"Wenn Sie diesen Film gesehen haben", schloss Moderator Thomas Kausch seine Einführung in einen Arte-Themenabend im Oktober vor elf Jahren, "werden Sie sich dieser Meinung vielleicht anschließen." Nämlich dieser: dass Gesundheitsbehörden weltweit "auf eine Kampagne der Pharmaindustrie hereingefallen sind". Allein Frankreich, führte Kausch aus, habe rund 100 Millionen Impfdosen gegen H1N1 bestellt, doppelt so viele wie Deutschland. Der Erreger der sogenannten Schweinegrippe hatte sich im Frühjahr 2009 von Mexiko ausgebreitet und die ganze Welt in Panik versetzt. Doch spätestens im Herbst desselben Jahres, als Arte eben diese erste Influenza-Pandemie des 21. Jahrhunderts zum Thema eines Fernsehabends machte, zeichnete sich ab: Die Schweinegrippe ist harmloser, als anfangs befürchtet. Zweifel an der Sinnhaftigkeit des "großen Massenimpfens" (Kausch) nährte nun auch die Doku "Profiteure der Angst", die mit 240.000 Zuschauern in Deutschland respektive 537.000 in Frankreich für Arte-Verhältnisse auf überdurchschnittlich hohe Resonanz stieß.

Weder der deutsch-französische Kulturkanal noch der koproduzierende NDR, der mit einer Ausstrahlung im November 2009 folgte, haben den 50-Minüter seither wiederholt. In den öffentlich-rechtlichen Mediatheken ist "Profiteure der Angst" nicht gespeichert. Und doch haben den Film von Jutta Pinzler und Ko-Autorin Stefanie Schwalfenberg seit Beginn des Corona-Lockdowns tausende Menschen auf YouTube gesehen, gelikt, geteilt. Auch der als "Corona-Verharmloser" in Verruf geratene Epidemiologe Sucharit Bhakdi beruft sich darauf in seinem "Spiegel"-Bestseller "Corona Fehlalarm?". Die unterschiedlichen Stimmen lassen sich auf die gemeinsame Formel bringen: Bei Corona läuft es aus dem Ruder wie seinerzeit bei der Schweinegrippe. Alles maßlos überzogen. WHO und Politik lassen sich abermals von der Pharma-Lobby einwickeln, die bloß Angst und Hysterie schüren, um ihre Produkte gut zu verkaufen. Oder wie es die Kabarettistin Lisa Fitz in ihrer Nummer "Profiteure der Corona-Angst" für die SWR-Satire "Spätschicht" bairisch-deftig zusammenfasste: "Wir lassen uns verscheißern, dass es kracht. Glauben Sie, das ist jetzt irgend anders?"

Aber liegt der gedankliche Transfer von der Schweinegrippe- zur Corona-Pandemie, wie ihn Fitz & Co. betreiben, wirklich nahe? Taugt eine elf Jahre alte Doku als Beleg, um den Umgang mit Sars-CoV-2 zu kritisieren, ja zu skandalisieren? Oder wird hier seriös recherchiertes Material missverstanden, womöglich für eine fragwürdige Argumentation missbraucht? Was in dem Fall zu der Frage führt: Inwiefern haben es Sender und Filmautorinnen überhaupt in der Hand, die Rezeption eines Werks zu steuern?

Was Letzteres betrifft: offenbar gar nicht. Auf Anfrage teilen Arte und NDR mit, wie und von wem eine Filmrecherche Jahre später rezipiert werde, liege außerhalb des Sendereinflusses. Ähnlich einflusslos sieht Jutta Pinzler ihre Position.

Eine Doku aus 2009 als Beleg für Versäumnisse im Jahr 2020?

Jutta Pinzler © sagamedia Jutta Pinzler
Mit großem Staunen nimmt die Kölner Autorin und Produzentin das Comeback ihres Films im Netz wahr. Gemeinsam mit Iris Bettray gründete Pinzler 2005 die Firma sagamedia, zu deren Brot-und-Buttergeschäft Doku-Soaps wie "Teenie-Mütter – Wenn Kinder Kinder kriegen" (RTLzwei) oder "Wir werden Camper" (WDR) gehören, aber nicht nur. Pinzlers Spezialität sind die großen internationalen Arte-Themenabende. Und für diesen einen im Jahr 2009 setzte sie den Fokus auf die korruptions- und betrugsanfälligen Strukturen im Gesundheitswesen, die während der Schweinegrippe-Pandemie augenfällig wurden. Herauszuarbeiten, dass jene Grippe harmloser ist, als zunächst befürchtet, sei indes nicht allein der Rechercheleistung ihres Teams geschuldet gewesen, betont Pinzler, sondern damals Tenor in vielen anderen Medien. In diesem Kontext entstand "Profiteure der Angst".

