Irgendwo über den Wolken: Eben noch putzmunter am Strand, auf dem irritierend viele Vögel herumliegen, schüttelt sich ein junger Mann beim Heimflug plötzlich so vor Krämpfen, dass er noch vor der Landung stirbt und bald für Chaos sorgt. Die Ursache war schließlich ein mutiertes Vogelgrippevirus. Und um seine Ausbreitung zu verhindern, leitet die Regierung sofort drastische Maßnahmen bis hin zur Abriegelung ganzer Städte ein. Was nach der chinesischen Corona-Epidemie klingt, ereignete sich 2007 auf Sat1, wo die globale Ausbreitung des realen H5N1-Erregers Auslöser eines Katastrophenfilms war, der das tat, was Katastrophenfilme nun mal tun: Panik verbreiten.

13 Jahre nach "Pandemic" scheint es da nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Unterhaltungsbranche erneut aufs Zugpferd echter Gefahren springt und einen Thriller mit Corona als Täter dreht. So war es schließlich auch in den 70ern, als die zunehmende Technikskepsis Endzeitfilme wie Rainer Erlers "Fleisch" oder Wolfgang Petersens "Smog" gebar; so war es in den 80ern, als die Angst vorm Atomkrieg zu Dramen wie "War Games" und "Day After" führte; so war es in den 90ern, als die grenzenlose Globalisierung grenzenlose Erreger bis hin zur "Pest" auf RTL inszenierte. Und so ist es auch im laufenden Jahrhundert, als Seuchen wie SARS das ZDF zur "Mobilen Einsatzgruppe Tropenmedizin" animierte.

Als Seismographen der Nachrichtenlage, thematisieren fiktionale Dystopien laut dem "Lexikon der Filmbegriffe" nun mal "politische, kulturelle und moralisch-ethische Problemkonstellationen", die gerade virulent sind. Weil Corona die Welt zurzeit ähnlich in Angst und Schrecken versetzt wie einst Influenza und Pershing II, könnte es also bald ein anderes Genre überlagern, das eigentlich kurz vorm Durchbruch stand: Climate Fiction, kurz CliFi. Seit die Angst vorm Klimakollaps dank Greta Thunberg aus dem Schatten akademischer Mahnungen ins Rampenlicht politischer Warnungen getreten ist, bemühen sich ja auch Film und Fernsehen ums fossil entfachte Entertainment. Zumindest fiktional, so schien es, stand ein Epochenwechsel ins brennende Haus.

Schon als die Grünen noch jung waren, flog der "Blade Runner" zwar durch eine postapokalyptische Zukunft, die wie Kevin Kostners "Waterworld" irgendwas mit Umweltzerstörung zu tun hatte; beides blieb aber ähnlich bizarr wie Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow", wo die Erderwärmung 2004 zur denkbar undenkbarsten Erderfrierung geriet. Mittlerweile jedoch setzt sich auch an Filmsets die Erkenntnis durch, dass jene "Klimaveränderung", die drei Jahre später im Kinofilm "Das Sams" nur für Regenschirmhersteller relevant schien, ein planetarischer Flächenbrand geworden ist.

Australien lässt grüßen.

Kurz nachdem die französische Zivilisation in TV-Fiktionen wie "La Derniere Vague" und "L‘effondrement" kollabiert ist, machte die niederländisch-belgische Hochwasser-Katastrophe "Swell" vorigen Herbst demnach auch beim NDR den Anfang vom Ende. Besonders Streamingdienste planen weitere Endzeit-Fantasien mit steigendem CO2-Gehalt. Das Genre bewegt sich. Zumindest ein bisschen. Denn nachdem das Ende des Kalten Kriegs ein Zeitalter der Glückseligkeit verhieß, ersann das Unterhaltungsprinzip Paranoia gern abstraktere Gefahren für alle, die durch das Schicksal einzelner emotionalisiert werden.

Allein in den vergangenen 20 Jahren sind Dutzende Serien und Filme entstanden, die unsere Zivilisation wie zuletzt im Sky-Drama "8 Tage" mit Naturkatastrophen von Meteoriteneinschlag bis Vulkanausbruch traktieren, die wie Hunderte von TV-Pandemien und Alien-Invasionen etwas sehr Entspannendes gemeinsam haben: sie machen andere als zahlende Zuschauer für den Untergang auf Leinwand und Flatscreen verantwortlich. Falls die Zivilisation an irgendwas zugrunde geht, dann also Zombies, Außerirdische oder ganz irre: ein schwarzes Loch unter der Schweiz wie 2013 bei RTL. Zwar mögen futuristische Tyranneien à la Panem echt unwirtlich sein; dass die Atmosphäre dort dank fossiler Emissionen vier, fünf Grad wärmer wäre, wird zumindest nicht thematisiert.

Kein Wunder, dass der CliFi-Pionier Emmerich seiner Zunft Ignoranz vorwirft. Mit all ihren Superheros von Marvel bis DC, beklagte er in der "Variety", könnten seine Regiekollegen "leicht eine Situation schaffen, die eindeutig eine Klimakrise ist". Nur: "Sie tun es nicht!" Im prophetischen Fach der Science Fiction bleibt das heilsame Potenzial der Climate Fiction daher weitestgehend ungenutzt – auch wenn es Daniel Bloom neun Jahre, nachdem er den Begriff ersann, nicht wahrhaben will. Aus Sicht des New Yorker Autoren und Aktivisten, breite sich seine Gattung nicht zuletzt dank Donald Trumps reaktionärer Umweltpolitik "in Literatur und Film aus wie ein Lauffeuer". Schön wär’s.

Denn während sich die Buchläden zum existenziellsten aller Menschheitsthemen langsam füllen, bleibt es am Fernseher abgesehen von öffentlich-rechtlichen Dokus ähnlich unauffindbar wie im Kino. Unserer Spezies, so lautet die Prognose, bleiben nur noch ein paar Jahre, um den Kollaps eigenhändig abzuwenden. Höchste Zeit also, ein paar Netflix-Serien darüber zu drehen, am besten mit Eltern, die ihre Kinder retten und das Publikum damit gefühlsmäßig zur Nachhaltigkeit drängen. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Fernseherde weiter vom Weltraum aus bedroht wird; muss man sich nicht auch noch auf dem Sofa Vorwürfe machen…