Das in Pastelltönen gehaltene Großraumbüro in einem Hinterhof der Colorado Avenue in Santa Monica könnte glatt als hippe Mischung aus Coworking Space und Café durchgehen. Ein riesiges Bücherregal und gemütliche Sitzecken mit sorgfältig drapierten Designersesseln fallen sofort ins Auge. In Wahrheit hat Hollywood-Star Reese Witherspoon hier – in Laufweite zu potenziellen und tatsächlichen Kunden wie HBO, Hulu, Lionsgate oder Amazon Studios – ihre Produktionsfirma Hello Sunshine angesiedelt.
Wobei man 'Produktionsfirma' bei Hello Sunshine gar nicht so gern hört. "Wir verstehen uns als umfassende Medienmarke", rückt CEO Sarah Harden gleich zur Begrüßung den Eindruck zurecht. "Diese Marke basiert auf der Mission, Inhalte für die verschiedensten Plattformen zu erschaffen, die die Narrative für und über Frauen verändern." Ihr gesamtes, überwiegend weibliches Team arbeite unter der Grundannahme, dass das Gegenteil von Patriarchat eben nicht Matriarchat, sondern Qualität sei.
Die Mission wird für Besucher an den Bürowänden und in den Konferenzräumen sichtbar durch zahlreiche Buchcover weiblicher Autorinnen und Szenenfotos aus weiblich geprägten Produktionen von Hello Sunshine, etwa Witherspoon mit Jennifer Aniston in "The Morning Show", Witherspoon mit den übrigen Monterey Five in "Big Little Lies" oder Octavia Spencer in dem Crime-Drama "Truth Be Told", das am 6. Dezember bei Apple TV+ startet. Die Gründerin hat ihrer Firma auf die Fahne geschrieben, Stoffe von Autorinnen zu priorisieren und Geschichten mit vielfältigen Frauenfiguren im Vordergrund zu erzählen. Ihre Geschäftsführerin fand sie 2017 beim Mitgesellschafter Otter Media: Die gebürtige Australierin Sarah Harden hatte das Joint Venture von AT&T und The Chernin Group – heute eine Unit von WarnerMedia – zuvor geleitet.
Wie konsequent Witherspoons Truppe vorgeht, lässt sich gut an "Little Fires Everywhere" ablesen. Die achtteilige Serie von Showrunnerin Liz Tigelaar ("Casual") läuft im Frühjahr 2020 beim US-Streaming-Dienst Hulu an. Sie erzählt die Geschichte der scheinbar perfekten Bilderbuchfamilie Richardson in einem Vorort von Cleveland, deren Leben durch ein neu zugezogenes Mutter-Tochter-Gespann auf den Kopf gestellt wird. Die Liste der verdrängten Geheimnisse und plötzlich ausbrechenden Skandale reicht von Brandstiftung bis zu unrechtmäßiger Adoption. "Little Fires Everywhere" basiert auf dem gleichnamigen Bestseller-Roman der chinesisch-amerikanischen Schriftstellerin Celeste Ng.
Es ist im Film- und Fernsehgeschäft an der Tagesordnung, Rechte an Büchern zu erwerben, um diese zu verfilmen. Im konkreten Fall spricht freilich vieles dafür, dass Hello Sunshine und Reese Witherspoon persönlich dafür gesorgt haben, das Buch auf die Bestseller-Listen zu katapultieren. Im Mai 2017, kurz vor Erscheinen, optionierte die Firma bereits die Reche. Im September 2017 machte sie "Little Fires Everywhere" dann zur Empfehlung des Monats in "Reese's Book Club", der zum damaligen Zeitpunkt 50.000 Follower hatte und inzwischen bei 1,5 Millionen angelangt ist. Das Prinzip des "Book Clubs" mit regelmäßigen Literaturtipps von prominenten Autoritäten ist in den USA weit verbreitet und in seiner verkaufsfördernden Wirkung besonders durch Oprah Winfrey geprägt worden.