Als die YouTube-Views in diesem Frühjahr in die Höhe schnellten und sich Anfragen aus dem privaten und beruflichen Umfeld mehrten, musste sich Jutta Pinzler ihr eigenes Werk wieder anschauen, um in Erinnerung zu rufen, was sie da vor elf Jahren überhaupt recherchiert hat. Aus ihrer Sicht ist die Doku ganz klar als "historisches Zeitdokument" zu betrachten: "Mit Corona, das es damals noch nicht gab, konnte 'Profiteure der Angst' nichts zu tun haben."

Ich kann auch keine Verantwortung dafür übernehmen, welche Schlüsse Menschen aus einem Film ziehen.
sagamedia-Geschäftsführerin Jutta Pinzler

Dass die "recht klassische Dokumentation" dennoch von so vielen Menschen angeschaut wird, zeige ihr, "dass es ein großes Informationsbedürfnis gibt". Generell würden öffentlich-rechtliche Dokus gerade großen Zulauf erfahren. Schieben sie Debatten an, so wie es "Profiteure der Angst" getan hat, dann findet das Pinzler "erstmal sehr erfreulich". Eine "lebendige Debattenkultur" könne sich jede Filmautorin nur wünschen. Laufe eine Debatte aus ihrer Sicht "in eine falsche Richtung", könne sie das allerdings nicht beeinflussen: "Ich kann auch keine Verantwortung dafür übernehmen, welche Schlüsse Menschen aus einem Film ziehen. Es ist jedem freigestellt, daraus zu zitieren, solange die Fakten nicht verdreht werden."

Unter den gut zwei Dutzend Talking Heads, die Pinzler in "Profiteure der Angst" versammelte, ist nicht nur ein junger Virologe namens Christian Drosten dabei, sondern auch der Lungenarzt Wolfgang Wodarg, damals für die SPD Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Über H1N1 sagte er: "Diese Viren sind jetzt nicht gefährlicher als schon im letzten Jahr. Die WHO spielt die Zahlen hoch und macht unnötig Panik. Die Entscheidung für eine Pandemie war unsinnig." Im Prinzip wiederholte Wodarg diese Argumentation zu Beginn der Corona-Pandemie: Sars-CoV-2 sei nicht gefährlicher als die Corona-Erreger der Grippe-Wellen zuvor – und diskreditierte sich damit im öffentlich-rechtlichen Diskurs, wo er elf Jahre zuvor noch gefragter Wortführer war. Dass dieser Experte aus dem "Bildungsvideo auf Arte" nun nicht mehr gehört werde, gibt den Corona-Kritikern weiteren Stoff für ihr Misstrauen gegenüber den "Mainstream-Medien".

Profiteure der Angst © Screenshot Arte Christian Drosten in der Doku Profiteure der Angst im Jahr 2009.

Jutta Pinzler hat mit Wolfgang Wodarg seit den Filmaufnahmen nicht mehr gesprochen. Ob er mit seinen Thesen zu Corona falsch oder richtig liege, könne sie nicht beurteilen. Fakt ist für sie, dass Covid-19 in dem Sinn gefährlich sei, "dass bisher viel mehr Menschen gestorben sind als damals bei der Schweinegrippe". Dennoch findet Pinzler grundsätzlich, "dass es in einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft möglich sein muss, gegensätzliche Meinungen auszuhalten und zu diskutieren". Gerade, was Corona angeht. "Wenn man die so genannten Corona-Kritiker immer nur in eine Reihe mit den Ken Jebsens dieser Welt stellt und ihnen überlässt, finde ich das verheerend. Es birgt keine Gefahr für unsere Gesellschaft, wenn man sich mit wissenschaftlichen, vielleicht auch mit nicht haltbaren Positionen seriös auseinandersetzt."

Das antivirale Wettrüsten um den ersten und bestenfalls besten Impfstoff gegen Sars-CoV-2, die hunderte Millionen Euro, die allein die Bundesregierung aktuell in die Corona-Forschung und Vakzin-Entwicklung injiziert – sie erzeugen bei den Neu-Zuschauern von Pinzlers Film ein Déjà-vu: Das hatten wir doch schon mal. Ob sie, die Filmautorin, auch Parallelen erkenne? Dazu könne sie nichts sagen, "dafür müsste ich diesen Aspekt erstmal gründlich und nachhaltig recherchieren". Inwiefern Pharma-Firmen das Geschehen auch in der Corona-Pandemie steuern, wer und ob überhaupt jemand profitiert, wäre aus ihrer Sicht "sicher lohnender Stoff" für einen weiteren Film. "Aber dafür ist es noch viel zu früh. Da braucht es mehr Abstand für eine journalistisch-seriöse Analyse."

