Bei allen Herausforderungen, mit denen die Fernsehbranche durch Corona zu kämpfen hat, blieben in den vergangenen Monaten so manch wichtige Themen auf der Strecke. Verschwunden sind sie freilich nicht. So wie auch in diesem Fall: Fast drei Jahre ist es her, dass sich 92 Drehbuchautorinnen und -autoren zusammentaten, um "Kontrakt 18" zu unterscheiben, eine Selbstverpflichtungserklärung, die bestimmte Vertrags- und Verhandlungsstandards für Serien und Filme sicherstellen sollte. Doch wo steht die Initiative heute? "Wir waren stiller, weil es zu Pandemie-Zeiten wahrlich dringendere Probleme gibt als die berufsständischen Sorgen und Nöte", sagt Kristin Derfler gegenüber DWDL.de. mit Blick auf ihre Zunft.

Derfler ("Dein Leben gehört mir", "Brüder") war es, die "Kontrakt 18" im Februar 2018 gemeinsam mit Orkun Ertener ("KDD", "Die letzte Spur"), Annette Hess ("Weissensee"; "Ku'damm") sowie Volker A. Zahn ("Goldjungs", "Zarah - Wilde Jahre") ins Leben rief. Die letzten Monate, erzählt sie, habe man genutzt, um Bilanz zu ziehen, an einer breiteren Aufstellung zu arbeiten und "neue Initiativen auzuhecken". So gibt es inzwsichen eine eigene Presseabteilung und die Ombudsstelle vernetzt K18-Mitglieder bei Vertragsproblemen mit Medienanwälten, die auch in politischen Fragen beratend zur Seite stehen. Dazu kommen Arbeitsgruppen und ein direkter Erfahrungsaustausch, der etwa in einem monatlichen Digital-Stammtisch geschieht.

Dabei geht es dann etwa um Erfahrungen mit Regie, Produktion und Sendern, "positive wie negative", sagt Orkun Ertener. "Wir erleichtern uns auf diese Art gegenseitig die Entscheidung, ob wir mit bestimmten Partnern zusammenarbeiten wollen oder nicht." Das, so fügt er dazu, sei "gelebte Solidarität, um die uns viele Menschen in der Branche beneiden". Corona hat also nicht dafür gesorgt, dass die Initiative im Sand verlaufen ist. Überhaupt ziehen die Verantwortlichen eine zufriedene Bilanz. "Sehr vieles hat sich zum Positiven verändert", erklärt Volker A. Zahn im Gespräch mit DWDL.de und spricht von "deutlich mehr Wertschätzung", die den Autorinnen und Autoren mittlerweile entgegengebracht werde. 

"Die Welt" würdigte "Kontrakt 18" kürzlich gar als "die wahrscheinlich erfolgreichste Aktionsgruppe, die es seit Jahrzehnten im deutschen Film gegeben hat". Entsprechend selbstbewusst tritt Zahn dann auch auf. "Man kommt an uns nicht mehr vorbei", betont er stolz und erklärt, so manch anfangs geschockte oder verärgerte Mitstreitende hätten mittlerweile erkannt, "wie wertvoll es ist, sich unserer Expertise umfassend und auf Augenhöhe zu versichern. Und wie absurd es war - und stellenweise noch ist -, uns von Leseproben fernzuhalten oder ein Mitentscheidungsrecht bei der Regie-Besetzung zu verwehren." Dies, aber auch das Recht, die Muster und den Rohschnitt frühestmöglich sehen und kommentieren zu können, und die namentliche Nennung, etwa in Pressemitteilungen, wollte "Kontrakt 18" durchsetzen.

Doch auch heute stellt Kristin Derfler noch immer "Widerstände und schwer nachvollziehbare Vorbehalte und Ängste" fest, dass Autorinnen und Autoren "zu stark" werden könnten. "Eigentlich widersinnig", sagt sie und fragt, wo all die tollen Geschichten denn herkommen sollen, wenn man diejenigen, die sie sich ausdenken, lieber schwach halten wolle. Ohnehin sei der Bedarf nach Content während der Pandemie sogar noch gewachsen und deren Erfinderinnen und Erfinder immer häufiger in Doppelfunktion tätig - nämlich auch als Creative oder Executive Producer, "wie es in Skandinavien oder den angelsächsischen Ländern längst Standard ist", so Derfler. Auch diese Entwicklung sei zukunftsweisend für ihre Initiative. Derflers Botschaft: "Wir sind noch lange nicht fertig."

