Yvonne Abele © MDR / Saxonia Media / Ulli Koch Yvonne Abele
Mitte der 90er Jahre im (fiktiven) Dorf Seelitz in Brandenburg: Der Geschichte nach gründet Dr. Emanuel Stollberg eine Privatschule in einem alten Schlossgebäude. "Schloss Einstein" ist geboren. 1998 lief die erste Episode der Teenager-Serie im Kika. 23 Jahre später feiert die gleichnamige Eigenproduktion von KiKA die inzwischen 1000. Folge. Sie läuft am Freitag, 21. Mai um 14.35 Uhr im Kika und bildet den Abschluss der aktuellen Staffel. Vieles ist in den 26 Jahren passiert, unter anderem zog die Produktion 2007 ins damals neu errichtete KinderMedienZentrum Erfurt um. Seitdem, also seit Staffel elf, ist die Saxonia Media Filmproduktion für die Kinder-Seifenoper verantwortlich. Seit Staffel 14 betreut Produzentin Yvonne Abele die Serie. "Nicht nur das Erzählniveau im Kinderfernsehen wird unterschätzt, auch das Produktionsvolumen in Deutschland ist ziemlich dünn. Wir haben neben 'Einstein' noch 'Pfefferkörner' und 'Tiere bis unters Dach' als klassische Serien. Alles andere sind Lizenzprodukte oder europäische Ko-Produktionen und selbst die gibt es nur alle paar Jahre", sagt die Fernsehmacherin im Gespräch mit DWDL.de.

Sie verweist auf Initiativen, die den Kinderkinofilm nach vorne bringen sollen, aber ein Kinofilm für Kinder sei zwar eine tolle Sache, letztlich aber eben ein einmaliger Ausflug sonntags. "Formate wie 'Schloss Einstein' können zum Anker für eine ganze Generation werden und sie im Alltag begleiten. Und solche Begleiter können Kinder gut gebrauchen. Das wird unterschätzt."

Das Wort 'unterschätzt' ist ein stetiger Begleiter, wenn man versucht, einen Blick hinter die Kulissen der Einsteiner zu werfen. Anke Lindemann ist seitens des beauftragenden MDR für die Serie und deren inhaltliche Entwicklung verantwortlich.

"Das Sehverhalten zahlreicher Kinder ist mittlerweile anspruchsvoller als das einiger Erwachsener." Anke Lindemann

Anke Lindemann © MDR / Robert Hensel Anke Lindemann
Sie kennt die Diskussionen rund um fiktionales Erzählen für Heranwachsende. Kernzielgruppe von "Schloss Einstein" sind schließlich Menschen zwischen 10 und 14. "Es wurde lange diskutiert, ab welchem Alter man Kindern einen Staffelbogen zutrauen kann. Da gab es immer die Bedenken, dass das nicht geht und Kinder Erzählungen in abgeschlossen Folgen brauchen. 'Schloss Einstein' erzählt schon relativ lange in Staffelbögen und das funktioniert einwandfrei. Die Kinder gehen nicht nur mit, sondern sie fordern das ein", sagt sie und stellt die These auf: "Das Sehverhalten zahlreicher Kinder ist mittlerweile anspruchsvoller als das einiger Erwachsener." Die Ursachen dafür lägen in der Tatsache, dass Kids heutzutage eben auf so vielen Plattformen unterwegs seien und daher eine größere Durchmischung von dem, was sie geboten bekommen, hätten. Kein Wunder also, dass "Schloss Einstein" wie selbstverständlich mit Fore-Shadowing arbeitet und seine Cliffhanger am Ende einer Episode konsequent am Sehverhalten ausrichtet. Man darf Kinder eben nicht unterschätzen.