Wenn man die so genannten Corona-Kritiker immer nur in eine Reihe mit den Ken Jebsens dieser Welt stellt und ihnen überlässt, finde ich das verheerend.
sagamedia-Geschäftsführerin Jutta Pinzler

Ausreichend Zeit ist dagegen vergangen, um zu prüfen, inwiefern die weltweiten Corona-Maßnahmen unseren Demokratien schaden und die Grundrechte einschränken könnten. Den Filmauftrag dafür erteilte an sagamedia wieder Arte zusammen mit dem NDR. Die Hamburger legten Ende August (mit dem WDR) bereits die Doku "Der Zug der Seuche – Das Coronavirus verändert die Welt" vor. Einen ähnlichen Ansatz, den Ländervergleich, verfolgen auch Jutta Pinzler und ihre Ko-Autorin Stefanie Schwalfenberg. Sie wollen in Schweden, Frankreich und Deutschland herausfinden, was hat wo und wie funktioniert, um die Krise zu bewältigen, und wer bleibt wirtschaftlich auf der Strecke. Im April legten sie los. Nach Machart von "Profiteure der Angst" suchen sie auch hierfür ein Potpourri an Gesprächspartnern. So gab der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell bereits seine definitive Interviewzusage. Statt Christian Drosten, der trotz vielfacher Nachfrage und anfänglich signalisiertem Interesse doch absagte, springt der Bonner Virologe Hendrik Streeck ein, der in Deutschland die erste Studie in Sachen Corona in Gang gebracht hat. Wichtig ist den Filmemacherinnen: Sie wollen in ihrem Film "nicht dramatisieren, sondern nüchtern analysieren".

Arbeiten an Corona-Doku laufen

Voraussichtlich Anfang Dezember soll "Corona und die Demokratie – ein Vergleich zwischen Frankreich, Deutschland und Schweden" (Arbeitstitel) gesendet werden, weshalb die Dreharbeiten derzeit auf Hochtouren laufen. "Der Film muss eigentlich auch dieses Jahr noch ausgestrahlt werden", sagt Pinzler, "denn momentan hat man das Gefühl, wenn nur eine Woche dazwischenliegt, ist schon alles völlig überholt." Oder das Thema ist buchstäblich verflogen. So fegte Corona im Mai eine sagamedia-Doku über die Flugzeugindustrie vom Sendeplatz – im Lockdown lag nichts ferner als der Gedanke ans Fliegen.

Eine weitere Herausforderung sind laut Pinzler die Quarantäne-Bestimmungen, die das länderübergreifende Drehen deutlich erschwerten. Die für den Frankreich-Part zuständige Mitarbeiterin müsse sich nach jeder Rückkehr aus dem Risikogebiet Paris testen lassen und fünf Tage isolieren, bevor sie ins Kölner Büro zurückdürfe. "Das ist für eine Produktion echt ein Alptraum." Gar nicht ausmalen mag sich die Kölner Produzentin den Fall, dass Arte und NDR ihren Corona-Film absetzen könnten, so wie es der SWR mit der Doku "Wuhan – Chronik eines Ausbruchs" der Gebrüder Beetz infolge kritischer Vorabberichterstattung der "Süddeutschen Zeitung" getan hat. Kern der Kritik war, dass die Produktionsfirma Bildmaterial der unter staatlicher Kontrolle stehenden chinesischen Filmproduktion China Intercontinental Communication Center verwendet hat.

Ohne die Hintergründe genauer zu kennen, hat Jutta Pinzler mit der anderen Produktionsgesellschaft "mitgelitten". Sie könne sich nicht vorstellen, "dass sie wissentlich und willentlich da irgendwas falsch dargestellt haben". Für sich selbst zog sie aus diesem Fall die Warnung: "Man muss bei jedem Film genau kontrollieren, welche Quellen man nutzt. Archivmaterial zu verwenden, schützt vor Fehlern nicht. Es braucht fitte Redakteure und Justiziare als Kontrollinstanz, die einen Film ganz genau abklopfen." Was das Publikum letztlich daraus mitnimmt, liegt außerhalb ihres Kontrollbereichs.