Als am 21. Oktober 2004 Sat.1 "Anke Late Night" den Saft abdrehte, diesem ersten Experiment einer späten und von einer Frau geleiteten Abendunterhaltung aus Comedy und Talk, kommentierte die "Süddeutsche Zeitung" vernichtend und heute unvorstellbar sexistisch: Frauen könnten eben nicht die Welt erklären. Fast auf den Tag 16 Jahre später macht sich nun ein platinblondes Wesen auf den Weg zum Gegenbeweis. Dafür schält es sich im Opener zur neuen Show aus einem 134.000 Euro teuren, Plug-in-Hybrid-angetriebenen Sportflitzer heraus und stürmt selbstbewussten Schritts zu Keshas "Woman"-Takt das Havelstudio in Berlin-Charlottenburg, um allen männlichen Skeptikern da draußen zu zeigen: Und wir können es doch. Hört uns einfach mal zu.

Einmal die Woche für dreißig Minuten bekommt Ariane Alter ab heute dafür Zeit. "Late Night Alter", so der Titel ihrer Show, ist, bevor überhaupt eine einzige Minute zu sehen war (bis auf den Trailer), eine rare Attraktion. Man kommt hierzulande auf keine Handvoll weibliche Entertainerinnen, die im Genre Late Night Show zum Zug gekommen sind, geschweige denn sich dauerhaft gehalten haben. Anke Engelke, die so genannte "Nachfolgerin von Harald Schmidt", war wie gesagt die erste. ProSieben probierte es 2016 mit Enissa Amani als "Nachfolgerin von Stefan Raab" in "Studio Amani". Und jetzt folgt also Ariane Alter auf Jan Böhmermann. Fragt sich: Warum sie?

Weil sie "ein Multitalent ist", lässt ZDFneo mitteilen. Man traue ihr zu, "aktuelle Themen durch ihre eigene Herangehensweise und ihren Humor so aufzubereiten, dass 'Late Night Alter' ein fester Bestandteil der Watchlist unserer Zielgruppe wird". Diese ist zwischen 25 und 39 Jahre alt und an Themen wie Gender, Diversität und Klima interessiert. "Ari", wie die Fans sie nennen, ist 34 und hat, selbstverständlich, Interesse an denselben Themen. Das passt schon mal. Außerdem dürfte es dem Sender sehr gut passen, dass die in Berlin geborene Vielrednerin schon fast ihr halbes Leben als ziemlich angstfreie Moderatorin bestreitet.

Die Anfänge: MTV als "beste Schule"

Kurz nach dem Abitur ließ erstmals MTV sie vor die Kamera. Für "Grünschnäbel" wie sie, erzählt Ariane Alter fernmündlich, während sie sich im Taxi durch Berlin chauffieren lässt, sei es die beste Schule gewesen. Sie kenne keinen anderen Sender, wo man so viel und schnell lernt. Beim Musikfernsehen volontierte sie just zu einer Zeit, als dort ein gewisser Joko Winterscheidt Anlauf nahm, um einmal auf ZDFneo die Late Night Show "neoParadise" mit Klaas Heufer-Umlauf zu moderieren. Der frühe Kontakt zu Joko ist verblasst, geblieben ist ihr die Erfahrung: "Die Kamera ist dein Freund und nicht dein Feind. Das Rotlicht möchte dich nicht töten. Und wenn es mal nicht so gut läuft, musst du keine Angst haben, es wird schon wieder irgendwie."

Mit dem Umzug nach München wurde sie, die Hauptstädterin, die sich aus Heimatliebe das Stadtautobahnkürzel AVUS auf den Unterarm tätowieren ließ, noch doller mutig. Der Bayerische Rundfunk hatte sie inzwischen als Reporterin und Moderatorin für seine crossmediale Marke PULS engagiert. Im dort entwickelten und heute für funk produzierten Unterhaltungsformat "Das schaffst du nie!" bildete sie bald mit Co-Host Sebastian Meinberg so was wie das Mixed-Couple-Pendant zu den sich in Duellen um die Welt jagenden Joko & Klaas. Ariane & Sebastian gingen mit "Doch, schaff‘ ich!"-Energie an Aufgaben ran wie 24 Stunden am Stück Rad fahren, in der gleichen Zeit 1.000 Bäume im Regenwald pflanzen oder mit dem Auto quer durch die marokkanische Wüste fahren. 2019 kam 72 Stunden ohne Unterbrechung eine Talkshow moderieren hinzu, was den Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde einbrachte. Nur vor den Aufgaben Bullen absamen (zu bedrohlich) oder Norgerl trinken (zu eklig) schreckte die sonst wenig Schreckhafte zurück.

