Es ist Samstag, 17:18 Uhr. In zwölf Minuten wollen Sky-Moderator Sebastian Hellmann und Experte Lothar Matthäus gemeinsam auf Sendung gehen. Die Stimmung ist entspannt – doch dann richten sich die Blicke noch einmal auf einen der vielen Monitore, die in einem Übertragungswagen die gerade noch laufenden Bundesliga-Partien zeigen. In Mönchengladbach bekommen die Fohlen quasi in letzter Sekunde einen Strafstoß zugesprochen. Weil Ramy Bensebaini verwandelt, können sie einen Sieg über den Rekordmeister aus München bejubeln.

Die Sky-Mannschaft um Hellmann nimmt den Treffer erstaunlich regungslos zur Kenntnis. Und doch liefert er für die anstehende Übertragung des vermeintlichen Topspiels, für das ein großer Wanderzirkus an diesem Samstag nach Leverkusen gefahren ist, reichlich Gesprächsstoff. Aufgeregt wirkt hier niemand. Noch wenige Minuten vor Beginn der Sendung nimmt sich Lothar Matthäus Zeit, um ein paar Interviewfragen zu beantworten, ehe er sich auf den Weg zum Spielfeldrand begibt. "Ich geh nochmal 'ne halbe Stunde auf Toilette. Ihr wartet ja auf mich", scherzt er und läuft los. 


Tatsächlich dürfte in den folgenden dreieinhalb Stunden niemand so große Wege zurücklegen wie der Rekordnationalspieler. Wann immer man am Moderationspult an der Seitenlinie oder unterm Stadiondach am Kommentatorenplatz vorbeischaut – Matthäus ist schon da. Ein wenig wirkt es wie das berühmte Hase- und Igel-Spiel, wobei nicht ganz klar wird, ob Matthäus Hase oder Igel ist. "Mit der Zeit lernt man, wie man am schnellsten durch die Stadien kommt", erklärt er. Nur beim Topspiel zwischen Union Berlin und Hertha BSC, das ihn zum ersten Mal an die Alte Försterei führte, wäre er beinahe zu spät an seinem Platz gewesen. "Ich habe mir den Weg zeigen lassen", erinnert sich Matthäus, "aber leider hat sich meine Begleitung selbst nicht ausgekannt. Das nächste Mal werde ich alleine laufen, da bin ich schneller." 

Dass der 58-Jährige jeden Samstag gewissermaßen zum Dauerläufer wird, hängt mit seiner Doppelfunktion als Experte und Co-Kommentator zusammen. Wenn man Matthäus einen Abend lang bei der Arbeit begleitet, wird klar: So schnell bringt den Mann, der mehr als 300 Spiele für den FC Bayern absolvierte und 150 Mal für Deutschland auflief, nichts aus der Ruhe. Seit mehr als sieben Jahren ist er nun schon für den Bezahlsender im Einsatz, nachdem er auch früher schon für den Vorgänger Premiere und andere Sender arbeitete. "Es hat mir schon immer Spaß gemacht, über Fußball zu reden", erzählt Matthäus.

Lothar Matthäus und Sebastian Hellmann

Lothar Matthäus und Sebastian Hellmann sehen sich den Elfmeter an, den Mönchengladbachs Ramy Bensebaini in der Nachspielzeit gegen den FC Bayern verwandelt

In seine heutige Rolle sei er jedoch erst mit der Zeit hineingewachsen. "Am Anfang habe ich nur meine Einschätzungen abgegeben. Inzwischen traue ich mich auch, in einem Gespräch mit Spielern und Trainern die Fragen zu stellen." Eine Karriere als Moderator strebe er allerdings nicht an, ergänzt er und verweist auf die klare Aufgabenteilung. Dabei sei es keineswegs so, dass er unter der Woche mit sämtlichen Verantwortungsträgern in den Vereinen telefoniert, um an Informationen zu kommen. Diese Aufgabe übernimmt Sebastian Hellmann, der Matthäus für seine messerscharfen Analysen lobt, ihn aber trotz aller Verbundenheit aus sportlichem Interesse gerne zur Abwechslung in anderer Funktion sehen würde.

"Es wäre spannend, Lothar mit all seiner Erfahrung heute als Coach zu erleben. Ich hätte ihn gerne als Trainer einer deutschen Mannschaft gesehen", so der Sky-Moderator. Dieser Wunsch wird allerdings wohl eher nicht mehr in Erfüllung gehen, mit dem Trainer-Job hat Matthäus inzwischen abgeschlossen, wie er sagt – auch wenn er für seine Einschätzung regelmäßig Anerkennung erhält von Trainern, die heute am Spielfeldrand stehen. Generell scheint es, als habe sich einiges gewandelt im Leben des Lothar Matthäus. Gereift wirkt er, vor und hinter der Kamera. Die Zeiten, in denen er mit Boulevard-Geschichten die Schlagzeilen beherrschte oder sein Leben in einer fragwürdigen Dokusoap namens "Immer am Ball" zur Schau stellte, sind lange vorbei. 

Vielleicht kann man seine Lebensgeschichte ein Stück weit mit der von Boris Becker vergleichen. Einst von einem ganzen Land gefeiert, mussten beide Stars nach dem Ende ihrer Sportkarriere viel Spott und Häme einstecken. Ihren Lebensmittelpunkt haben sie heute außerhalb Deutschlands und erst ihre fachlichen Analysen im Fernsehen ließen die meisten ihrer Kritiker verstummen. Daran können auch legendäre Sätze wie "Wäre, wäre, Fahrradkette" nichts ändern. Dass "der Loddar" heute wieder so sehr geschätzt wird, hängt auch mit seinen klaren Grundsätzen am Mikrofon zusammen. "Es ist für mich ein absolutes No-Go, Spieler zu vernichten. Aus meiner eigenen Zeit als Spieler weiß ich noch zu gut, wie sich das anfühlt."

Wie lange er noch für Sky die großen Fußballspiele analysieren wird, ist unklar. Sein Vertrag mit dem Pay-TV-Sender gilt noch bis 2021. Wenn er ausläuft, wird Matthäus 60 sein – und Sky womöglich ohne Übertragungsrechte dastehen. Die Champions League ging gerade an Amazon und DAZN verloren und die Bundesliga-Ausschreibung steht erst noch bevor. Der Rekordnationalspieler kann gelassen bleiben, Sky eher nicht.