Focus TV - Reportage" zu sehen. Wer einschaltet, bekommt ein vertrautes Gefühl: So oder so ähnlich wie in dieser Woche hätte die Reportage auch schon vor 20 Jahren aussehen können. Das Thema: "Urlaub mit der Großfamilie: Megaferien zu acht". Im Mittelpunkt: Mehrere Familien, die sich auf die Reise machen - Staus und drückende Blasen inklusive. Sicher, es wird deutlich, wie herausfordernd der Alltag für Großfamilien ist, doch allzu sehr in die Tiefe geht der Film trotz der einstündigen Sendezeit zwischen Camping und Urlaub in Holland nicht. Hätte einst auch als "We are Family" bei ProSieben laufen können.

Dinner Party mit Simon Beeck© Good Times
"Dinner Party - Der Late-Night-Talk"
dienstags, 0:15 Uhr, Sat.1

Seit mittlerweile mehr als zwei Jahren auf Sendung, hat die Produktionsfirma Good Times ihrem nächtlichen Format schon mehrere Konzepte verpasst, nutzt die finanzielle Sicherheit quotenunabhängig festen Sendeplatzes also für Experimente. Nach ernsten Diskussionen mit Richter Alexander Hold und Spieleabenden mit Oliver Pocher fungiert aktuell Simon Beeck als Moderator eines "Late-Night-Talks", der sich wöchentlich einem Gast widmet. Die beste Idee: An einem Zeitstrahl soll der jeweilige Gast seine Lebensphasen einordnen, was im besten Fall erstaunlich tiefgründig ist. Bei Mirja Boes blieb der ganz große Neugier-Faktor in dieser Woche aus, doch das aktuelle Konzept besitzt Potenzial für Überraschungen. Trotz schlechter Quoten eine Bereicherung für Sat.1. 

Grenzenlos© Sat.1
"Grenzenlos - Die Welt entdecken"
samstags, 19:00 Uhr, Sat.1

Reise-Formate sind selten geworden bei den deutschen Privatsendern. Alleine schon deshalb ist es schön, dass es "Grenzenlos" gibt. Wöchentlich geht es in ferne Länder, spannende Metropolen oder faszinierende Regionen und wer einschaltet, dürfte überrascht sein: Trotz wöchentlicher Ausstrahlung besitzen die Reportagen ein hohes Produktionsniveau. Mit tollen Bildern liefert "Grenzenlos" auch sehenswerte Begegnungen mit Menschen, die dort leben, wo andere Urlaub machen. Ob es Wayne Carpendale braucht, der den Zuschauern die Heimat seines Vaters vorstellt, so wie jüngst in einem Special geschehen, sei mal dahingestellt. Fakt ist jedoch, dass sich tellvision viel Mühe gibt. Und wer - wie die meisten - gar nichts von dem Format mitbekommen hat, kann die Sendungen später in einem gut sortierten YouTube-Channel nachholen. Ein echter Gewinn mit Fernweh-Garantie.

Life - Menschen, Momente, Geschichten© MG RTL D
"Life - Menschen, Momente, Geschichten"
samstags, 19:05 Uhr, RTL 

Die meisten Zuschauer, die samstags bei RTL nach den Nachrichten dran bleiben, dürften vermutlich gar nicht wissen, dass es sich bei "Life" um ein Drittanbieter-Format handelt - alleine schon, weil der Sender früher selbst ein Magazin unter diesem Namen im Programm hatte. Tatsächlich aber zeichnet sagamedia dafür verantwortlich und berichtete am vergangenen Wochenende etwa über das Leben der Schlecker-Geschwister, eine Frau, deren Kind mit Trisomie 21 zur Welt gekommen ist, sowie ein Steckenpferde-Rennen. Eine bunte Mischung also, die man früher auch bei "Explosiv - Weekend" hätte erwarten können. Mit im Schnitt knapp zehn Prozent Marktanteil kann man bei RTL sicher auch aus Quotensicht ganz gut mit der Sendung leben. Mehrwert? Nun ja.

Fazit

Mit "Spiegel TV" und "Life" hat es RTL ganz sicher gut getroffen, immerhin sorgen die beiden prominent platzierten Magazine für ordentliche Quoten. Insbesondere "Life" fügt sich fast nahtlos ins übrige RTL-Programm ein. Die nächtlichen Reportage-Reihen wiederum sind weit weniger sperrig als es Alexander Kluges mitunter kultige Gespräche mit Helge Schneider waren. Letztlich stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die meisten dieser Formate ernsthaft zur Vielfalt im Programm beitragen, weil vieles doch sehr gefällig daherkommt. Vor allem "Spiegel TV" bleibt jedoch eine Bereicherung - RTL würde sich sicherlich nicht aus eigenem Antrieb seit 30 Jahren ein wöchentliches Politmagazin leisten.

Sat.1 wiederum leidet mit Blick auf die Zuschauerzahlen weitaus mehr unter der unliebsamen Regelung als die Kollegen von RTL, schließlich sorgen "Grenzenlos" und "Dinner Party" wöchentlich meist nur für Marktanteile zwischen drei und vier Prozent. Dabei stellen beide Formate tatsächlich eine echte Bereicherung dar, weil sie dem Programm ungewöhnliche Farben hinzufügen. Die "Dinner Party" ist eine der wenigen Gesprächssendungen im privaten Fernsehen und bietet gute Gespräche, ohne völlig abgehoben zu sein. "Grenzenlos" sticht nicht nur am Vorabend hervor, man sucht auch sonst im Privatfernsehen ein solch umfangreiches Reiseformat vergeblich. Eigentlich schade, dass das Publikum kaum Notiz davon nimmt.