Zu den Eigenheiten der TV-Werbung gehört, dass sich erst in den letzten Wochen des Jahres wirklich entscheidet, ob es wirtschaftlich ein gutes oder schlechtes Jahr war. Während Anfang des Jahres zwar die Reichweiten hoch, die Werbebudgets aber üblicherweise noch begrenzt sind und es in den Sommermonaten schließlich wetterbedingt etwas an Reichweite hapert, kommen vor Weihnachten üblicherweise hohe TV-Nutzung und hohe Werbebudgets zusammen. Schließlich steht dann auch für die meisten Händler und Marken das so wichtige Weihnachtsgeschäft an. Und nicht selten findet man auch noch Budget, das aus Vorsicht früher im Jahr noch zurückgehalten wurde, zum Jahresende dann aber noch unter die Leute soll.

Frank Vogel © Ad Alliance Frank Vogel, Ad Alliance
Ein starker Jahresendspurt hat also schon in so manchem Jahr ein maues Werbe-Jahr ausgeglichen. Doch in diesem ist die Unsicherheit größer. Mit dem Corona-Ausnahmezustand hatte man sich zuletzt ja schon irgendwie abgefunden, doch nun scheinen die Zeiten unsicherer denn je: Inflation, Energiekrise, Kriegsangst. "Nach einem guten Start ins Jahr haben der Ukraine-Krieg, gestörte Lieferketten und das sinkende Konsumklima zu einer Verunsicherung am Werbemarkt geführt und den Aufwärtstrend gedämpft", sagt Frank Vogel, Geschäftsführer der Ad Alliance, die als Vermarkter von RTL Deutschland einer der beiden größten Player auf dem Markt ist.

Viel "Dynamik", wenig Planbarkeit

Lennart Harendza © Seven.One Lennart Harendza, Seven.One Media
Lennart Harendza, Geschäftsführer des Unterföhringer Konkurrenten Seven.One Media, räumt ebenfalls ein, dass die Kunden "natürlich die Auswirkungen des Ukraine-Krieges und die Herausforderungen bei den Lieferketten" spüren, weshalb man "im ständigen und vertrauensvollen Dialog" sei, um "Kampagnen gegebenenfalls entsprechend anzupassen". Die gute Zusammenarbeit hebt auch Sky Media-Geschäftsführer Ralf Hape hervor: "Das weltwirtschaftliche Geschehen zeigt einmal mehr, dass die Entwicklung nicht uneingeschränkt nach oben gehen kann. Nichtsdestotrotz empfinde ich eines im Markt vorherrschend: den sehr partnerschaftlichen und professionellen Umgang miteinander. Werbungtreibende, Agenturen und Vermarkter haben in den letzten Jahren mehr denn je gesehen, dass ein offener Umgang und eine transparente Kommunikation der richtige und erfolgsversprechende Weg ist. Für alle gilt: Wir müssen weiter flexibel sein, um auch kurzfristig auf Entwicklungen reagieren zu können."

Ralf Hape © Sky Ralf Hape, Sky Media
Dabei sei die Situation nicht für alle gleich: "Für manche Branchen ist die makroökonomische Lage herausfordernder, andere Branchen spüren weiterhin Nachholeffekte der vergangenen Jahre. Es bleibt viel Dynamik im Markt", betont Lennart Harendza. "Dynamik" - das ist eines der Schlagworte, das man in diesen Tagen bei vielen hört. Auch Julia Schörner von Disney Media Sales & Partnerships konstatiert eine "immer schneller werdende Dynamik in der Entwicklung der Aussteuerung des Medienmixes". Das Wort "Dynamik" klingt ungeheuer positiv, bedeutet allerdings vor allem, dass es mit der Planbarkeit nicht mehr weit her ist. Ad Alliance-Chef Frank Vogel benennt es deutlich: "Das Wirtschaftswachstum wurde insgesamt nach unten angepasst und wir sehen in allen Segmenten und Branchen Preisinflationen, vor allem aufgrund der stark gestiegenen Rohstoffpreise. Entsprechend vorsichtig reagieren viele Unternehmen - was auch Auswirkungen auf unser Geschäft hat, da einige Werbetreibende aktuell sehr kurzfristig reagieren."