Platz für Experimente

Die jungen Zuschauenden für voll zu nehmen, ist auch Produzentin Yvonne Abele ein großes Anliegen. "Im Kinderfernsehen herrscht oft das Denken, dass man für Kinder alles immer nochmal gut erklären muss. Genau das machen wir nicht", sagt sie. "Wir arbeiten relativ elliptisch in der Dramaturgie und lassen gewisse Leerstellen, die sich erst vier oder fünf Szenen später füllen. Unsere Zuschauer sind bereit, da mitzugehen." Bereit mitzugehen sind ganze Generationen von Kindern und jungen Teenagern gewesen. "Weil die Kids, Zuschauer wie Darsteller, ein so großes Vertrauen in 'Schloss Einstein' haben, können wir uns bei den Geschichten, die wir erzählen, auch wirklich etwas trauen. Natürlich spielen sie in erster Linie im Schulumfeld, aber darüber hinaus experimentieren wir mit anderen Formen, arbeiten mit Flashbacks, achten auf die Schnittgeschwindigkeiten", beschreibt Lindemann, die weiß, dass sich die Sehgewohnheiten der "Schloss Einstein"-Kernzielgruppe viel schneller ändern als die von Erwachsenen. Daher gilt für das Produktionsteam: "In der Kinder- und Jugendfilmemacherei müssen wir viel agiler arbeiten. Wenn Sie jetzt eine fünf Jahre alte Folge schauen, werden Sie große Unterschiede feststellen – visuell wie auch vom Tempo her."

Schloss Einstein © MDR/Saxonia Media/Felix Abraham Zahlreiche Schülergenerationen haben am "Schloss Einstein" unzählige Abenteuer erlebt.

Die Historie des Formats reicht freilich weitaus länger zurück, bis ins vergangene Jahrtausend. Doch schon die Eröffnung des neuen Sets in Erfurt wirkt rückblickend ein bisschen aus der Zeit gefallen. Damals, also 2008, sei außer Frage gestanden, erinnert sich Abele, "dass es dort eine Telefonzelle geben wird. Schon 2010 haben wir uns gefragt, wieso wir da eine Telefonzelle haben. Heute ist es unvorstellbar, dass Jugendliche ohne Smartphone aufwachsen. Wir geben uns viel Mühe, an diese Weiterentwicklung größtmögliche Andockflächen herzustellen." Authentisches Erzählen für die Zielgruppe ist bei "Schloss Einstein" doppelt wichtig. Das schafft eine hohe Bindung der Zuschauer vor den Geräten, erleichtert aber auch das Arbeiten am Set.

"Bei erwachsenen Schauspielern gibt es mehr Allüren." Yvonne Abele


Neben einigen erwachsenen Darstellern für die älteren Rollen tragen schließlich hauptsächlich heranwachsende Schauspieler den Cast der Serie. "Die Arbeit mit unseren Kindern ist unglaublich professionell. Ganz selten kommt es vor, dass jemand schlecht vorbereitet ans Set kommt. Bei erwachsenen Schauspielern gibt es mehr Allüren. Was schnell spürbar ist: Wenn die Kinder den Spaß verlieren. Daher ist es auch so wichtig, dass wir die Geschichten wirklich authentisch gestalten", sagt Abele. Wären die Geschichten nicht authentisch gestaltet, würden die Kids am Set ganz schnell merken, dass das Quatsch sei, berichtet sie.

Der Herr Stibbe passt auf

Und die Stimmung am Set, die ist eben heilig. Für einen runden Ablauf vor Ort in Erfurt sorgt Stibbe. "Am Set duzt man ja eigentlich jeden, nur Herr Stibbe wird mit seinem Nachnamen angesprochen", erzählt Abele mit einem Schmunzeln. Stibbe ist ausgebildeter Medienpädagoge und Kinderbetreuer. Wenn die Kinder ankommen, nimmt er sie in Empfang, achtet darauf, dass sie pünktlich im Kostüm sind, dass sie noch etwas zu essen bekommen. Er bringt sie ins Coaching und am Ende des Tages zurück zum Auto. "Er ist wie ein Leitwolf für unsere Kinder. Wenn Stibbe etwas sagt, dann wird das auch gemacht. Er ist unerlässlich für die Gruppendynamik", erzählt Abele. Man darf eben niemals unterschätzen, dass aller Professionalität zum Trotz mit Kindern gearbeitet wird. "Wir haben Darsteller, die sind elf. Da braucht man auch jemanden, der einem Stabilität gibt. Unsere Regie- und Kamerateams wechseln regelmäßig. Stibbe ist immer da. Redaktion und Produktion sind obendrein die, die im Zweifel etwas verbieten", berichtet Abele. Etwa dann, wenn in einem Darsteller oder einer Darstellerin der Wunsch aufkeimt, sich die Haare kunterbunt zu färben.

