ARD-Programmdirektorin Christine Strobl hält den deutschen Produktionsmarkt für überhitzt. "Wir spüren eine gewaltige Verteuerung, die nicht nur mit der Inflation zu tun hat", sagte Strobl am Mittwoch beim Content-Gipfel der ANGA COM in Köln. "Da sieht man eindeutig, dass es eine Überhitzung gibt. Sie kriegen nicht mehr alle, die sie wollen." Auch Elke Walthelm, EVP Content & MD bei Sky Deutschland, sieht dieser Tage mehr Nachfrage als Angebot. "Wir haben einen Fachkräftemangel, der von Regisseuren über Autoren bis hin zu Make-up-Artists reicht."

Eine mögliche Lösung des Dilemmas sieht Christine Strobl indes darin, schlicht nicht mehr so viele Produktionen in Auftrag zu geben. Vielleicht müsse man "an der einen oder anderen Stelle ein bisschen weniger machen", betonte die ARD-Programmdirektorin, die zugleich für neue Leuchtturmprojekte warb, deren Strahlkraft über den deutschen Markt hinausreicht. "Wir haben uns wahrscheinlich zu sehr im Nationalen bewegt", sagte sie selbstkritisch mit Blick in die Vergangenheit. "Da haben wir uns ein Stück weit selbst genügt."

Gerade bei seriellen Projekten will Strobl die Frage der Kommerzialisierung stärker in den Blick nehmen. Eine international erfolgreiche Serie sei "ein Imagefaktor, der uns allen hilft", zeigte sich Strobl überzeugt und warb für Kooperationen, wie man sie etwa bei "Babylon Berlin" mit Sky eingegangen sei. "Wir brauchen die Durchschlagskraft, um international eine Rolle zu spielen." Doch Strobl hat zugleich massive Veränderungen ausgemacht: "Ich habe noch nie so eine Goldgräberstimmung erlebt wie jetzt", attestierte sie ihrer Branche auf der ANGA COM.

Nachholbedarf sieht Christine Strobl jedoch hinsichtlich der Auffindbarkeit der Inhalte. Zwar habe die ARD-Mediathek Sprünge gemacht, doch aus ihrer Sicht ist das noch nicht ausreichend. "Wir haben eine Flut von Programmen, aber manchmal kommt niemand dahin, weil wir sie verstecken", räumte die ARD-Programmdirektorin ein. Es brauche deshalb bessere Suchfunktionen und mehr Personalisierung. "Da müssen wir besser werden, aber auch hier ist der Markt überhitzt."

Keine Angst vor FreeVee

Ein Thema des Content-Gipfels war auch die Ankündigung von Amazon, den werbefinanzierten Streamingdienst FreeVee nach Deutschland zu bringen – was Nicole Agudo Berbel, Chief Distribution Officer der Seven.One Entertainment Group, offensichtlich keine schlaflosen Nächte bereitet. "Für uns ist es eine glasklare Bestätigung unserer Strategie, Joyn in den Mittelpunkt unserer Aktivitäten zu stellen", sagte Agudo Berbel hinsichtlich der eigenen, zusammen mit Discovery betriebenen Plattform, die seit jeher einen großen Fokus auf den Free-Bereich legt. "Das ist ein sehr sinnvoller Schritt mit Blick auf die junge Zielgruppe."

Hier kommt dann auch eine Kooperation mit der Deutschen Telekom ins Spiel. Vor wenigen Monaten hatten beide Unternehmen angekündigt, ihre Partnerschaft auf den Vermarktungs- und AdTech-Bereich auszudehnen und etwa im Bereich Addressable TV zusammenarbeiten zu wollen. Adressierbare Werbung, die zielgruppen-spezifisch ausgespielt werden kann, haben TV-Vermarkter schon seit längerem als großes Wachstumsfeld ausgemacht. "Da haben wir Pionierarbeit geleistet", so Agudo Berbel über die Kooperation. Diese sei ein "sinnvoller und zukunftsgerichteter Schritt".

Trotz neuer Player zeigte sich Arnim Butzen, verantwortlich für das TV-Geschäft der Deutschen Telekom, indes davon überzeugt, dass es auf lange Sicht eine Koexistenz zwischen deutschen und internationalen Plattformen geben wird. Und Christine Strobl will auch das klassische Fernsehen noch lange nicht abschreiben. "Das lineare Fernsehen wird auf Jahrzehnte hinaus noch eine Rolle spielen", sagte die ARD-Programmdirektorin, "aber es wird die Menschen in einer reduzierten Zielgruppe erreichen." Strobl weiter: "Das Radio ist auch schon 100 Jahre lang totgesagt worden, trotzdem ist es noch lebendig."