Als langjährige Eigentümer und Geschäftsführer von Tresor TV verantwortete Holger Roost einst Formate wie "Popstars" und "Germany’s Next Topmodel". Gemeinsam mit der damaligen Grundy Light Entertainment (heute: UFA Show & Factual) teilte man sich den Markt der Castingshows quasi unter sich auf. Roost produzierte aber noch diverse Formate aus anderes Genres, etwa die "Super Nanny", "Teenager außer Kontrolle", "Fort Boyard" und "Die Abschlussklasse". 

Nach 25 Jahren verließ Holger Roost die Branche 2015, um nach Chile zu gehen. Bei Tresor TV übernahm Axel Kühn das Ruder, Roost blieb Eigentümer. In Chile wechselte Roost die Seiten: Aus dem Produzenten wurde ein TV-Manager. Beim damals von Time Warner übernommenen Chilevisión wurde er Strategic Advisor und stellte den Sender neu auf. Eingefädelt wurde der Deal von Gerhard Zeiler, damals Präsident von Turner Broadcasting System International. "Der Perspektivwechsel hat mich gereizt", sagt Roost jetzt im Gespräch mit DWDL.de. Er habe während seiner Zeit in Chile beispielsweise viel über Telenovelas gelernt - ein starkes Genre in ganz Südamerika. 

Neben Telenovelas hat Roost bei Chilevisión aber auch viele (Boulevard)-Nachrichten inkl. Leser-Reporter à la "Bild" eingeführt ("Es ist nicht die hohe Politik, die die Menschen interessiert. Die Zuschauer wollen wissen, was wirklich im Land passiert.") und auch sonst viele neue Inhalte geschaffen, etwa eine lokale Version von "Das perfekte Dinner". Heute kann Chilevisión zudem agiler am Markt sein, weil man nicht mehr wie früher alles selbst produziert, sondern vieles an externe Produktionsfirmen abgibt. "Ich kann die Sender heute wesentlich besser verstehen", sagt der langjährige Produzent. "Wenn man Produzent ist, ist es eins der wichtigsten Dinge, möglichst viele Rechte bei sich zu behalten, um die Formate noch anderweitig zu verwerten. In Chile habe ich gelernt, dass ein Sender sämtliche Rechte zur Verfügung haben muss, weil die Verwertungsketten jenseits des Linearen immer wichtiger werden. Das sind zwei völlig unterschiedliche, aber auch zwei sehr legitime Ansichten." Produzenten würden sich außerdem immer beschweren, dass Sender nicht risikofreudig seien. "Wenn man dann aber mal auf der anderen Seite sitzt, agiert man auch so."

"Ich habe in meinem Leben genug produziert, das reicht jetzt einfach."

Holger Roost, Geschäftsführer La Tresor

2017 kehrte Roost schließlich zurück nach Deutschland, der Job in Chile war von Anfang an auf rund zwei Jahre angelegt. Kurz darauf verkaufte er die Tresor TV an das israelische Medienunternehmen Keshet, zu dem es auch heute noch gehört. Er wollte komplett verkaufen: "Schon als ich nach Chile gegangen bin, hatte ich keine Lust mehr, nach 25 Jahren als Produzent immer das gleiche zu machen. 25 Jahre sind für einen Alleinunternehmer eine lange Zeit, es kam dann eine gewisse Ermüdung", sagt Roost heute gegenüber DWDL.de. Er sah sich nach so langer Zeit am Ziel. "Ob ich dann die dritte Modelshow gemacht hätte oder nicht, das wäre für mich keine Bereicherung mehr gewesen. Ich habe in meinem Leben genug produziert, das reicht jetzt einfach."

Was Roosts "La Tresor" heute alles macht

Nun ist Roost schon wieder seit zwei Jahren zurück in Deutschland und segelt trotz des Verkaufs erneut unter "Tresor"-Flagge. Seine neue Firma heißt La Tresor - so nannte seine Familie das Unternehmen auch früher schon immer intern. Möglich wurde das, weil Roost nur die Tresor TV Produktion, und nicht die darüber stehende Tresor Entertainment, verkauft hat. Mit Keshet einigte er sich dann auf den kurzen Zusatz "La" - so stehen die beiden Unternehmen auf Listen, etwa bei der MIP, nicht direkt untereinander. Eine klassische Produktionsfirma ist La Tresor aber nicht. Roost, der sich als "Vermittler zwischen den Welten", sieht, sagt: "Ich habe ja nicht die Tresor verkauft, um jetzt wieder eine neue Produktionsfirma aufzubauen."

