Einmal im Jahr verwandelt sich die mit Thermalbädern und feinen Alleen gepflasterte Kurstadt Baden-Baden zum Pilgerort für Musikbegeisterte, die die potenziellen Weltstars von morgen erleben möchten. Für ein Wochenende im September treten beim New Pop Festival regelmäßig die Künstler auf, die es in Deutschland bislang höchstens zu einem Radio-Hit gebracht haben und die große Bühne, wenn überhaupt, vor allem aus ihrer jeweiligen Heimat kennen. Zum mittlerweile 25. Mal findet das vom Radiosender SWR3 veranstaltete Musikevent im Herzen Baden-Württembergs nun statt. DWDL.de hat sich zum Jubiläum auf Spurensuche begeben, warum das New Pop Festival deutschlandweit und auch international einen derart guten Ruf genießt und welche Hebel der Sender Jahr für Jahr in Gang setzt, um den Eindruck zu festigen: Wer beim New Pop Festival dabei ist, hat eine große Karriere vor sich.

Ein Rückblick in die Historie der Veranstaltung zeigt deutlich, welch feines Händchen die Musikredaktion bislang bewiesen hat: Baden-Baden konnte bereits Größen wie Alanis Morissette, Amy Winehouse, Bruno Mars und Ed Sheeran begrüßen und dadurch dem eigenen Sendegiebt, ein Stück weit aber auch der Welt vorstellen. Morrissette hatte gerade erst ihren Hit "Ironic" herausgebracht, Winehouse war ein ungeschliffener Rohdiamant, Mars kurz vor seinem ultimativen Durchbruch und Sheeran noch einige Monate entfernt von seinen später erschienen Chart-Stürmern "I See Fire" und "Thinking Out Loud". Ein richtiger Newcomer ist dennoch kaum einer der genannten Namen, die mit dem New Pop Festival in Verbindung gebracht werden. Das liegt aber schlicht an den logistischen Verzögerungen, die ein solches Festival mit sich bringt.

"Wir fangen ungefähr ein Jahr vorher an, die Acts für das nächste New Pop zu scouten und auszusuchen", erzählt SWR3-Musikchef Gregor Friedel im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. "Da kann man natürlich nicht immer absehen, wie sich die Künstler in der Zeit entwickeln." Als Beispiel für eine schlagartige Beförderung auf die Weltbühne kann der britische Sänger Rag'n'Bone Man angeführt werden. Nachdem SWR3 und 1Live Mitte 2016 die einzigen deutschen Radiosender waren, die das Ohrwurmpotenzial seiner Single "Human" erkannten, wurde er kurzerhand auch für das New Pop Festival im nächsten Jahr gebucht. Wenige Monate vorher ging sein Song jedoch dermaßen durch die Decke, dass er beim Festival selbst nicht mehr als unentdeckter Star bezeichnet werden konnte. 

SWR3 New Pop Festival

Die SWR3-Redaktion hat im Fall von Rag'n'Bone Man bewiesen, dass nicht nur Künstler ausgesucht werden, die in den internationalen Charts bereits die Crème da la Crème darstellen. "Das klingt nach Propaganda, aber wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Künstlern zu helfen, die wir selbst wirklich gut finden", so Friedel. Dementsprechend tritt beim New Pop Festival keine Band auf, die nicht mindestens ein Redakteur selbst schon einmal live erlebt hat. Dass es aber auch anders ausgehen kann, beweist die Anekdote zur britisch-schwedischen R&B-Sängerin Mabel: "Als ich sie das erste Mal live in London gesehen habe, war ich absolut geflasht. Die Masse hat jede Zeile mit ihr mitgesungen und ich dachte mir nur: 'Wenn es einen Gott gibt, wird sie ein Weltstar.'" Gregor Friedel hatte sie dann für das New Pop Festival im vergangenen Jahr gebucht. "Bei uns ist sie leider nicht derart mit dem Publikum warm geworden. Es war zwar trotzdem nett, aber man muss auch ehrlich zugeben können, dass das Bauchgefühl nicht immer stimmt." In gewisser Weise stimmte es dann aber doch: Nur sechs Monate später hatte sie eine Nummer 1 in den deutschen Airplaycharts und in New York verkünden nun die größten Billboards ihr neues Album.

Längst schon ist das Festival kein Geheimtipp mehr. Über 45.000 Menschen haben sich für die diesjährige Verlosung der auf 18.000 begrenzten Karten beworben – letztes Jahr waren es noch knapp 2.000 Anmeldungen weniger. Auch das Jubiläumskonzert mit Tim Bendzko, welches das Festival dieses Jahr beenden wird, war innerhalb von vier Minuten ausverkauft. Dass das New Pop Festival ein anhaltender Erfolg bleibt, liegt auch an der Veranstaltungsstadt selbst. Baden-Baden bietet mit seinen drei Konzertlocations sowohl Künstlern als auch Zuschauern eine alles andere als Festival-typische Atmosphäre. Im Inneren des im klassizistischen Stil entworfenen Kurhaus schwingt ein Gefühl alter Römerszeit mit, während das Theater mit französischem Stil aus dem 19. Jahrhundert aufwartet. Und das Festspielhaus als zweitgrößtes Opernhaus Europas präsentiert normalerweise Schwanensee, seltenst aber Pop- und Rock-Bands. "Würde das New Pop Festival in einer Stadt wie Berlin stattfinden, wäre das Event nur eines von vielen", sagt Friedel. "In Baden-Baden wird der gesamte Ort auf diese Veranstaltung gepolt, überall hängen Banner und Fahnen. Das gibt allen Teilnehmenden das Gefühl, bei etwas ganz besonderem dabei zu sein."

