Als Eintracht Frankfurt vor wenigen Tagen in Sevilla den Europapokal gewann, war das ein echtes Spektakel. Und noch dazu eines, das die Massen vor den Fernseher lockte. Etwa zehn Millionen Fans schalteten in der Spitze ein und ließen RTL über Marktanteile von teils mehr als 60 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe jubeln. Zufriedenheit herrschte kurz darauf auch in Unterföhring, als die Bundesliga-Relegation erneut von vielen Millionen gesehen wurde. Da flackerte es also noch einmal auf, das Lagerfeuer des deutschen Fernsehen, das, so scheint es, bei den privaten Sendern immer seltener brennt.

Top-Reichweiten erzielen RTL, Sat.1 oder ProSieben inzwischen nur noch selten. Stattdessen dominieren fast jeden Tag die Öffentlich-Rechtlichen. Ob "Tatort", "Bergdoktor" oder "Wetten, dass..?" - Reichweiten von sieben, zehn oder gar zwölf Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern, wie sie bei ARD und ZDF immer mal wieder drin sind, fahren die Privaten lediglich in Ausnahmefällen ein. In Köln herrscht heute oft schon an Tagen große Freude, an denen um 20:15 Uhr mehr als zwei Millionen Menschen einschalten; der Konkurrenz in Unterföhring gelingt der Sprung über diese Hürde noch seltener. Sogar Stars wie Joko und Klaas bewegen sich mit ihren erfolgreichen Formaten meist darunter.

Dabei war das einmal ganz anders. Ein beispielhafter Mittwoch im November 2005: Die meistgesehene Sendung des Tages hieß "Der Bulle von Tölz" und verzeichnete in Sat.1 rund sechseinhalb Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern Parallel dazu unterhielt der Start der dritten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" bei RTL mehr als fünf Millionen Menschen. Über elf Millionen auf zwei Sendern – knapp 16 Jahre später bringen es RTL und Sat.1 an manchen Tagen zusammen mitunter nicht mal mehr ein Drittel davon. Traurig, aber wahr: Am Dienstag vor einer Woche erreichte das erfolgreichste Privatsender-Programm in der Primetime kaum mehr als eineinhalb Millionen Personen.

Nun kann man diese Entwicklung freilich auf die wachsende Auswahl an Sendern, neue Konkurrenz im Streaming oder das Programm im Allgemeinen schieben – dass eine Show wie "DSDS" nach 20 Jahren das Publikum ermüdet hat, mag nicht verwundern. Doch erklärt das wirklich die Tatsache, warum die großen Privatsender zunehmend aus dem Relevant Set zu verschwinden scheinen und selbst große Produktionen kaum noch die Massen bewegen? Vielleicht sollten die Verantwortlichen in ihren Marktanalysen daher einen technischen Aspekt berücksichtigen: Privatfernsehen zu schauen, bedeutet für viele Haushalte auch 2022 noch, SD zu schauen.

HD-Empfang nur gegen Aufpreis

Was vor einigen Jahren noch nicht zu sehr ins Gewicht gefallen sein mag, könnte in Zeiten immer größer werdender Fernseher tatsächlich eine entscheidende Rolle spielen: Wer sich einmal an das HD-Bild bei ARD und ZDF gewöhnt hat oder Filme und Serien gar in UHD bei Netflix sieht, der dürfte mit dem SD-Pixelmatsch bei "Ninja Warrior" oder "Navy CIS" nicht allzu viel anzufangen wissen. Zumal das Programm der Privaten offenkundig von Millionen Menschen als nicht so attraktiv empfunden wird, dass sie bereit dazu wären, für den HD-Empfang zu bezahlen – denn wer RTL oder ProSieben hochauflösend sehen möchte, muss dafür in die Tasche greifen. Immerhin 75 Euro werden jährlich fällig, wer sich für den Abschluss eines Abos bei HD+ entscheidet. In ähnlicher Flughöhe bewegen sich auch die HD-Aufpreise der Kabelanbieter.