Für junge Schauspielerinnen und Schauspieler sind – wie bei fast allen anderen fiktionalen Serien – Castings der Einstieg zu "Schloss Einstein". "Bei Castings versuchen wir, die Eltern aus diesem Prozess ein Stück weit auszuladen. Früher, bei den Vor-Ort-Castings, die gerne mal drei Stunden gedauert haben, haben wir den Eltern empfohlen, sich die Stadt anzuschauen und gemütlich einen Kaffee zu trinken. Wir haben ein sehr gutes Gespür dafür entwickelt, welche Mama eine "Eislauf-Mutter" ist oder welcher Papa ein "Ballerina-Vater". Bislang hatten wir da immer ein glückliches Händchen", sagt Abele und berichtet davon, bei den großen Castings auch immer Wild-Cards in der Hinterhand zu haben – für Kids, die die Verantwortlichen absolut vom Hocker hauen. "Dann nehmen wir uns die Möglichkeit, die Figuren in eine entsprechende Richtung zu schieben oder den Schauspieler zusätzlich in den Cast hineinzunehmen."

Ein großer Schritt

In den Cast der Serie aufgenommen zu werden, verändert das Leben der jungen Menschen ganz wesentlich. Darüber muss man sich im Klaren sein. So sehr sich die Produktion bemüht, alles zum Besten zu machen, eine Hauptrolle in einer Serie wie "Schloss Einstein" bleibt eben ein echter Job, parallel zum Schulalltag. Daher sei die Zusammenarbeit mit den Eltern für die Produktion unglaublich wichtig, führt Lindemann aus. "Wer ausgewählt wird, muss für die Zeit des Drehs nach Erfurt ziehen. Das ist für jüngere Kids ein großer Schritt. Sie gehen hier zur Schule, wohnen in Gastfamilien oder bei Verwandten, sofern es welche gibt. Schule und Dreharbeiten parallel – das krempelt das Leben eines Kindes um."

"Das authentisch zu erzählende Themenspektrum ab Klasse elf würden wir in der Serie nicht unterbekommen." Yvonne Abele 

Zwischen drei und fünf Jahre lang sind die Schülergenerationen Teil von "Schloss Einstein". Das hat vor allem praktische Gründe. "Irgendwann wurde mal festgelegt, dass man in der sechsten Klasse am 'Einstein' anfängt und in der zehnten Klasse geht", weiß Abele. Aus gutem Grund:  "Das authentisch zu erzählende Themenspektrum ab Klasse elf würden wir in der Serie nicht unterbekommen." Authentisch erzählt gäbe es ab Klasse elf eben Themen, die mit dem KiKA "nicht kompatibel" wären.

Und so gehört ein steter Wechsel der tragenden Charaktere ganz fest zu der Seifenoper für Kinder. "Am Ende haben wir alles richtig gemacht, wenn unsere Figuren so stark sind, dass große Bestürzung bei den Fans herrscht, wenn sie die Serie verlassen", sagt Abele. Die Charaktere Till und Marta, die kürzlich ausstiegen, wären ein solcher riesiger Verlust gewesen. Für die Darstellenden endet dann die Reise in der Kika-Serie, oftmals aber nicht die Tätigkeit beim Film. Eher den Weg hinter die Kamera würden Ex-Darsteller gehen, erzählen die Verantwortlichen. Und manchmal kehren sie auch zurück. "Georg Malcovati etwa gehört zur allerersten Generation von 'Einstein'. Er hat – aber unabhängig von 'Einstein' – Drehbuch studiert. Da die Branche klein ist und wir bei Autoren auch regelmäßig wechseln, wurde Georg vorgeschlagen", erzählt Abele. Seine erste Folge war Teil der 24. Staffel. Weitere ehemalige "Einstein"-Darsteller haben anderweitig Karriere gemacht. Josefine Preuß ist nur ein Beispiel.