Corona-Krise und neue Herausforderungen

Dass es aus Sicht von "Kontrakt 18" noch einiges zu tun gibt, zeigt auch der Blick auf sogenannte "Leitlinien", die sich große Sender und Produktionsfirmen als Reaktion auf "Kontrakt 18" verordnet haben, aber oft "eher wolkig" formuliert seien, wie Orkun Ertener es nennt. Er befürchtet gar, dass diese gegen verbindliche Vertragsklauseln, wie die Initiative sie einfordert, ersetzt werden sollen. "Unsere Ansprüche sind nicht mit Absichtserklärungen zu befriedigen", mahnt der Autor. "Deshalb werden wir in den nächsten Wochen diesbezüglich Flagge zeigen", kündigt seine Mitstreiterin Annette Hess an. Sie verweist darauf, dass der Münchner Medienanwalt Nikolaus Reber, der schon die Autorin Anika Decker im Rechtsstreit mit Til Schweiger und Warner Bros. vertritt, die Sender-Richtlinien im Auftrag von "Kontrakt 18" überprüft habe.

Das Ergebnis: Auch wenn die Sender-Leitlinien dies vorgeben, ergebe sich hieraus "kein Recht des Urhebers, erst recht kein einklagbarer oder (gerichtlich) überprüfbarer Anspruch". Und anders ausgedrückt: Halten sich Sender oder deren Auftrags-Produzenten nicht an die Leitlinien, so habe dies für die Verwerter keine Rechtsfolgen. Zusammen mit dem Verband Deutscher Drehbuchautoren (VDD) soll daher eine Sonderregelung für Unterzeichnende von "Kontrakt 18" angestrebt werden. Auch eine Anpassung der Vergütungsregeln soll thematisiert werden. Dabei geht es um Produktionen, die ursprünglich für öffentlich-rechtliche Sender geschrieben wurden, heute aber über Streaming-Portale vermarktet werden, "ohne dass die Urheber beteiligt werden oder Einblick in Vertriebsdetails bekommen", wie Kristin Derfler kritisiert.

Und dann ist da auch noch die Corona-Krise, der die Autorinnen und Autoren inzwischen jedoch recht gelassen gegenüberstehen. "Zum Glück", sagt Volker A. Zahn, "hat sich die Situation trotz steigernder Infektions-Zahlen einigermaßen beruhigt. Eine Entwicklung, die wir vor allem den Kolleginnen und Kollegen an den Sets verdanken, die stellenweise unter schwierigsten Bedingungen dafür sorgen, dass unsere Geschichten verfilmt werden können." Dazu kommt, dass die Umstellung des Arbeitsalltags nicht allzu dramatisch war. "Wir sind es ja gewohnt, im Home-Office zu arbeiten", betont Annette Hess. 

Eine Rückkehr zur Normalität wünschen sich aber freilich auch die Autorinnen und Autoren. "Wir hoffen natürlich, dass dieser Spuk bald vorüber ist. All das, was uns vor der Pandemie auf die Nerven gegangen ist, wird sich danach paradiesisch anfühlen", sagt Zahn und verweist mit einem Augenzwinkern etwa auf "stundenlange Drehbuchbesprechungen in unwirtlichen Senderräumen mit labberigen Brötchen und lauwarmem Kaffee" oder auf Leseproben mit "notorisch nörgelnden" Schauspielerinnen und Schauspielern oder "endlose und ermüdende Verhandlungen mit Leuten, die sich übellaunig über unsere anmaßenden Forderungen echauffieren". Zahn: "Es wird uns eine Freude sein!" 

Ganz zu schweigen neuen Stoffideen, die ohne die Krise gar nicht denkbar gewesen wären. "Vielleicht trauen sich dann die Sender an all die spannenden, schrägen, dramatischen, traurigen und komischen Geschichten, die diese Pandemie hervorgebracht hat", hofft Orkun Ertener und appelliert abschließend an all seine Kollegen: "Es gibt viel zu erzählen, schreiben wir’s auf!"

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