Die Fernsehbranche hat die Corona-Krise erfolgreich gemeistert, doch an Herausforderungen mangelt es auch 2022 nicht. Vor allem der noch immer anhaltende Krieg in der Ukraine ist es, der die Werbebereitschaft in diesen Wochen bremst. Wenn sich die Branche in den nächsten Tagen zu den Screenforce Days trifft, dann dürfte es den Verantwortlichen der TV-Sender und deren Vermarkter nicht zuletzt darum gehen, die Zurückhaltung aufzubrechen. Das könnte jedoch gar nicht so einfach werden, schließlich finden die Screenings erneut nur digital statt – wenngleich begleitende Abendveranstaltungen in verschiedenen Städten zum persönlichen Austausch einladen.

Neben Corona und dem Krieg dürfte dabei nicht zuletzt ein Thema auf der Agenda stehen, das bislang noch erstaunlich weit unter dem Radar ist: Die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft. Seit Jahrzehnten im Sommer ausgetragen, findet die WM in diesem Jahr erstmals im Winter statt, um vor dem Hintergrund hoher Temperaturen im Gastgeberland Katar die Belastung für die Spieler zumindest halbwegs in Grenzen zu halten.

Ralf Hape © Sky Ralf Hape
Hiesige Mediaplaner stellt dieser Zeitplan jedoch vor die Aufgabe, gelernte Abläufe komplett zu überdenken, fällt die Weltmeisterschaft doch mit dem wichtigen Weihnachtsgeschäft zusammen. Das ist vor allem für die Privatsender ärgerlich: Ihnen drohen ausgerechnet im wichtigen vierten Quartal Einbußen, weil die quotenstarken Fußballspiele allesamt bei ARD und ZDF zu sehen sein werden. "Q4 wird ein etwas anderes Q4 sein", prognostiziert Ralf Hape, Geschäftsführer des Vermarkters Sky Media. "Ich glaube, dass es der gesamte Werbemarkt noch immer nicht vollends realisiert hat, dass die Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Jahr im Winter stattfinden wird. Das wird definitiv einen Impact haben."

Ganz so pessimistisch klingt Thomas Wagner nicht. "Die Werbekunden sind sich natürlich der besonderen Situation zum Jahresende bewusst", lässt der Geschäftsführer vom ProSiebenSat.1-Vermarkter Seven.One Media, auf DWDL.de-Nachfrage ausrichten. Man befinde sich diesbezüglich im Austausch mit den Werbetreibenden. "Wir empfehlen den Werbekunden, die traditionellen Kampagnen zum Jahresende in diesem Jahr optimalerweise bereits im dritten Quartal zu starten – um so mit den Produkten schon vor dem Start der Fußball-WM in den Köpfen präsent zu sein."

Thomas Wagner © Seven.One Thomas Wagner
Ohnehin erwartet Wagner auch Abstrahleffekte der WM. So sei das vierte Quartal wegen des Vorweihnachts- und Jahresendgeschäfts traditionell wichtig und ein sportliches Großereignis darüber hinaus auch immer Anlass, Kampagnen für neue Produkte umzusetzen. "Von diesen großen Kampagnen rund um die Fußball-WM profitieren in der Regel nicht nur die Sender, die die Spiele übertragen – da solche Kampagnen in sämtlichen reichweitenstarken Umfeldern stattfinden. Zumal bei den öffentlich-rechtlichen Sendern die Werbemöglichkeiten naturgemäß begrenzt sind", so der Seven.One-Media-Chef weiter.

"Nicht mit attraktiven WM-Spielen kollidieren"

Frank Vogel © MG RTL D / Klaus Knuffmann Frank Vogel
Auch Frank Vogel, Geschäftsführer des RTL-Vermarkters AdAlliance, hofft, mit einem blauen Auge davonzukommen. "Wir erwarten gattungsübergreifend annähernd Buchungen und Nachfragen wie sonst auch im vierten Quartal, da das Weihnachtsgeschäft für den Absatz für sehr viele Kunden enorm wichtig ist", so Vogel gegenüber DWDL.de. Und doch bleibt eben eine Unsicherheit. Dass ein sportliches Großereignis in dieser Jahreszeit stattfindet, sei für alle eine Premiere, "so dass wir auch noch keine Erfahrungswerte hinsichtlich Nutzung und Budgetplanung haben", betont Frank Vogel. "Wir stellen uns auf die verschiedenen Szenarien ein, um unseren Kunden die bestmögliche Planbarkeit zu geben."