"Wenn ich durch Baden-Baden laufe, sehe ich nur alte Menschen" 

Bei Gregor Friedel wirkt es nicht wie ein Phrase, wenn er sich darum bemüht zu erklären, dass das New Pop Festival vor allem ein Ort des Wohlfühlens sei soll. Ein schönes Beispiel ist die Verpflichtung der diesjährigen Acts Dermot Kennedy und Sam Fender. Beide Künstler waren bereits lange vor ihrem ersten Durchbruch befreundet und haben zusammen in den kleinsten Locations gespielt. "Mir war es deswegen wichtig, dass ich Kennedy und Fender an einem Tag spielen lasse - damit sie zwischendurch auch mal zusammen ein Bier trinken gehen können." Es sind kleine Details wie diese, die zeigen, dass sich das New Pop Festival unter Musikmanagern nicht nur als eine profesionelle Anlaufstelle für den nächten Karriereboost ihrer Schützlinge etabliert hat. Sondern obendrauf auch ein Event ist, das sich aufmerksam um seine Künstler kümmert. Andere, wie Dennis Lloyd, kommen der Erfahrung wegen nach Baden-Baden. Wie er DWDL.de gegenüber verrät, ist der Trip ein Novum für ihn: "Ich bin mittlerweile schon an einigen Orten aufgetreten - Anfang des Jahres beispielsweise bei Coachella. Doch das New Pop Festival und Coachella... das ist wie Schwarz und Weiß. Ich mag die entspannte Stimmung der ganzen Veranstaltung, weil das ziemlich gut zu meinem Innenleben passt." Skeptisch war er vor seinem Auftritt dennoch: "Kannst du mir verraten, wie mein Publikum heute Abend aussieht? Wenn ich durch Baden-Baden laufe, sehe ich nur alte Menschen." 

Im Festspielhaus wird zudem in jedem Jahr das 'Special' aufgezeichnet, welches stets eine Woche später im Fernsehen zu sehen ist. Guido Cantz, der den Staffelstab von Barbara Schöneberger überreicht bekam, empfängt diesmal als Moderator des Abends Stars wie Lena Meyer-Landrut, Mark Forster, James Blunt und Sasha. Während das New Pop Festival vor Ort stets ein großer Erfolg ist, sehen die Quoten für die Ausstrahlung des Specials irgendwann vor Mitternacht im Ersten regelmäßig mau aus. In den vergangenen beiden Jahren konnten nicht mehr als 700.000 Zuschauer erreicht werden. Die Marktanteile? Überschaubare 6,7 Prozent beim Gesamtpublikum und nur 4,7 Prozent bei den Zuschauern unter 50. Auch die Konzertausstrahlungen bei One haben sich bislang nicht zu Quotenhits entwickeln können. Fraglich, ob die Ausstrahlung des diesjährigen Specials erfolgreicher sein wird. Mit dabei: Ein kleiner Auftritt von Thomas Gottschalk, der den SWR3-Lifetime-Award an Rockstar Alice Cooper übergibt. 

Thomas Gottschalk, Alice Cooper

Interessanter als die Quote ist jedoch, dass das New Pop Festival seit vielen Jahren als Spiegelbild der aktuellen Musik-Entwicklung taugt. "Während ein Song in den 70er-Jahren erst einmal 1:20 Minuten sein Intro aufgebaut hat, damit anschließend die Bridge und dann die Hook kommen kann, wird ein Song dieser Tage direkt mit der Hook angefangen, oder sie kommt nach spätestens 20 Sekunden". Friedel erläutert damit exakt den Vorgang, den auch die diesjährigen Acts von Picture This bis Dennis Lloyd anwenden. "Der Zuhörer muss heutzutage direkt verstehen, wie der Song funktioniert, da er sonst ganz schnell weg ist." Eine Entwicklung, die auf die kürzere Aufmerksamkeitsspanne der Zielgruppe zurückzuführen ist, aber sowohl Spotify, als auch dem Radio und der Konzertatmosphäre zu helfen scheint: "Dadurch, dass die Songs so nicht mehr fünf Minuten lang sind, sondern um die drei Minuten, profitieren wir von einem verbesserten Hörererlebnis", so Gregor Friedel über das SWR3-Publikum. Ähnlich wie beim Konzert kann dann auch direkt mitgegröhlt werden.

Fernab von erfolgreichen Songaufbau-Konzepten und den damit verknüpften finanziellen Erfolgen, arbeitet Friedel weiterhin am liebsten mit denjenigen zusammen, die vor allem ihrer Leidenschaft nachgehen: "Ich freue mich über jeden Menschen, mit dem ich in diesem Business spreche, dem es vor allem um die Musik geht und nicht nur um die wirtschaftlichen Zahlen." Es ist eine Aussage, die wie ein Lebensgefühl über dem gesamten New Pop Festival schwingt. 

Das Special des New Pop Festival ist am 20. September um 23:30 Uhr im Ersten zu sehen. One wird in diesem Jahr keine Einzelkonzerte ausstrahlen - diese werden stattdessen im November und Dezember bei 3sat und im SWR Fernsehen zu sehen sein.