Als Maria Furtwänglers MaLisa-Stiftung im Jahr 2017 die Ergebnisse einer Studie über Frauen im Fernsehen vorgestellt hat, ist auch dem Kinderfernsehen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt worden. Nur eine von vier Figuren war damals weiblich - das hat natürlich Auswirkungen auf das Gesellschaftsbild von Kindern. Heute sind die Probleme und Herausforderungen im Bereich Diversity der Branche durchaus bewusst - und auch über die Strategie, mehr Vielfalt im Kinderfernsehen herzustellen, herrscht weitestgehend Konsens. 

Astrid Plenk© Kika/Carlo Bansini
DWDL.de hat alle wichtigen Kindersender und weitere Experten im Bereich Kinderfernsehen befragt - sie alle sind sich einig: Vielfalt zeigen und sichtbar machen ist extrem wichtig. "Medien prägen die Sicht auf die Welt. Es ist unser oberster Anspruch, die heterogene Lebenswelt der Kinder abzubilden", so Kika-Programmgeschäftsführerin Astrid Plenk (Foto rechts) gegenüber DWDL.de, die sagt, seit 2017 gebe es Bewegung in der Branche und das Thema werde seither stärker in den Blick genommen. Auch Super RTL-Chef Claude Schmit sagt, Diversity in Kinder-Formaten werde immer wichtiger. Konkret würden die Casts in Kinder-Sendungen immer diverser. "Die weiße männliche Heldenfigur gibt es zwar immer noch, sie wird aber zunehmend durch Helden unterschiedlicher ethnischer Herkunft und auch zunehmend durch weibliche Heldinnen abgelöst", sagt er. 

Steffen Kottkamp© Viacom
Bei der Art und Weise, wie Vielfalt im Kinder-Fernsehen sichtbar gemacht werden kann, sind sich alle Befragten einig. Steffen Kottkamp (Foto links), Brand Director Kids & Family bei ViacomCBS Networks GSA, und damit verantwortlich für Nick, bringt das so auf den Punkt: "Wir glauben an das Prinzip 'show, don't tell'." Kottkamp erklärt: "Die Vielfalt unserer Gesellschaft ist ein ganz alltäglicher Teil des Lebens der Kinder, die unser Programm schauen, und genauso muss es auch ganz alltäglich Teil der medialen Realität sein." Das heißt: Charaktere aller Art werden wie selbstverständlich in die Handlungen von Serien und Filmen integriert, um den Kindern so Normalität zu zeigen. Der erhobene Zeigefinger funktioniert dagegen nicht. Wer Diversität predigt, muss sie auch leben. Vielfalt dürfe nicht zwanghaft in Geschichten hineingeschrieben werden, warnt Astrid Plenk vom Kika. "Vielmehr braucht es eine 'unproblematisierte' Darstellung von Vielfalt – ohne Geschichten Spannung und Lebenswirklichkeit 'weichzuspülen'."


Claude Schmit© Super RTL
Auch der Disney Channel hat sich Vielfalt auf die Fahnen geschrieben. Vom Sender heißt es, dass es besonders wichtig sei, dass Eltern und Kinder, wenn sie etwas gemeinsam schauen, nicht nur unterhalten, sondern gleichzeitig auch gefordert werden. "Daraus können interessante Gespräche entstehen, bei denen Eltern und Kinder gemeinsam diskutieren können." Die Herausforderungen für alle Beteiligten sind aber groß, nach wie vor gibt es oft noch zu wenige weibliche Protagonisten im Kinder-Fernsehen. Man habe das Problem erkannt und steuere bewusst dagegen, sagt Super RTL-Chef Claude Schmit (Foto rechts) gegenüber DWDL.de. "Die Einbindung weiblicher Charaktere ist eine unserer häufigsten Anmerkungen beim Feedback an Produzenten." Schmit sieht trotz positiver Tendenzen in allen Bereichen Nachholbedarf, besonders aber bei der Geschlechterparität und der Integration von Charakteren mit Behinderung.  

Es würden in Kindermedien noch zu oft Stereotype und Klischees bedient, ergänzt Kika-Programmgeschäftsführerin Astrid Plenk. Die vermittelten Bilder würden viele junge Zuschauer prägen und durch sie weitergetragen werden. Schaut man genauer hin, merkt man, wie diffizil das Thema ist. Jungs sind oft "Satansbraten", Mädchen dagegen fleißig und gut in der Schule. Der Vater geht arbeiten, die Mutter sorgt sich um die Kinder. Im Einzelfall keine große Sache, sind diese Darstellungsformen in der großen Summe dann eben doch ein Problem. Claude Schmit ist es aber auch wichtig, dass Mädchen auch mal beispielsweise ein Faible für Pinkes haben dürfen. "Wichtig ist nicht nur das Aussehen eines Charakters. Erst durch seine Handlungen zeigt sich wahre Charakterstärke", sagt er. 

