Vor rund vier Jahren hat die BBC eine Aktion gestartet, durch die man das Verhältnis von Männern und Frauen on Air angleichen wollte. Die sogenannte 50:50-Challenge entwickelte sich zu einem großen Erfolg und inzwischen haben sich viele andere Unternehmen der Aktion angeschlossen. 100 Partner aus 26 Ländern setzen derzeit ihre ganz eigene 50:50-Challenge um, mehr als 50 davon kommen aus der Medienbranche. Und auch in Österreich ist das Thema mittlerweile angekommen, dort hat der ORF vor rund sechs Monaten ebenfalls einen Wettbewerb gestartet, um den Anteil der Frauen im Programm zu erhöhen. 

Am Donnerstag hat der ORF in einem Pressegespräch erste Einblicke in das Projekt gegeben und auch schon Ergebnisse aus den sechs Monaten vorgestellt. Demnach nahmen anfangs nur rund 30 Sendungen bzw. Redaktionen an der 50:50-Challenge teil, heute sind es schon 90. 3.500 einzelne Sendungen sind in dem ersten halben Jahr auf den Anteil von Männern und Frauen untersucht worden. Mehr als die Hälfte davon hat das Ziel, Frauen und Männer anteilsmäßig ausgewogen zu zeigen, bereits erreicht. Bei den anderen gibt es noch Nachholbedarf. 

Der vielleicht wichtigste Punkt bei dem Wettbewerb, das betonen ORF-Chef Alexander Wrabetz und die Gleichstellungsbeauftrage des Senders, Katia Rössner, mehrmals, ist die Freiwilligkeit. Keine Redaktion muss teilnehmen, es ist ihr freigestellt. Das Ganze funktioniert über den Anreiz der Motivation: Wenn Redaktion A mitmacht, will Redaktion B auch dabei sein. Und im direkten Vergleich zeigt sich dann, wer tatsächlich schon sehr weit ist - und wo es noch Verbesserungspotenzial gibt. Die Aktion soll ein Wettbewerb der verschiedenen Redaktionen sein. 

Katia Rössner © ORF/Roman Zach-Kiesling Katia Rössner
Im ORF-Intranet gibt es dann eine eigene Seite, wo jeder sehen kann, wie sich die Frauenanteile in den verschiedenen Sendungen entwickeln. Je länger eine Redaktion bzw. Sendung an dem Wettbewerb teilnimmt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Ziel, die Abbildung von Männern und Frauen in einem Verhältnis von 50:50, erreicht wird, sagt Katia Rössner am Donnerstag vor Journalisten. "Es findet ein Umdenken statt", sagt die Gleichstellungsbeauftragte. In den Redaktionen würde inzwischen über das Thema diskutiert und nach Wegen gesucht, um den Frauenanteil zu steigern. 

Gezählt wird der Frauenanteil nur in solchen Bereichen, die der ORF steuern kann. Also etwa bei den Moderationen bzw. den Off-SprecherInnen. Hier hat man nach Angaben des Senders bereits einen ausgeglichenen Anteil von Frauen und Männern. Der andere Bereich ist der der ProtagonistInnen, das sind beispielsweise Experten und andere Personen, die im Programm vorkommen. "Hier haben wir noch einen Aufholbedarf", sagt Rössner. Derzeit liegt man hier bei einem Frauenanteil von 42 Prozent. Nicht gezählt werden Interviews mit Politikern, weil man dort keinen Einfluss hat, ob eine Partei beispielsweise einen Mann oder eine Frau als Vorsitzenden hat - hier bildet man dann eben die Realität ab.

Ziel ist noch nicht erreicht

Alexander Wrabetz © ORF/Thomas Ramstorfer Alexander Wrabetz
Über alle teilnehmenden Redaktionen hinweg liegt der Frauenanteil bei 45 Prozent. "Wir haben unser Ziel noch nicht ganz erreicht", sagt daher auch ORF-Chef Alexander Wrabetz, der sich jedoch mit der Entwicklung zufrieden zeigt. Doch diese ist auch trügerisch: Wie der Frauenanteil in den Redaktionen aussieht, die nicht an der 50:50-Challenge teilnehmen, ist unklar. Viel mehr noch: Auf Nachfrage war nicht zu erfahren, wie viele Redaktionen im ORF sich derzeit nicht an der Aktion beteiligen. Dass es noch Nachholbedarf gibt, weiß auch die Gleichstellungsbeauftragte. "Aus dem Informationsbereich und Kinderprogramm hätte ich gerne noch Redaktionen an Bord", sagt Katia Rössner. 

"Es gibt keine Ausreden, nicht mitzumachen."
Waltraud Langer, ORF Chefredakteurin der TV-Hauptabteilung Magazine und Servicesendungen

Und das Thema Diversity macht ja nicht nur vor dem Geschlecht Halt. In Großbritannien bemühen sich derzeit etwa alle Sender, nicht nur die BBC, darum, den Anteil an Mitarbeitern mit anderer Herkunft zu erhöhen. Auch Menschen mit Behinderungen sind ein Thema. Der ORF beschäftigt sich derzeit noch nicht damit. Man wolle sich erst einmal nur auf den Frauenanteil konzentrieren, heißt es. Eine Ausweitung der Challenge will man aber auch nicht ausschließen. 

Waltraud Langer ist beim ORF Chefredakteurin der TV-Hauptabteilung Magazine und Servicesendungen - und sie hat am Donnerstag aus der Praxis berichtet. Am Anfang ist sie gegen das Projekt gewesen, weil sie nicht gewusst habe, wozu man es braucht. In ihren Sendungen würden ohnehin viele Frauen vorkommen, habe sie damals gedacht. "Die Challenge ist eine Art Faktencheck", sagt sie. Und oftmals lautet die Erkenntnis dann eben: Wir sind nicht so gut, wie wir dachten.

Der Aufwand für die Redaktionen ist gering

"Der Vorteil ist, dass wir hier mit Motivation arbeiten, nicht mit Zwang", sagt Langer. Inzwischen denke man immer schon in der Konzipierung einer Sendung mit, ob genügend Frauen darin vorkommen. Dennoch würden dem Sender auch heute noch immer mehr Frauen absagen als Männer, etwa wenn es um Interview mit ExpertInnen geht. Der Arbeitsaufwand, um sich an dem Wettbewerb zu beteiligen, hält sich laut Langer in Grenzen. "Es ist nicht viel Arbeit. Das Ausfüllen der Eingabemaske dauert drei Minuten, das schafft jede Redaktion", sagt sie und schiebt hinterher: "Es gibt keine Ausreden, nicht mitzumachen". 

Bei der BBC haben Untersuchungen ergeben, dass die Zuschauer in Summe zufriedener mit dem Programm sind, seitdem die 50:50-Challenge läuft. Entsprechende Ergebnisse kann der ORF noch nicht vorweisen, dafür läuft die Aktion vielleicht auch noch nicht lang genug. In jedem Fall ist man überzeugt von dem Projekt. "Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist auch ein Erfolgsfaktor für Unternehmen", sagt ORF-Chef Alexander Wrabetz. Und im Endeffekt geht es für den ORF auch darum, dass sich rund 50 Prozent der Zuschauer, die Frauen sind, besser mit dem Programm identifizieren als es das bislang der Fall war.