 

"Für viele ist ganz offensichtlich SD immer noch die passende Bildqualität."
Andre Prahl, Leiter Programmverbreitung bei RTL Deutschland

 

Die Folge: Zwar bescheren die HD-Gebühren den Privatsendern durchaus stattliche Millionen-Einnahmen, auf die sie ungern verzichten wollen. Aber Fakt ist eben auch: Von etwa 17 Millionen Satelliten-Haushalten haben sich nicht einmal drei Millionen Kundinnen und Kunden für ein HD+-Abo entschieden. Sprich: Alleine rund 14 Millionen Haushalte schauen die Privaten noch immer in SD-Qualität. Und das, obwohl HD+ bereits seit 13 Jahren auf dem Markt ist. Auch weit mehr als eine Dekade nach seiner Einführung ist HDTV im Privatfernsehen beim Publikum noch immer nicht der Standard. Könnte darin also ein Problem für das nachlassende Interesse liegen?

Andre Prahl © RTL / Pascal Bünning Andre Prahl
Bei RTL wiegelt man offiziell ab. "Unsere Nutzerinnen und Nutzer haben die Wahl, sich aus einem breiten Angebot das für sie passende auszuwählen", sagt Andre Prahl, Leiter Programmverbreitung bei RTL Deutschland, zu DWDL.de. "Das nutzen sie auch und für viele ist ganz offensichtlich SD immer noch die passende Bildqualität." Nicole Agudo Berbel, Geschäftsführerin und Chief Distribution Officer der Seven.One Entertainment Group, sieht gar einen eindeutigen Trend. "Immer mehr Menschen empfangen die privaten TV-Sender auch in HD – die Abonnenten-Zahlen steigen kontinuierlich und wir wachen in diesem Geschäft von Jahr zu Jahr deutlich." Über elf Millionen Haushalte mit rund 20 Millionen Zuschauenden könnten "unsere Sender bereits in HD sehen", so Agudo Berbel. Wobei "bereits" relativ ist, angesichts der vielen Jahre, in denen die HD-Pakete bereits auf dem Markt sind.

Erhebungen darüber, wie viele Zuschauerinnen und Zuschauer möglicherweise seltener oder gar nicht mehr einschalten, weil sie schlicht nicht dazu bereit sind, für ein HD-Upgrade zu bezahlen, gibt es nicht. Daher lässt sich auch schwer sagen, ob den privaten Sendergruppen möglicherweise höhere Reichweiten und damit potenzielle Werbeeinnahmen entgehen, weil sie einen Teil des Publikums wegen der mäßigen Bildqualität vergraulen. "Wir begeistern unsere Zuschauer in erster Linie mit unseren attraktiven Inhalten. Und das gilt für alle Zielgruppen, auch für die jüngeren Zuschauer", betont ProSiebenSat.1-Managerin Nicole Agudo Berbel. "Damit generieren wir als Medium hohe Gesamtreichweiten und Qualitätsumfelder über sämtliche Plattformen für unsere Vermarktung."

"Seeing is believing"

HD stütze die "Premium-Positionierung unserer Sender im Markt", sagt Agudo Berbel gegenüber DWDL.de. "Daher weisen wir durch Trailer immer wieder auf die Möglichkeit hin, unsere Sender über unsere Distributionspartner auch in HD zu beziehen." Andre Prahl wiederum hält einen direkte Zusammenhang zwischen der gewählten Bildqualität und dem Erfolg von Programmen ohnehin für "nicht plausibel", wie er sagt. "Richtig ist aber auch, dass sich immer mehr Zuschauer für unsere HD- und UHD-Angebote interessieren. Wer sich hier einmal für ein Upgrade entschieden hat, bleibt dem Angebot in der Regel auch treu." Weiteres Wachstum erhofft man sich in Köln und Unterföhring auch durch Tarife, in denen HD-Empfang ohnehin standardmäßig enthalten ist.

Andreas Müller-Vondey © HD+ Andreas Müller-Vondey
Bei der Astra-Tochter HD+ gibt man sich indes zufrieden mit der Entwicklung. So sei das vergangene Jahr das erfolgreichste seit vielen Jahren gewesen, erklärt Andreas Müller-Vondey, Vice President Commercial bei HD+. "Im reinen HD-Markt treffen wir in den Haushalten auf eine natürliche Wachstumsgrenze, jedoch ist die reine Anzahl nicht die alleinige Währung für HD+." Sei man ursprünglich mit einem komplett anonymen Geschäftsmodell gestartet, so sei es heute das erklärte Ziel, die Bestandskundschaft "besser kennenzulernen und adressieren zu können". Gemeint sind neue Services, etwa die Komfort-Funktion mit Neustart von Programmen oder das Angebot HD+ ToGo, mit dem die Sender mobil auf Smartphones oder Tablet genutzt werden können.