Mit der Option in der Tasche und dem erfolgreichen Buch in der Hand war Hello Sunshine bestens gerüstet. "Wir haben zuerst Kerry Washington gefragt, ob sie neben Reese als Hauptdarstellerin und Koproduzentin dabei sein möchte", berichtet Sarah Harden. "Sie hat sofort zugesagt. Weil Kerry einen Rahmenvertrag mit ABC Studios hat, war klar, dass wir das zusammen machen, dass Hello Sunshine und ABC Studios 50:50 als Co-Studio-Partner agieren." Unmittelbar vor der Weihnachtspause 2017/18 verschickte Hello Sunshine den Roman, verbunden mit dem Hinweis aufs attraktive Package, an ausgewählte Sender und Plattformen. Die Botschaft war ebenso klar wie selbstbewusst: Bitte erst lesen – nur wenn ihr das Buch wirklich mögt, seid ihr zum Pitch willkommen! Mit dem Namen eines gefragten Top-Stars im Rücken, kombiniert mit einem inhaltlich überzeugenden Konzept, lässt sich die übliche Hackordnung umkehren.
Den Zuschlag unter mehreren Interessenten erhielt schließlich Hulu. Während der Dreharbeiten im Sommer dieses Jahres wurden die Follower von "Reese's Book Club" auf Instagram mit ständigen Updates versorgt und bekamen so etwa zu sehen, wie Tonnen von Kunstschnee nötig waren, um in der Hitze von Los Angeles den Winter von Ohio zu drehen. Die Social-Media- und Audio-Teams von Hello Sunshine produzierten parallel dazu jede Menge begleitenden Content, der nächstes Jahr zur Start-Promotion eingesetzt werden soll.
© Hello Sunshine
Angesichts des geschilderten Vorgehens scheint es kaum übertrieben, wenn die einzelnen Projekte bei Hello Sunshine 'Franchise Priorities' genannt werden. "LFE", kurz für "Little Fires Everywhere", steht aktuell auf der Prioritätenliste ganz oben, dicht gefolgt von "DJ6". Auf den Strategiepapieren und Whiteboards von Hello Sunshine steht diese Abkürzung für "Daisy Jones & The Six", eine neue zwölfteilige Serie für Amazon Studios, deren Besetzung am Tag vor dem DWDL.de-Besuch offiziell verkündet wurde. Sie spielt in der Musikszene der 1970er Jahre in L.A. und erzählt vom Aufstieg und Niedergang einer fiktiven Rockband. Riley Keough, bekannt aus "The Girlfriend Experience", übernimmt die Titelrolle der jungen Musikerin und Leadsängerin Daisy Jones.
Lauren Neustadter kommt gerade aus dem "DJ6"-Writers' Room und wirkt euphorisch: "In den nächsten Tagen bringen wir alle Heads of Department von Amazon Studios und Hello Sunshine zur weiteren Strategieplanung zusammen." Wenig überraschend ging auch dieser Serie ein Buch voraus: Der gleichnamige Roman der US-Schriftstellerin Taylor Jenkins Reid erschien im März, wurde in "Reese's Book Club" als Empfehlung des Monats angepriesen ("Ich habe es an einem Tag verschlungen") und schaffte es neun Wochen lang auf die "New York Times"-Bestseller-Liste.
© Hello Sunshine
Neben der Film- und Serienproduktion und dem Buchclub betreibt Hello Sunshine einen gemeinsamen Video-on-Demand-Kanal mit der zu AT&T gehörenden Pay-TV-Plattform DirecTV, zwei Podcasts sowie Original-Audio-Formate mit Audible. Über die verschiedenen Projekte hinweg macht die Firma gemeinsame Sache mit Markenpartnern, die mehrere Millionen Dollar jährlich dafür zahlen, umfassend eingebunden zu werden. "Wir haben uns mit etlichen CMOs großer Brands getroffen, um herauszufinden, wer unsere Philosophie des 'female empowerment' teilt", so Harden. "Aus Storyteller-Sicht ermöglichen uns solche Partnerschaften, neue Inhalte zu entwickeln, ohne selbst ins Risikoinvestment gehen zu müssen." Anfang November wurde bekannt, dass Procter & Gamble einer dieser Partner ist.

Zwar ist die Firmengründerin am Tag des DWDL.de-Besuchs nicht im Haus. Doch weil alle Innenwände aus Glas sind, sieht man im Vorbeigehen in Witherspoons persönlichem Büro ein Schild mit einem weiteren Credo hängen: "What would Oprah do?" Mit Hello Sunshine befindet sich die prominente Unternehmerin längst auf dem besten Weg zu einem ähnlichen Mogulstatus.