Ein weiteres Dilemma: Die winterliche Fußball-WM dürfte sich auch auf die Werbeumfelder auswirken. In direkter Konkurrenz zur Weltmeisterschaft werden die großen Privatsender die Zahl der Erstausstrahlungen im Vergleich zu den Vorjahren wohl deutlich reduzieren. Während es im Sommer zu verschmerzen war, wenn RTL oder ProSieben Wiederholungen ins Rennen schickten, dürfte das im November und Dezember schwerer ins Gewicht fallen. Tatsächlich lassen sich erste Verschiebungen bereits beobachten: Dass "Wer wird Millionär?" im Juli mit neuen Folgen auf Sendung geht oder die neue Staffel von "The Voice of Germany" bereits im August startet, sind nur zwei von mehreren Beispielen dafür, welche Auswirkungen die WM schon jetzt auf das Fernsehprogramm hat.

Ganz konkret lässt sich das übrigens an den jüngst veröffentlichten Geschäftszahlen von ProSiebenSat.1 ablesen. Da verringerte sich das sogenannte Adjusted EBITDA im ersten Quartal um 19 Millionen Euro. Dies, so teilte der Konzern mit, reflektiere das geplante Vorziehen der Programmaufwendungen im Hinblick auf die Fußball-WM und die entsprechende Erhöhung um 15 Millionen Euro im Vergleich zur Vorjahresperiode. Auf Gesamtjahressicht sollen die Entertainment-Programmaufwendungen demnach auf dem bei Niveau des Vorjahres liegen, also bei mehr als einer Milliarde Euro. Anders ausgedrückt: Im sonst so wichtigen vierten Quartal wird diesmal wohl deutlich weniger Geld ins Programm fließen.

Henning Tewes © MG RTL D / Marina Rosa Weigl Henning Tewes
"Jede Fußball-WM hat Auswirkungen auf unsere Programmplanung", sagt Henrik Pabst, Chief Content Officer von ProSiebenSat.1, zu DWDL.de. "Wir konzentrieren unsere Invests in diesem Jahr verstärkt auch auf das dritte Quartal mit vielen Programmstarts, werden aber auch in der WM-Zeit frische Eigenproduktionen bieten." Henning Tewes, Chief Content Officer bei RTL Deutschland, spricht indes von einem starken Ausbau des Inhaltegeschäfts und verspricht "auf allen Kanälen ein attraktives Programm – auch während der Fußball-WM". Zugleich räumt er ein: "Selbstverständlich sollen besonders publikumsstarke Programme nicht mit attraktiven WM-Spielen kollidieren. Dass im Sommer viele neue Unterhaltungsformate starten, war bereits in der Vergangenheit so und wird auch in diesem Jahr bei RTL Deutschland der Fall sein."

Eine Frage der Haltung

Bei allen Fragen rund um Programmplanung und Werbebuchungen könnte der Winter aber auch mit Blick auf die Haltung vieler Unternehmen interessant werden. "Die Agenturen und Werbetreibenden beschäftigt durchaus, dass die werbliche Unterstützung des Events dieses Jahr aufgrund des Austragungsortes 'politisch schwierig' ist", so Ad-Alliance-Geschäftsführer Frank Vogel hinsichtlich des WM-Austragungslands Katar, das seit Jahren wegen Missachtung von Menschenrechten in der Kritik steht. "Und von einigen Partnern haben wir bereits gehört, dass sie bewusst nach Alternativen Ausschau halten."

Henrik Pabst © Seven.One Henrik Pabst
Klar ist: Die nächste Weltmeisterschaft wird die Branche vor so viele Herausforderungen wie noch keine WM zuvor. Und das gilt auch fürs Pay-TV, wo Sky seinen Werbekunden schon ab Mitte November für rund zwei Monate lang keine Bundesliga-Umfelder wird bieten können. Die Vorbereitungen dafür laufen schon länger. "Wir sind gut vorbereitet und sind seit Anfang April im Markt, um den Markt auf die ungewöhnliche Situation hinzuweisen", sagt Sky-Media-Geschäftsführer Ralf Hape und verweist auf "eine Menge an Alternativen", wenn der Ball nicht im eigenen Programm rollt. "Ich bin gespannt darauf zu sehen, wie unsere Mitbewerber darauf reagieren. Das wird definitiv ein sehr spannendes Jahr."