Ein Format, das stetigen Wandel so lebt, braucht demnach Anhänger, die da mitgehen. "Die Fans lassen sich immer wieder darauf ein, neue Figuren kennenzulernen." Entsprechend groß sei die Neugier auf den stets um den Jahreswechsel herum veröffentlichten Vorspann, der im Vorfeld einer neuen Staffel ein kleiner Appetizer sei. "In den Wochen danach geht es immer rund: Wie? Der/Die ist nicht mehr dabei? Aber hast du den gesehen? Der/Die sieht spannend aus", zitiert Abele aus Fanreaktionen.

Schloss Einstein © MDR/Saxonia Media/Felix Abraham Spaß soll am Set von "Schloss Einstein" nicht fehlen.

Geschicktes Interagieren mit der Community, das steht bei "Schloss Einstein" nicht nur hoch im Kurs, es hat auch Historie. "Eine der ersten echten Fancommunitys, die sich über Foren ausgetauscht hat, war die 'Schloss Einstein'-Community. Das müsste ungefähr 1999 gewesen sein. Diese Community haben wir sehr lange gepflegt, mindestens bis 2012. Danach verloren Foren vollends an Bedeutung. Um die 20.000 Leute waren registriert und sehr aktiv. Jetzt führen wir unsere Community über Social Media. Es ist so wichtig, dass unsere Fans einen Ort haben, an dem sie sich austauschen können und an dem sie auch Fachantworten bekommen", erklärt Abele. Dass die Macher wirklich auch Rede und Antwort stehen, offen sind für Kritik und Anregungen, gilt bei den Einsteinern als ganz selbstverständlich. "Wir haben eine enorm hohe Interaktionsrate. Das Schöne und Seltene ist: Unsere Community ist super positiv", bestätigt Lindemann.

Theater auf allen Ebenen

Im Fernsehen geht die laufende Staffel nun zu Ende, in Erfurt starten im Juni die Produktionsarbeiten für 26 weitere Episoden, die dann im kommenden Frühjahr ausgestrahlt werden. Schon jetzt ist klar: Das immer wieder neu ausgewählte Staffelmotto hat mit 'Theater' zu tun. "Wir wollen Theater als Kunstform zeigen und versprechen Theater auf allen Ebenen", sagt Abele und Lindemann ergänzt: "Es wird unterschiedliche Stränge geben, ausgerichtet auf alle Unterzielgruppen. Auch einen Abenteuer-Action-Strang machen wir wieder, auch dieser wird mit dem Theater zusammenhängen." Und "Schloss Einstein" wird von seiner Langlebigkeit ein Stück weit profitieren. Mit Sirius wird das 'Einstein-Baby', einst auf die Welt gebracht von einem Serienpaar, nun in die Geschichte zurückkehren.

Dass die Staffeln alle einem Motto zuzuordnen sind, geht auf Überlegungen zu Staffel elf zurück. Irgendwie habe man versucht, die damals noch 52 Folgen "unter einen Hut" zu bekommen. Es war die berühmte Suche nach einem 'leichten roten' Faden. "Wir können  aufgrund unserer Produktionsbedingungen leider nicht an einer Figur dranbleiben, also haben wir jede Staffel unter ein Motto gestellt. Dieses Thema spiegeln wir in den individuellen Figuren", erklärt Abele. In Staffel elf diente mit "Keiner darf verloren gehen" ein Credo als Staffelmotto, das eigentlich für die komplette Serie gelte. "Wir hatten auch 'Demokratie' als Motto und haben uns damit auseinandergesetzt, dass Kindern unsere Demokratie ziemlich vor die Nase gesetzt wird. Die Kinder dürfen  da nicht direkt mitmachen, beispielsweise erst ab 18 wählen. Unsere Idee war, dass wir ein gewisses Empowerment zeigen. Wir wollten klar machen, dass jeder in seinem Umfeld wirksam sein kann. Diese Mottos waren dann gewissermaßen Vorläufer des Staffelbogens", berichtet die Produzentin.

 

Es ist eine komplexe Welt, noch komplexer geworden durch jüngste Corona-Hygieneregeln am Set, wie die Macherinnen erzählen. Eine Welt, die nun 1000 Episoden eines Formats hervorgebracht hat, womit "Schloss Einstein" als längste fiktionale Fernsehserie mit Kindern für Kinder gilt. Das ist nicht zu unterschätzen.