Inhaltlich unterscheidet sich La Tresor sehr von der heutigen Tresor TV, die ja nach wie vor eine klassischen Produktionsfirma ist. La Tresor hält noch einige Rechte, die aus früheren Zeiten stammen. Die Musikrechte ehemaliger "Popstars"-Band (No Angels, Monrose, Bro’sis etc.) liegen bei La Tresor. Darüber hinaus lässt Roost seine Kontakte nach Südamerika in die neue Firma einfließen, vor allem wenn es um Telenovelas geht. So vermittelt man entsprechende Formate verschiedener Studios an deutsche Sender oder schlägt ihnen vor, welche dieser Sendungen sich für deutsche Adaptionen eignen könnten. "Total Dreamers" etwa fand über Roost seinen Weg zu Sixx. 

"Ich habe ja nicht die Tresor verkauft, um jetzt wieder eine neue Produktionsfirma aufzubauen."

Holger Roost, Geschäftsführer La Tresor

Ein weiterer Arbeitsbereich, um den sich Roost inzwischen kümmert, könnte nicht weiter weg sein von einstigen Hits wie "Germany’s Next Topmodel". So hat der Produzent die kommerziellen Verwertungsrechte von Leni Riefenstahl übernommen, nachdem ihr früherer Lebensgefährte Horst Kettner vor einigen Jahren starb. Der nicht-kommerzielle Nachlass ging an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. "Das ist ein spannendes Erbe. Ich bringe gerade alles in einen verwertbaren Zustand und schaue mir an, wie man die Bücher und Fotos am besten auswerten kann. Interessant ist auch die Frage, wie man das Leben von Leni Riefenstahl generell noch einmal medial in einen Kontext setzen kann", sagt Roost im Gespräch mit DWDL.de. Das Ganze sei aber ein "Langzeit-Thema". Eine Riefenstahl-Verfilmung etwa sei ein Projekt für die kommenden  zehn Jahre, so Roost. 

Von Leni Riefenstahl und virtuellen Menschen...

Die wohl meiste Arbeit hat Roost derzeit aber mit einem Thema, das auf den ersten Blick so überhaupt nichts mit Telenovelas, No Angels und Leni Riefenstahl zu tun hat: es geht um virtuelle Menschen. In einer neuen Firma (Virtual Friends) baut Roost eine Community, die aus eben solchen virtuellen Menschen besteht. "Ich erschaffe jetzt virtuelle Figuren. Das sind keine Avatare, sondern viel mehr Kopien von echten Menschen. Die sind lebensecht und sehen auch wie echte Menschen aus", sagt Roost. Dieses Projekt geht im Herbst als eine Art Webserie bei Instagram und Youtube online. Die virtuellen Charaktere hinterfragen darin das, was echte Menschen in den sozialen Netzwerken posten - und treten auch mit echten Instagrammern in Kontakt. "Wir bewegen uns da an der Grenze zwischen virtueller und realer Welt."

Das klassische TV- und Produktionsgeschäft verfolgt Roost trotz neuer Aufgaben aber noch immer. Er ist überzeugt: "Das nächste große Ding für das lineare Fernsehen sind Live-Sendungen, die man jetzt und direkt sehen muss. Wir erleben eine Eventisierung des Alltags, das treibt auch das Fernsehen in diese Richtung." Zuletzt hat ProSieben das mit "The Masked Singer" eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Roost hält aber auch Nachrichten für "völlig unterbewertet". Er meint damit aber nicht Nachrichten über die Bundespolitik oder DAX-Konzerne, sondern News aus den verschiedenen Städten Deutschlands. "Was die Leute wirklich interessiert, ist das Lokale. Im News-Bereich gibt es ein großes, ungehobenes Potenzial", sagt er und verweist auf seine Erfahrungen aus Chile. Sein Fazit: "Das lineare Fernsehen ist überhaupt nicht tot. Man muss sich nur von der Konkurrenz im Netz abheben."