Jürgen Vogel hat es auch nicht leicht. Gewiss, das kernige Nordlicht mit der markanten Zahnlücke steht zwar schon jahrzehntelang ziemlich weit ober auf den Gehaltslisten im deutschen Film und Fernsehen; seit seinem Durchbruch in der selbstreferenziellen Schauspielerkomödie "Kleine Haie" jedoch hält er sich dort mit einer immer und immer und immer gleichen Rolle: als liebenswerter Filou aus der unteren Mittelschicht, dem meist nur widrige Umstände, Pech und andere Katastrophen die Flucht aufwärts vermasseln. Und so hat der arme reiche Jürgen Vogel sein derangiertes Lausbubengesicht in Dutzenden baugleicher Werke zur Perfektion gebracht. Als einer von uns, nur leicht außerhalb der Norm, gleichsam zum Knuddeln wie zum Fürchten.

Ein Typ wie Blochin ohne Vornamen.

Vor vier Jahren war der angetreten, das lineare Serienfernsehen damit zu retten, Jürgen Vogel und sein filmisches Alter Ego wie so oft zur Deckung zu bringen. Als Berliner Cop mit Schnauze, Tattoos, Herz für Kinder geriet sein Dackelblick damals von einem Schlamassel in den nächsten, genauer: von gewöhnlicher Polizeiarbeit ins hauptstädtische Dickicht aus Kriminalität, Korruption und Kumpanei. Mit jeder der fünf Episoden wurde Jürgen Blochin damals hilfloser, versehrter, getriebener. Mit jeder davon brach allerdings auch die Einschaltquote des ZDF ein Stück mehr ein.

Zu aufgebläht war Matthias Glasners vorschusslorbeerbedachtes Premiumprodukt, zu sehr hat sich die Handlung vom Look entkoppelt, zu durchschaubar war die Räuberpistole bei aller Unübersichtlichkeit. Konsequenz: Die längst geplante Fortsetzung wurde auf Spielfilmlänge eingedampft. Leider. Und zum Glück. Leider, weil die selbstverliebte Tiefglanzräuberpistole überhaupt noch fortgesetzt wurde; zum Glück, weil wir sie heute Abend um fünf Minuten nach Mitternacht hoffentlich für alle Zeiten los sind. Denn das Finale geht schon wieder so los, wie sein sechsstündiges Vorspiel an Herbstwochenende 2015 geendet hatte.

Blochin balanciert mittendrin und doch stets am Rande des Gesetzes, wenn er Jagd auf den Mörder seiner Tochter macht. Aus Rache als anarchischem Antrieb männlichen Handelns – noch so ein Beweisstück aus der Asservatenkammer inhaltlicher Banalitäten, vergleichbar allenfalls Wiedergeburt (Dallas) oder Zeitreise (Dark). Halbtot, aber im Jetzt und Hier begibt er sich also auf die Jagd nach dem wesensfiesen Russenkiller Kyrill (Alexander Scheer), weshalb er dessen todesverachtend fiebrige Freundin Pheline (Jasna Fritzi Bauer) sediert, entführt und vom anderen Ende der Welt durch alle Sicherheitsschleusen unerkannt nach Deutschland kriegt.

Dieser Twist ist zwar so absurd, dass Matthias Glasner ihn vorsorglich nicht weiter erklärt. Aber andernfalls könnte Blochin seine Geisel ja auch nicht mithilfe seines Vorgesetzten und Schwagers Stötzner (Thomas Heinze) als Köder benutzen. Wie beim Schmerzensmann Blochin, geht der Plan jedoch so derart in die Hose, dass er sich in den nächsten anderthalb Stunden nach und nach zum seelen- und leibeswunden Bruce Willis hiesiger Abendunterhaltung schindet, als fange nur der blutige Vogel den Wurm.

Blochin - Das letzte Kapitel

Im Zuge dieser permanenten Selbstkasteiung sind natürlich auch Jördis Triebel als undurchsichtige Staatssekretärin Steinbrenner, Blochins bedauernswerte Frau Inka (Maja Schöne) und dessen russische Nemesis Shukshin wieder dabei, den der heillos unterforderte Rainer Bock zum Oligarchenklischee mit Bauerntheaterakzent verkörpern muss. Es bedarf also nicht erst der dramaturgisch sinnlosen, visuell anregenden Fortsetzung von Christoph Letkowskis seltsamer Hatesex-Beziehung zur psychisch labilen Ministertochter Freddy (Peri Baumeister), um mit dem hochkarätig besetzten Cast einer Cop-Story am Rande der Lächerlichkeit Mitleid zu kriegen. Nahezu alles daran ist pure Effekthascherei. Jeder Handlungsort dient einzig einer optischen Überwältigungslogik. Und über allem prasselt praktisch ununterbrochen sintflutartiger Regen, damit auch niemand im Publikum vergisst, dass hier biblische Motive von Rache über Schuld bis Vergebung verhandelt werden.

Weil in der hochwertig fotografierten, aber spottbillig inszenierten Kulisse – wahlweise im radical chic heruntergekommener Fabrikruinen oder anthrazitfarbenen Businesspop des offiziellen Berlins – alles so sehr auf Eindruck gebürstet ist, steht „Blochin – Das letzte Kapitel“ damit fürs Grundproblem linearer TV-Serien deutscher Herkunft. Zwischen dem liebenswerten Alltagsklamauk von „Jerks“ und dem drastischen Alltagsrealismus von „4 Blocks“ fehlt ihm die wichtigste Grundzutat guter Fernsehunterhaltung: Augenzwinkern. Ohne die kleinste Spur von Selbstironie nämlich bleibt auch die sorgsamste Ausstattung bloß Maskerade pathetischer Storys, die offenbar auf ewig kriminalistisch geprägt sein müssen.

Zur Strafe für so viel berechnender Einfallslosigkeit wäre man glatt geneigt, das Finale zu spoilern. Obwohl – wer Jürgen Vogels konsequenten Verfall mit Einheitsmimik im Tanktop aufmerksam verfolgt, wird schon von selber ahnen, wie das Ganze endet. Ist am Ende aber auch herzlich egal…

Das ZDF zeigt "Blochin - Das letzte Kapitel" am Montag um 22:15 Uhr. In der Mediathek steht der Film schon jetzt zum Abruf bereit.