Seit 2018 sind bei Netflix sechs Staffeln mit 58 Ausgaben von "Queer Eye" erschienen. In dem Format geht es um fünf queere Personen (Fab 5), die sich in jeder Folge eine Frau oder Mann zur Brust nehmen, um ihm oder ihr ein komplettes Makeover zu verpassen. Dabei beschränkt man sich aber nicht nur auf Äußerlichkeiten, es geht auch um Mental Health, gesundes Essen und das Selbstbewusstsein der Teilnehmenden. Das Ganze ist eine Neuauflage des Formats "Queer Eye for the Straight Guy", das zwischen 2003 bis 2007 beim US-Kabelsender Bravo lief. Mit "Queer Eye Germany" veröffentlicht Netflix nun eine deutsche Version der Reality-Reihe - als erste internationale Adaption überhaupt. 

ITV Studios Germany hat sich der Sache angenommen, was insofern Sinn macht, weil ITV zusammen mit Scout Productions auch bislang schon das Original verantwortet. Die Kompetenz ist im Konzern also bereits vorhanden. Und um es kurz zu machen: "Queer Eye Germany" ist besser gelungen als die dreiste RBB-Kopie "Queer 4 You", die 2019 erschien und nicht über eine Staffel hinauskam. Das Netflix-Format punktet, wie schon das Original, mit vielen Emotionen, ohne dabei anbiedernd oder kitschig zu sein. Andere Sachen sind wiederum sehr deutsch - doch dazu später mehr. 

Die deutschen Fab 5 bestehen aus Leni Bolt (Work/Life), Jan-Henrik Scheper-Stuke (Mode), David Jakobs (Beauty), Aljosha Muttardi (Gesundheit) und Ayan Yuruk (Design). Kennt man die Originalbesetzung von "Queer Eye", wirkt die neue Zusammenstellung ein wenig gewöhnungsbedürftig. Aber das ist normal und zum Glück setzt der Gewöhnungseffekt ziemlich schnell ein. Die Fünf harmonieren gut miteinander und sind ebenso empathisch wie ihre Kollegen aus den USA. "Ich kann das Vorbild sein, das ich nie hatte", sagt Yuruk zu Beginn der ersten Ausgabe - und bringt Sinn und Zweck des Formats damit auf den Punkt.

Spannend ist die Tatsache, dass ITV und Netflix bei der Zusammenstellung der Fab 5 nicht auf naheliegende, bekannte Namen gesetzt haben. In ihrem Fachbereich sind die eine oder der andere vielleicht schon bekannt, aber wohl keinem sehr großen Publikum. Einige der deutschen Fab 5 kommen bei Instagram auf 70.000 Follower, was eine stattliche Anzahl ist, aber eben keine exorbitant hohe. Andere dagegen bringen es nur auf wenige tausend Follower. "Es ging nicht darum, wie viel Fame die Fab 5 mit in die Sendung bringen. Interesse an Menschen war ebenso eine wichtige Voraussetzung wie der glaubhafte Ansatz, etwas verändern zu wollen", sagt Christiane Schiek Tajima, Executive Producer von "Queer Eye Germany", im Gespräch mit DWDL.de. Entscheidend sei vor allem die Chemie zwischen den fünf Hosts gewesen, daher habe man auch unterschiedliche Konstellationen getestet. 

Die Balance war die größte Herausforderung

Christiane Schiek Tajima © Tilmann Schenk Christiane Schiek Tajima
"Ich wurde oft gefragt, ob es das Format überhaupt braucht", so Christiane Schiek Tajima. "Ich kann aus tiefer Überzeugung sagen: Ja." Während der Vorbereitungsphase und des Castings habe man viele Gespräche geführt, in denen auch die Fab 5 erzählt hätten, wie sie groß geworden seien und wie sie in Deutschland, unter anderem in Großstädten wie Berlin und Hamburg, ihre Liebe leben würden. "Diese Geschichten zu hören hat uns überzeugt, dass es dringend notwendig ist, zu zeigen, wie und wer sie sind und wie wir miteinander leben." Denn oft genug ist es eben doch noch so, dass queere Personen Hemmungen haben, so zu leben, wie sie es wollen und das zu tun, was sie für richtig halten. 

Doch was hat man sich nun abgeschaut vom US-Original, das in der Tat sehr sehenswert ist, die Protagonisten zu echten Stars gemacht und bereits neun Primetime Emmys eingeheimst hat? Executive Producer Christiane Schiek Tajima sagt: die Balance innerhalb des Formats. "‘Queer Eye’ ist lustig, aber nicht albern. Sehr emotional, aber nicht kitschig. Es ist lehrreich, aber nicht oberlehrerhaft." Diese Balance innerhalb von 45 Minuten hinzubekommen, sei das Ziel und gleichzeitig die größte Herausforderung gewesen. 

