Geht man nach dem massenhaften Andrang, der die Gänge des Kongresszentrums in Lille verstopfte, dann scheint HBO Max für europäische Produzenten Wunschpartner der Stunde zu sein. Die expandierende Streaming-Plattform des US-Konzerns Warner Bros. Discovery nutzte das Series Mania Forum in der nordfranzösischen Regionalhauptstadt, um sich mit ihren lokalen Programmverantwortlichen und deren Strategien vorzustellen. Die Kombination aus HBO-Renommee und langjähriger Verankerung auf dem hiesigen Kontinent durch HBO Europe zieht zahllose Produzenten an, die auf mehr Wettbewerb im US-dominierten Streaming-Markt hoffen.

Größte strategische Aufgabe von HBO Max in Europa sei es, "durch ein breiteres Angebot Abonnenten zu gewinnen, die den HBO-Kanal sonst vielleicht nicht abonnieren würden", sagte Antony Root, Eigenproduktionschef für die EMEA-Region. "Wir wollen immer noch Programme, die mutig sind, keine Aufgüsse anderer Programme. Wir sind immer auf der Suche nach Formaten, die ein Genre vorantreiben können." Dies gelte zunehmend nicht nur für Fiction, sondern auch für Dokus und Reality, wie etwa die Musik-Castingshow "One True Singer", die nächste Woche in Rumänien startet. Während HBO Europe seit 2010 unter Roots Führung in neun Ländern insgesamt 29 Serien mit 700 Episoden und über hundert Dokus hergestellt hat, soll das jährliche Produktionsvolumen im Zuge des HBO-Max-Rollouts ungefähr verdoppelt werden.

Antony Root © Series Mania/Marc Vidal "Keine Aufgüsse": Antony Root sucht neue Serien für HBO Max
HBO Max ist derzeit in 21 europäischen Ländern vertreten, neben Mittel- und Osteuropa auch in Spanien, Portugal, Skandinavien und den Niederlanden. In Deutschland, Italien und Großbritannien kann die Plattform erst nach Auslaufen des Warner-Outputdeals mit Sky im Jahr 2025 an den Start gehen. In Osteuropa steht unterdessen am 1. April der Launch des ungarischen Spionagedramas "The Informant" und der polnischen Krimiserie "The Thaw" an; in Spanien ist die actiongeladene Comic-Verfilmung "García" in Postproduktion, die von einem in den 60er Jahren per Kryotechnik eingefrorenen Superspion handelt, welcher im Madrid der Jetztzeit zum Leben erweckt wird. Für Frankreich, wo HBO Max voraussichtlich Anfang 2023 startet, gab die neue, von Canal+ kommende Eigenproduktionschefin Véra Peltekian ihr Bestreben zu Protokoll, vorgefasste Meinungen über französische Fiction-Gewohnheiten hinterfragen zu wollen.

Aus deutscher Sicht ist der globale Streaming-Rivale Paramount+ schon einen Schritt weiter, schließlich steht der Launch hierzulande noch in diesem Jahr an. In Lille bekräftigte Paramount-International-Boss Raffaele Annecchino sein Ziel, in 2022 mindestens 50 neue Serien außerhalb des US-Markts zu beauftragen, und verkündete zu diesem Zweck eine dreijährige Partnerschaft mit Gaumont, unter die auch das deutsche Dramedy-Projekt "Anywhere" von Jana Burbach fällt (DWDL.de berichtete). Angesichts von so viel geballter VoD-Präsenz erschien es fast ein bisschen ironisch, als Gilles Fontaine, Chefanalyst der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle (EAO), eine "gewisse Diskrepanz zwischen dem Gewicht der Streamer im Buzz rund um Serien und dem tatsächlichen Alltagsgeschäft" feststellte, das nach wie vor von traditionellen TV-Sendern dominiert werde.

Top 10 der Produktionsgruppen nach Serienstaffeln

Gruppe Staffeln
Banijay Group 37
ITV Studios 31
Mediawan & Leonine Studios 26
RTL Group 24
ARD-Töchter 22
BBC-Töchter 13
Discovery 11
WarnerMedia 11
Vivendi 9
ZDF-Töchter 8

Ranking nach in Europa hergestellten Serienstaffeln mit weniger als 13 Episoden im Jahr 2020
Quelle: European Audiovisual Observatory

Laut jüngsten EAO-Zahlen kletterte das Produktionsvolumen fiktionaler Serien in Europa von 2015 bis 2020 um 60 Prozent auf 696 hergestellte Staffeln pro Jahr. Davon kamen 124 aus Großbritannien, 94 aus Deutschland, 69 aus Frankreich, 62 aus Spanien und 55 aus Schweden. Fontaines Zitat bezog sich darauf, dass 50 Prozent dieser 696 Serienstaffeln von öffentlich-rechtlichen Sendern beauftragt wurden, 39 Prozent von Privatsendern und lediglich zehn Prozent von internationalen Streaming-Plattformen. Produziert wurden die meisten Staffeln, nämlich 37, von der Banijay Group, gefolgt von ITV Studios und Mediawan & Leonine Studios.

Lars Blomgren © Series Mania/Marc Vidal "Knowhow teilen": Lars Blomgren sieht Banijay qua Größe im Vorteil
Fast ein Drittel aller in Europa hergestellten Staffeln konzentriert sich auf die Top 10 der Produktionsgruppen. Da lag es für die Series Mania nahe, kritisch zu hinterfragen, ob im stark konsolidierten Produktionssektor größer wirklich immer besser ist. "Wir haben den Vorteil, dass wir Erfahrungen und Knowhow zwischen den Firmen unserer Gruppe teilen können", antwortete Banijay-Fictionchef Lars Blomgren. "Es gibt immer jemanden, der woanders das gleiche Problem hat oder hatte. Und natürlich haben wir tiefere Taschen als andere, wenn es zum Wettstreit um begehrte Stoffe oder Rechte kommt." Christian Vesper, Global-Drama-Chef von Fremantle, verwies darauf, dass man mehr denn je im Kampf um die besten Autoren- und Produzententalente stehe und dafür eine gewisse Größe vonnöten sei. "Ganz konkret kämpfen wir gegen die globalen Streamer, die andererseits ja auch wichtige Kunden für uns sind", so Vesper. "Es geht um die Frage: Macht man als Talent einen Deal direkt mit einer Plattform oder lieber mit einer Produktionsgruppe, die alle Sender und Plattformen beliefern kann? Der Unterschied liegt unter Umständen darin, ob man nur eine oder gar drei Serien innerhalb eines Dreijahresvertrags hinkriegt." Blomgren ergänzte, manche Serienmacher seien mit ihren Streamer-Deals glücklich, andere hingegen frustriert. Einig waren sich die Großproduzenten darin, dass für sie noch weiterer Spielraum zum Wachsen bestehe. "Mehrere globale Streamer kommen ja schließlich gerade erst nach Europa", fasste Federation-Entertainment-CEO Lionel Uzan die Perspektive bündig zusammen.

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