Wenn es mal nicht so gut läuft, musst du keine Angst haben, es wird schon wieder irgendwie.

Die Challenge-Show "Das schaffst du nie!" soll trotz des neuen ZDFneo-Jobs mit ihr weitergehen. Zu alt fürs 14- bis 29-jährige funk-Publikum sieht sie sich schließlich nicht. Da halte sie es mit Peter Maffay, dem Idol ihrer Mutter, scherzt Ariane Alter: "Man soll das innere Kind nicht sterben lassen" oder so ähnlich habe er gesungen. "Und da werde ich sehr motiviert dranbleiben. Ich sag‘ mal: bis 95. Dann schauen wir weiter." Bei ZDFneo haben sie indes sehr genau hingeschaut, wie Ariane Alter in der ersten Jahreshälfte 2020 eine ganz andere Challenge meisterte. 52 Folgen lang führte sie, wieder für funk, durch "Gute Nacht, Alter". Diese Show, die wie die neue furchtlos mit Ariane Alters Nachnamen spielt, firmierte als Late Night, hatte aber ein eingebautes Überraschungselement: Nur Sidekick Jakob Wihgrab wusste über Ablauf und Spielkonzept Bescheid.

Produziert wurde "Gute Nacht, Alter" von John Lueftner und David Schalko von der Superfilm, also jenen Herren, die schon Hannes Ringlstetter das Late-Night-Handwerk beibrachten und neuerdings auch seinen noch steigerungsfähigen Überraschungstalk "Club 1" in der ARD herstellen. Bei "Late Night Alter" sind die Münchner raus, die Fabiola in Berlin dafür drin. Nur ein paar wenige Autorinnen und Autoren von "Gute Nacht, Alter" erklimmen mit der Spielleiterin gemeinsam "die nächste Entwicklungsstufe", wie Ariane Alter den Wechsel zu ZDFneo nennt. Zu ihrem Abschied auf funk im Sommer sang Edith Piaf "Je ne regrette rien" aus der Cloud, was eigentlich die perfekte musikalische Entsprechung zu Ariane Alters Lebensmotto ist: Es gibt keine schlechte Entscheidung, es gibt nur gemachte Entscheidungen. Im Soziologie-Studium in Salzburg habe sie gelernt: Dinge, die man bereut, sind identitätsgefährdend, weil man die Zeit nicht zurückdrehen kann. Nichtsdestotrotz, gab es vielleicht doch etwas zu bereuen? Gab es Rosenkrieg, was man ja bei Trennungen häufig denkt? Aber nein, beteuert Ariane Alter, es sei tatsächlich kein böses Blut geflossen. "Kommunikation! Es ist immer Kommunikation, auf die es bei Trennungen ankommt."

Ariane Alter © ZDF/Robert Sakowski Ariane Alter tritt Böhmermanns Nachfolge an: "Der Respekt ist da, und er wird immer größer"

Womit man schnell bei einer anderen Person anlangt, die es mit dem Trennen dem Hören nach nicht ganz so gut hinbekommen hat und nach der Ariane Alter in diesen Tagen oft gefragt wird. Zum Beispiel der Art, ob es in ihr Furcht oder Respekt auslöse, wenn sie als „Nachfolgerin von Jan Böhmermann“ bezeichnet werde. Als Antwort malt sie das Bild vom Zimmer in einer WG, in dem eben dieser öffentlich-rechtliche Promi einmal wohnte. "Kein Problem, da ist ja jetzt was frei", habe sie gedacht, als es hieß, man packe sie auf den Donnerstagabend. Aber jetzt, wo alle vom "großen Erbe" sprechen, "da ist der Respekt da, und er wird immer größer". Zumal sie weiß, dass Late Night nicht nur "das lustigste und vielseitigste TV-Genre überhaupt" ist, sondern auch das schwerste: „Alle Augen auf dich, aber die meisten mit einem Bein schon im Bett, das ist eine Hausnummer."

Wir haben uns nicht vorgenommen, uns gleich zum Start mit einem ausländischen Politiker anzulegen. Aber wer weiß, was kommt.

