Alle Jahre wieder im Mai pilgern Verantwortliche von TV-Sendern aus aller Welt nach Los Angeles, um dort innerhalb einer Woche all das zu sehen, was die US-Studios an neuen Produktionen im Angebot haben. Nach zwei Jahren Corona-Pause war es in diesem Jahr nun erstmals wieder soweit - doch im Vorfeld waren die Fragezeichen nach der Sinnhaftigkeit der Veranstaltung größer denn je. Nachdem inzwischen der Großteil der US-Konzerne seine Zukunft in einem eigenen, international aufgestellten Streaming-Dienst sieht, auf dem man die meisten eigenen Produktionen auch international selbst verwertet, war unklar, was es überhaupt für Einkäuferinnen und Einkäufer noch zu besichtigen geben würde.

Oliver Berben © IMAGO / Future Image Oliver Berben, stellvertretender Vorstandsvorsitzender bei Constantin Film
Mit Ausnahme von Disney, das - Stand heute - rein auf diese Eigenverwertung setzt und die Screenings daher gleich ganz abgeblasen hat, hießen aber alle Produktionsstudios die Gäste willkommen, die der Unsicherheiten zum Trotz auch in großer Zahl angreist waren. Was sie zu sehen bekamen, kam dann zu einem durchaus beachtlichen Anteil allerdings gar nicht aus den USA, sondern aus den internationalen Aktivitäten, meist in Koproduktion mit lokalen Produktionshäusern. "Das größte Merkmal der diesjährigen Screenings ist die starke Internationalität der Serien", sagt beispielsweise Oliver Berben, stv. Vorstandsvorsitzende von Constantin Film. "Ein Großteil der Shows kommt aus verschiedenen Ländern der Welt."

Ähnliche Töne schlägt auch Simone Emmelius an, die fürs ZDF an den Screenings teilnahm: "Amerika ist nicht mehr der einzige Nabel der Welt: Studios wie Paramount oder Sony haben sehr selbstbewusst Ihre internationalen (Ko-)Produktionen präsentiert." Dazu gehörten beispielsweise "Three Pine Trees", "A Spy Among Friends" oder "Without Sin", aber auch deutsche Produktionen wie "Munich Games" für Sky oder "Ze Network" für RTL+ waren zu sehen.

Simone Emmelius © ZDF/Jana Kay Simone Emmelius leitet die ZDF-Hauptredaktion Spielfilm und ist damit auch für internationale Fiction zuständig
Und diese internationalen Produktionen wirkten dabei nicht etwa wie Füllstoff, um das überschaubare Angebot an US-Ware zu kaschieren, sondern gehörten bei vielen Studios sogar zu dem, was am meisten Aufmerksamkeit bei den Einkäuferinnen und Einkäufern weckte. Das liegt auch daran, dass viele US-Produktionen ein bisschen zu sehr auf den US-Markt zugeschnitten waren - etwa wenn es um heldenhafte "Firefighter" bei Waldbränden, den Wilden Westen oder Country Music geht. Diese "uramerikanischen Stoffe" seien "für ein deutsches Zielpublikum schwer platzierbar", meint Simone Emmelius - und in anderen Ländern dürfte das nicht wesentlich anders aussehen.

Auch dass Henrik Pabst von ProSiebenSat.1 mit "The Lazarus Project" eine britische Sky-Produktion des deutschen Regisseurs Marco Kreuzpaintner als sein Highlight nennt, passt dazu. In der Serie geht es um eine Organisation, die die Möglichkeit hat, die Zeit zurückzudrehen, wenn die Welt vom Untergang bedroht ist, um die Katastrophe noch zu verhindern. Zu den ganz hoch gehandelten Serien gehörte aber auch "Colin (From Accounts)", eine romantische Komödie aus Australien, in der ein zwei Menschen dadurch ungewollt aneinander gebunden werden, weil er einen Hund anfährt, nachdem sie ihm im Vorübergehen ihre Brüste entblößte. Die charmante Serie stellte Paramount ganz an den Anfang seiner Screenings - auch das allein war schon ein bemerkenswertes Statement.

Henrik Pabst © Seven.One Henrik Pabst, Chief Content Officer der Seven.One Entertainment Group
Ob es eine solche Serie im linearen Programm aber leicht hätte, steht auf einem anderen Blatt, was aber auf einen Großteil der gezeigten Produktionen zutrifft. "Gefühlt waren in diesem Jahr etwas mehr Shows für Streamer als für Networks dabei", meint Henrik Pabst von ProSiebenSat.1. Dass von US-Seite vor allem die Produktionen zum Verkauf stehen, die dort für die frei empfangbaren Networks produziert werden, erklärt unterdessen einen anderen Trend, den Oliver Berben ausgemacht hat - nämlich, dass es weniger Comedyserien und dafür mehr Krimis und Dramaserien gab. Die US-Networks haben ihren Comedy-Anteil in den letzten Jahren sukzessive zurückgefahren, weil diese Programmfarbe im US-Fernsehen immer schlechter funktioniert - gerade auch wenn es um zeitsouveräne Nutzung geht. Krimis sind hingegen das, was das zunehmend ältere Publikum, das noch linear fern sieht, am besten erreicht.

Doch auch wenn es gar nicht unbedingt die US-Produktionen waren, die am meisten Buzz unter den internationalen Gästen in L.A. sorgten: Bereut haben dürfte die Reise nach Kalifornien kaum jemand - nicht nur, weil sich das Wetter nach anfänglichem Grau-in-Grau noch typisch-sonnig gab. "Es tat sehr gut, die ganze Branche am selben Ort zu sehen", sagt Henrik Pabst, von einem "schönen Comeback" spricht Oliver Berben, Simone Emmelius fasst die Veranstaltung als "wichtige Leistungsschau der Branche und mit ihren international hochrangigen Delegationen unverändert ein gern genutztes Forum zum Austausch."

Die Zeiten, in denen die USA produzierten und der Rest der Welt zum Einkaufen kam, sind wohl vorbei. Doch als Marktplatz für internationale Produktionen, als Treffpunkt für Verantwortliche aus aller Welt, könnten die LA Screenings eine Zukunft haben. Ganz einhellig ist die Meinung dabei auch unter den deutschen Vertretern dabei nicht, ob die Screenings langfristig eine Zukunft haben - auch wenn sich alle eine Fortsetzung wünschen. "Es wird maßgeblich davon abhängen, wie sich die Majors zum Markt jenseits ihrer eigenen Streamingplatformen positionieren", sagt Simone Emmelius. Aber dass man die weiter als alleiniges Zukunftsmodell sieht, ist nach dem jüngsten Abo-Rückgang bei Vorreiter Netflix ja keineswegs mehr ausgemacht. So manch einem wurde da erst wieder bewusst, wie profitabel der internationale Vertriebsmarkt bislang doch war.

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