Nein, kein Fußballspiel war im gerade abgelaufenen Jahr die meistgesehene Sportsendung des Jahres. Angeführt wird das Ranking vom Halbfinale der Handball-Weltmeisterschaft. Beim Spiel zwischen Deutschland und Norwegen hatten im Januar fast zwölf Millionen Zuschauer eingeschaltet – erst dahinter folgt das Fußball-Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Niederlande. 2020 dürfte die Reihenfolge anders aussehen, schließlich ist im Jahr der Fußball-EM mit Reichweiten jenseits der 20-Millionen-Marke zu rechnen. 

Dennoch stehen die Chancen gut, dass ARD und ZDF in den nächsten Tagen wieder auf das alljährliche Handball-Fieber im Land bauen können. Von Donnerstag an findet nämlich in gleich drei Ländern die Europameisterschaft statt und nach den jüngsten Testspiel-Erfolgen gegen Island und Österreich können sich deutsche Handball-Fans berechtigte Hoffnungen auf einen erfolgreichen Turnierverlauf machen. Und damit auch die übertragenden Sender, allen voran die Öffentlich-Rechtlichen, bei denen sämtliche Spiele mit deutscher Beteiligung zu sehen sind.

Zur Wahrheit des hiesigen Handball-Fiebers gehört aber auch, dass es fast ausschließlich im Januar entfacht. Geht es um die Handball-Bundesliga oder gar die Champions League, dann könnte man angesichts der in aller Regel überschaubaren TV-Quoten den Eindruck gewinnen, es handle sich um eine Nischensportart. Selbst wenn im Ersten auf dem Sendeplatz der Bundesliga-"Sportschau" ein Spiel zwischen dem SC Madgeburg und dem THW Kiel übertragen wird, schalten weit weniger als zwei Millionen Zuschauer ein. Ganz zu schweigen von all den anderen Spielen, die ausschließlich im Pay-TV gezeigt werden.

Axel Balkausky© ARD/Ralf Wilschewski
Axel Balkausky (Foto) überrascht das nicht. "Klar ist, dass das Gesamtinteresse bei der Nationalmannschaft immer deutlich höher ist, das ist in jeder Sportart so", sagt der ARD-Sportkoordinator gegenüber DWDL.de. Gleichzeitig sieht er großes Potenzial im Handballsport – zumal es auch an Aushängeschildern nicht mangele. "Es gibt genug Typen, wie Andreas Wolff und Uwe Gensheimer und das ist toll für die Sportart. Sie rücken stärker in den Fokus, denn von Identifikationsfiguren lebt jeder Sport."

ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann sieht für die hohen Reichweiten bei den großen Turnieren hauptsächlich zwei Gründe. "Handball ist eine sehr populäre Sportart und profitiert erstens von der Terminierung im Januar, wenn die Fußball-Bundesliga noch in der Winterpause ist. Und zweitens schafft es das konzentrierte Auftreten der sympathischen Handballer, auch Zuschauer außerhalb eines Fachpublikums zu binden." Mit ihren 18 Turniertagen sei die bevorstehende EM "ein überschaubares Top-Ereignis", sagt Fuhrmann. Das Interesse über das ganze Jahr hinweg hochzuhalten, dürfte da schon ungleich schwerer sein. 

Thomas Fuhrmann© ZDF/Thomas Kierok
"Über das ganze Jahr haben die Handballer in Bundesliga und internationalen Wettbewerben vor allem ein immenses Pensum zu bewältigen – mit terminlich nicht ganz einfach zu überschauenden Spielansetzungen. Das dürfte neben dem übergroßen Konkurrenten Fußball ein weiterer Grund sein, warum sich das Interesse nicht über das ganze Jahr vergleichbar hochhalten lässt", erklärt der ZDF-Sportchef (Foto). Um daran etwas zu ändern, kooperiert die ARD seit einiger Zeit mit Sky. "Das ist kein Selbstläufer, sondern es muss sukzessiv passieren", ist Axel Balkausky überzeugt. 

Doch das alleine reicht wohl kaum, um die Quoten abseits der Turniere auszubauen. "Zudem müsste sich meiner Meinung nach etwas an den Zeiten und der Struktur der Bundesligaspieltage tun", fordert der ARD-Sportkoordinator. "Der Hauptfokus sollte hier eine klare Trennung zwischen Bundesliga am Wochenende und Champions League unter der Woche betreffen." Der Fußball könnte also in diesem Fall dem Handball als Vorbild dienen – auch wenn es innerhalb der UEFA mittlerweile bekanntlich Strömungen gibt, die die sogenannte "Königsklasse" gerne an Wochenenden spielen lassen würde.

Bei ARD und ZDF überwiegt nun aber erst einmal die Vorfreude auf die Handball-EM. "Wir haben sehr dafür gekämpft, die Übertragungsrechte für die kommende Europameisterschaft zu erwerben und wir wissen, wie stark sich der Handball in Deutschland weiterentwickelt hat. Deswegen ist dieses Turnier ein hohes Gut für uns und ich hoffe, dass die deutsche Nationalmannschaft den verletzungsbedingten Ausfällen trotzen und sich in einen Rausch spielen kann", sagt Axel Balkausky. Und Thomas Fuhrmann erhofft sich "mitreißende Spiele" – und starke Quoten. Die Generalprobe sei bereits geglückt: Beim Testspiel gegen Island schalteten am vergangenen Wochenende schon über drei Millionen Zuschauer ein.