Wie ihr "Vormieter" soll auch Ariane Alter laut Presseankündigung "Stellung beziehen" und "Haltung zeigen", und zwar "humoristisch und authentisch" und "vor allem ohne erhobenen Zeigefinger". Ob ihre eigene Show so politisch und investigativ werde wie das "Neo Magazin Royale" von Böhmermann, der ja zuletzt mehr haltungsschwer als unterhaltungsleicht daherkam? "In der ersten Staffel", glaubt Ariane Alter, "können wir das noch nicht leisten. Wir haben uns jedenfalls nicht vorgenommen, uns gleich zum Start mit einem ausländischen Politiker anzulegen. Aber wer weiß, was kommt". Das Team von "Neo Magazine Royale" hätte acht Jahre Zeit gehabt zusammenzuwachsen. Und überhaupt, lieber als auf den nächste Woche im ZDF-Hauptprogramm startenden Late-Night-Veteran richtet Ariane Alter ihre Suche nach weiblichen Vorbildern aus: "Ich gucke lieber auf die Frauen, weil ich finde, dass Frauen mehr angeguckt werden müssen." Auch wenn ihr Format nicht das erfolgreichste gewesen sei: "Zu Anke Engelke schaue ich gerne auf."

Die einst so hart Gescholtene antwortete Jahre später auf die Frage, woran sie zu später Stunde auf Sat.1 gescheitert sei: "Late Night heißt, dass der Moderator rausgeht, vor dem Publikum steht und erst mal eine Viertelstunde Witze erzählt. Diese Viertelstunde habe ich nicht hingekriegt." Und genau davor scheint sich auch Ariane Alter zu drücken. Ihr Respekt vorm Stand-Up, das für sie ein völlig anderer Beruf ist als Moderatorin, wurde in der funk-Late-Night zum Running Gag. Immer am Anfang jeder Sendung nervte Jakob Wihgrab sie mit dem Thema, Hilfe, wir brauchen noch Gags für dein Stand-Up. In "Late Night Alter" will sie nun "aus ihrer Komfortzone heraustreten" und nicht nur bequem sitzen, sondern auch "auf jeden Fall so gerade stehen, wie es der eine Monat Ballett im sechsten Lebensjahr mir beigebracht hat". Wer’s glaubt...

Wie viel Late Night steckt in "Late Night Alter"?

Und je länger man dem Humortalent zuhört, desto mehr ahnt man, es bei "Late Night Alter" möglicherweise mit einem kleinen Etikettenschwindel zu tun zu haben. Denn bis auf den spätabendlichen Sendetermin (in der Mediathek bereits ab 20:15 Uhr zum Abruf) scheint die Show aus wenig von dem zu bestehen, was in diesem Genre traditionell Ausstattungspflicht ist. Der Schreibtisch? Ersetzt durch ein Sofa. Der Sidekick? Ersetzt durch ein diverses Ensemble. Die Studio-Band? Gibt es noch nicht, vielleicht ab Folge vier. Acht sind geplant und ebenso auch Einspieler-Sketche, Live-Aktionen und Studiogäste.

Die erste "Gästin" – auf diese Formulierung legt die Gender-sensible Gastgeberin großen Wert – wird eine Frau sein, "die einen berühmten Mann hat, aber nicht minder bekannt ist": Cathy Hummels. Und auch Gästin Nummer zwei in der Woche drauf steht schon fest. Es ist die SPD-Politikerin Sawsan Chebli, die sich, wie Ariane Alter selbst, in der Rolle der Kämpferin für Frauenrechte gefällt. Über "Die Kunstfigur" und Michael-Müller-Herausforderin Chebli war unlängst in einem Porträt sehr detailliert zu lesen, was sie zum Interviewtermin trug und wie teuer ihre Markenturnschuhe waren. Was für ein stereotyper Quatsch, kreischten die einen. Charakterbeschreibung, verteidigten die anderen. Ariane Alter, die von sich sagt, ich liebe Klamotten, findet grundsätzlich, dass bei Frauen "noch immer viel zu viel über deren Outfit geredet wird". Das Leid einer australischen Morgenmoderatorin ist ihr in unguter Erinnerung geblieben. Fast täglich wurde diese angegriffen, was hat denn die Alte wieder an, während der männliche Kollege das Jahr durch denselben Anzug auftrug, ohne dass es jemand bemerkt hätte.

Da muss man es wohl dann als selbstironische Anspielung sehen, wenn in eingangs beschriebenem Eröffnungsspot von "Late Night Alter" plötzlich jemand eine Kleiderstange mit Fummeln durchs Bild schiebt und die gesamte Crew auf diejenige wartet, die sie tragen soll. Rock oder Hose? Das war übrigens damals bei Anke Engelke eine (ernsthaft!) knifflige Frage. Sie entschied sich zur Premiere von "Anke Late Night" für ersteres. 2020 sollte sich diese Frage verbieten. Aber neugierig ist frau schon auf Ariane Alters Entscheidung.

"Late Night Alter" läuft ab sofort donnerstags um 22:15 Uhr bei ZDFneo. In der ZDF-Mediathek werden die Folgen schon vorab um 20:15 Uhr veröffentlicht.