 

 "‘Queer Eye’ ist lustig, aber nicht albern. Sehr emotional, aber nicht kitschig. Es ist lehrreich, aber nicht oberlehrerhaft."
Christiane Schiek Tajima, Executive Producer von "Queer Eye Germany"

 

Es gibt aber auch Unterschiede im Vergleich zum Original. In der deutschen Version spielt etwa das Kochen eine nicht ganz so wichtige Rolle. Wenn Antoni in den USA zum Kochlöffel greift, will man in Deutschland das ganze Thema etwas breiter angehen. Daher kümmert sich Aljosha um das Thema Gesundheit, bei dem das Essen ein Aspekt unter vielen ist. "Für uns ist es nicht entscheidend, dass wir in allen Folgen die fünf Bereiche immer gleichwertig abbilden", sagt Christiane Schiek Tajima. "Wenn den Personen in einem Moment ein Gespräch mehr hilft als ein Koch-Prozess, dann ist das wertvoll. Es geht nicht darum, dass wir als Produzent:innen unbedingt alle Bereiche abdecken wollen und dann am Ende einen Haken auf unserer Liste setzen."

Überfall vs. langsames Beschnuppern

Eine deutsche Note habe man nicht extra in das Format einbringen müssen, sagt die Produzentin gegenüber DWDL.de. "Die ist einfach da, weil wir eine andere Mentalität als die Amerikaner:innen haben." Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer seien hierzulande in einem anderen, sozialen Umfeld groß geworden - und das spüre man auch. "In Deutschland ist es nicht so, dass die Menschen ihre Türen für jedermann öffnen und Fremde zu sich nach Hause bitten." Daher unterscheide man sich hier und da auch von den Amerikanern. "Wir gehen behutsamer vor", sagt Schiek Tajima über den Start einer jeden Folge. "Die Teilnehmer:innen lernen unsere Fab 5 kennen und sprechen miteinander, das ist ein langsames Beschnuppern."

Im US-Original ist es nicht selten so, dass das Kennenlernen zwischen Teilnehmenden und Fab 5 wie eine Art Überfall wirkt. Ein Sturm, in diesem Fall die queeren Hosts des Formats, wirbelt einmal in das Leben der Kandidatinnen und Kandidaten und stellt alles auf den Kopf. Hier ist "Queer Eye Germany" tatsächlich ruhiger. Das hat aber zur Folge, dass sich das Format ab und zu wie klassisches, deutsches Makeover-Fernsehen anfühlt, bei dem alle Einstellungen zuvor besprochen und anschließend abgedreht werden. Hier ist das Original frischer und dadurch auch ein Stück weit revolutionärer. 

Fab 5 teilweise noch etwas hölzern

Und dann gibt es noch ein paar andere Dinge, die es zu kritisieren gibt. In manchen Interviewszenen wirken die deutschen Fab 5 noch zu aufgesetzt und hölzern, ihre Sätze auswendig gelernt. Und auch wenn das Makeover vorbei ist und die Teilnehmenden noch einmal am Ende ihrer "Heldenreise" gezeigt werden, merkt man bei dem ein oder anderen durchaus, dass das angeblich neue Selbstbewusstsein noch nicht wirklich vorhanden ist. Das ist vielleicht aber etwas viel verlangt, innerhalb von sechs Drehtagen ist schließlich wohl nur selten ein echter Persönlichkeitswechsel möglich.

Fun-Fact am Rande: So wirklich scheint Netflix seinen Kundinnen und Kunden nicht zu vertrauen. So werden etliche von den Fab 5 genutzten, englischen Wörter und Floskeln ins Deutsche untertitelt. Darunter auch echte Fachbegriffe wie "hello", "girl" und "walk". Und dennoch: Es gibt wenige deutsche Formate in diesem Bereich, die ihre Zuschauerinnen und Zuschauern zu Tränen rühren. "Queer Eye Germany" schafft das in den ersten fünf Ausgaben gleich mehrmals - ohne dabei kitschig zu wirken. Und noch bevor die nassen Augen getrocknet sind, geht’s mit einem launigen Thema weiter. Den Teilnehmenden begegnet man jedenfalls immer mit Respekt und Empathie - auch das muss 2022 in Deutschland noch immer erwähnt werden, war es in der Vergangenheit doch oft nicht der Fall. 

Fünf Ausgaben von "Queer Eye Germany" sind ab sofort bei Netflix verfügbar.