Zudem seien die Eintrittsbarrieren durch die Einführung einer TV-App gesenkt worden. "Zuvor musste man ein HD+-Modul oder einen HD+-Receiver anschließen, um das HD+-Senderpaket sehen zu können. Das war mit zusätzlichen Kosten verbunden. Durch die Integration in TVs haben wir diese Hürde eliminiert, so Müller-Vondey. Weil HD+ inzwischen nicht nur über Satellit, sondern auch über das Internet verfügbar ist, sei das Angebot neuerdings für alle 37 Millionen Fernsehhaushalte in Deutschland interessant – wenngleich vorerst nur Fernseher von Panasonic darauf zugreifen können. Immerhin: In der zweiten Jahreshälfte soll mit Samsung ein weiterer Hersteller folgen.

Doch worauf führt er es zurück, dass noch immer weit weniger als die Hälfte der Haushalte bereit sind, für den HD-Empfang zu bezahlen? Müller-Vondey verweist ein "sehr großes und sehr gutes" SD-Angebot. Dazu kommt "ein wesentlicher, wenngleich fast banaler Punkt": Viele hätten schlicht noch immer nicht den Unterschied zwischen SD, HD und UHD erlebt, also nie ein Fußballspiel oder eine Show in HD gesehen. "Seeing is believing", habe er im Handel gelernt, sagt der Vertriebs- und Marketingleiter von HD+. "Die Vorführung des HD-Signals und der Unterschied zu SD ist eine Aufgabe, an welcher unser HD+-Außendienstteam mit den Handelspartnerinnen und -partnern arbeitet." Laut der jüngsten Erhebung geben etwa noch neun Prozent der Haushalte an, ihr Signal rein in SD zu empfangen - selbst bei den Öffentlich-Rechtlichen, die HD kostenfrei anbieten. Verändert hat sich dieser Anteil zuletzt kaum noch.

Auch der Signalschutz spielt eine Rolle

Und doch bleibt fraglich, wie viele Haushalte letztlich wirklich bereit sein werden, für Free-TV-Inhalte zu bezahlen, nur um sie in besserer Bildqualität geliefert zu bekommen. Wäre es also – um einmal ein Gedankenspiel zu machen – nicht denkbar, durch kostenfreien HD-Empfang wieder mehr Menschen fürs Privatfernsehen zu begeistern? Andre Prahl von RTL Deutschland macht wenig Hoffnung. "Selbst wenn wir dies wollen würden: An einem verschlüsselten HD-Angebot führt aus unserer Sicht kein Weg vorbei. "Als privatwirtschaftlich agierendes Medienunternehmen müssen wir Zusatzangebote wie die Ausstrahlung unserer Sender in HD-Qualität refinanzieren und dabei ebenso unser Geschäftsmodell werbefinanzierter Inhaltsangebote schützen."

Nicole Agudo Berbel © Seven.One Entertainment Group Nicole Agudo Berbel
Hinzu komme, dass die Sicherstellung des Signalschutzes bei einer hochauflösenden Ausstrahlung auch von einigen Rechteanbietern attraktiver Fremdprogramme verlangt werde. "Wir unterstützen daher zur Entschlüsselung unserer HD-Programme nur technische Lösungen von Plattformbetreibern, die sicherstellen, dass der umfassende Schutz unserer Signale und unseres Geschäftsmodells gewährleistet ist. Ähnlich argumentiert auch Nicole Agudo Berbel – und verweist darauf, dass längst nicht nur das klassische Fernsehen so agiert. "Gerade auch im Streaming-Bereich ist es mittlerweile eine gelernte Systematik, dass sich das Pricing neben Inhalteumfang oder der Möglichkeit parallele Streams zu nutzen, auch an der Signalqualität orientiert - SD zum Einstieg und dann je nach Paket und Anbieter die Möglichkeit, auf HD oder UHD upzugraden."

Und so dürfen Zuschauerinnen und Zuschauer nicht damit rechnen, in absehbarer Zeit Inhalte von ProSieben, Sat.1, RTL oder Vox ohne Aufpreis in HD sehen zu können. Wie groß das Risiko ist, einen Teil des Publikums damit auf lange Sicht zu verprellen, müssen die Verantwortlichen in Köln und Unterföhring indes selbst kalkulieren. Und mit Blick auf das HD-Upselling: Wie künftig noch gelingen soll, was in mehr als einer Dekade schon nicht funktionierte, bleibt unklar.