"Die Einbindung weiblicher Charaktere ist eine unserer häufigsten Anmerkungen beim Feedback an Produzenten."
Super RTL-Chef Claude Schmit

Positive Beispiele

Trotz der großen Herausforderungen, vor denen Produzenten und Sender stehen, gibt es positive Beispiele en masse. In der Nick-Serie "Spotlight" ist ein breit aufgestellter Cast zu sehen. Im März startete beim Sender zudem mit "Die Casagrandes" eine Serie der US-Kollegen, die das Leben einer mexikanisch-amerikanischen Familie in den Mittelpunkt stellt. Die Serie ist ein Spin-off einer der aktuell erfolgreichsten Nick-Serien - "Willkommen bei den Louds". Diese Produktion ist in den USA schon mehrfach für die Darstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften für den GLAAD Award nominiert worden. Auch in den Disney-Jugendserien "The Lodge" und "Andi Mack" stehen homosexuelle Protagonisten im Mittelpunkt. Im Kika ist das Kikaninchen eine geschlechtsneutrale Figur und in der geplanten Neuproduktion der "Schlümpfe" wird es neben Schlumpfine ab 2021 außerdem weitere weibliche Figuren geben. Der Kika hat zudem eine Diversity-Checkliste, um Formate schnell und unkompliziert auf die nötige Vielfalt zu überprüfen. Darin wird unter anderem abgefragt, ob die Vielfalt der Gesellschaft und Geschlechter abgebildet wird, welche Personen in welchen Rollen vorkommen und welche Stereotype bedient werden. Gecheckt werden soll damit auch, ob die Programme in "vielfältigen Teams" entstehen. 

Milena Maitz© Jennifer Fey
Eine, die sich schon seit vielen Jahren mit Kinderfernsehen beschäftigt, ist Milena Maitz (Foto links), Geschäftsführerin von Studio.TV.Film. Die Produktionsfirma verantwortet Formate wie "Löwenzahn", "Siebenstein" und "Kikaninchen". Auch sie sagt, das Thema Diversity habe eine sehr hohe Priorität. Das reiche von Gesprächen über Konzepte und Drehbücher bis hin zu Besetzungen von Cast-Mitgliedern. "Die natürliche Neugierde der Zielgruppe, die noch viel weniger vorgeprägt ist als ältere Mediennutzergruppen, in der Urteile und Vorurteile erst noch herausgebildet werden, bietet eine herausragende Möglichkeit, Vielfalt abzubilden und in selbstverständlicher Weise zu thematisieren und zu visualisieren", sagt Maitz. Multikulturalität  zeige man beiläufig als etwas völlig Normales. Bei "Löwenzahn" gehören die iranisch-stämmige Schauspielerin Sanam Afrashteh als Kiosk-Besitzerin Yasemin und engste Vertraute von Fritz Fuchs ebenso zum Ensemble wie die in Ghana geborene Thelma Buabeng, die die Journalistin Marla verkörpert. 

Auch die Maus verändert sich

Eine große Herausforderung für Macher von Kinder-Programmen sieht Milena Maitz darin, dass Mädchen mehr Toleranz als Jungs zugebilligt werde. "Das bedeutet, dass Mädchen sowohl männliche als auch weibliche Identifikationsfiguren akzeptieren, die Jungs hingegen lassen sich schwerer auf Mädchen als Protagonisten in Formaten ein. Das stärkt die Neigung, Helden bzw. Hauptfiguren mit männlichen Protagonisten zu besetzen." 

Ralph Caspers© WDR/Linda Meiers
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sich auch langjährige Kindersendungen im Zeichen der Vielfalt gewandelt. Bei der "Sendung mit der Maus" zum Beispiel wurde das Team bestehend aus Armin Maiwald, Christoph Biemann und Ralph Caspers um weibliche Protagonisten erweitert. "Das kann man sicher als Meilenstein bezeichnen", sagt Brigitta Mühlenbeck, Leiterin der WDR-Programmgruppe Kinder und Familie. Seit 2015 ist Siham El-Maimouni an Bord, seit 2018 Clarissa Corrêa da Silva. In Doppelmoderationen wird inzwischen verstärkt auf diverse Duos gesetzt. Der mehrsprachige "Maus"-Vorspann ist seit Jahren so etwas wie das Markenzeichen der Sendung. Doch auch "Maus"-Moderator Ralph Caspers (Foto rechts) erkennt beim Kinderfernsehen noch Nachholbedarf, wenn es um die Darstellung von Vielfalt geht. "Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen zu zeigen – ich glaube, da ist noch Luft nach oben", sagt er zu DWDL.de. Bei der Frage des "wie?" ist er sich mit seinen Kollegen einig: "Am besten vermittelt man Vielfalt, indem man Vielfalt zeigt. Dann wird nämlich auch schnell deutlich, dass Vielfältigkeit besser ist als Einfältigkeit."