Doch wie stark sind die Auswirkungen aufs Geschäft denn nun bereits? Stephan Karrer, der den RTLzwei-Vermarkter El Cartel führt, sagt gegenüber DWDL: "Vor dem Hintergrund der Inflation und der sinkenden Konsumlaune der Menschen ist die Auslastung insgesamt zufriedenstellend". Das klingt nicht überschäumend, aber eben auch nicht nach Weltuntergang, wie man es angesichts schon aufziehender Sparprogramme bei Medienkonzernen vielleicht befürchten würde. Lennart Harendza von Seven.One Media konstatiert zumindest im Umfeld der erfolgreichsten Formate wie "The Voice" und "The Masked Singer" eine hohe Nachfrage, gerade auch wenn es nicht um den klassischen Spot, sondern um kreative Einbindungen und Placements gehe. Diese "erweisen sich einmal mehr als recht konjunkturunabhängig."

Julia Schörner © Disney Julia Schörner, Disney Media Sales & Partnerships
Und auch sonst komme neuen Produkten zunehmende Bedeutung zu, etwa dem Addressable TV. "2022 wird mit Sicherheit ein Rekordjahr bei Addressable TV. Das zeigt, wie gut die Verbindung der TV-Reichweite mit den Möglichkeiten aus der digitalen Welt bei unseren Kunden ankommt", so Harendza. Julia Schörner von Disney verweist darauf, dass man bei Disney ja nicht nur Free-TV, sondern plattformübergreifend vermarkten könne. "Daher sehen wir nicht nur für TV, sondern allgemein eine positive Entwicklung in der Werbevermarktung, mit der wir für uns sehr zufrieden sind."

WM voraus: ARD Media und ZDF Werbefernsehen besonders optimistisch

Sehr selbstbewusst geben sich derzeit aber vor allem die Vermarkter der Öffentlich-Rechtlichen. Uwe Esser, Geschäftsleiter TV bei ARD Media, spricht von "durchaus lebhaften" Buchungseingängen, "auch über die Branchen hinweg". Und für Hans-Joachim Strauch, der das ZDF Werbefernsehen leitet, lief das Jahr bislang "sehr zufriedenstellend". So liege man im Zeitraum Januar bis September fünf Prozent über den Einnahmen aus dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019.

Hans-Joachim Strauch © ZDF Werbefernsehen/Steffen Henkel Hans-Joachim Strauch, ZDF Werbefernsehen
Auch mit Blick auf die kommenden Wochen ist den beiden nicht bange: Uwe Esser berichtet zwar von nervösen Märkten und einem volatilen Fahrwasser, sagt aber: "Dennoch sehe ich bislang keine Fliehkärfte, sondern gehe von einem guten letzten Jahresquartal aus." Auch Hans-Joachim Strauch zeigt sich "sehr optimistisch" und verweist auf die anstehende Winter-WM in Katar. "Mega-Sport-Events wie eine WM haben seit jeher eine belebende Wirkung auf den Werbemarkt". Hinzu komme dass durch den ungewohnten Winter-Zeitraum kaum Public Viewing stattfinden werde, was die TV-Reichweiten zusätzlich beflügeln dürfte. Damit seien auch zusätzliche Zielgruppen zu erreichen, die während einer Sommer-WM nicht zu bekommen wären. "Beste Voraussetzung für alle TV-Werbetreibende also", ist sich Strauch sicher. Und dass die Werbepreise im Vergleich zur letzten Sommer-EM stabil blieben, soll sein übriges tun - als "Winter-WM zu Sommer-Preisen" wirbt man beim ZDF Werbefernsehen derzeit offensiv um Kundschaft. Auch Sky-Mann Hape erwartet, dass "die Fußball-WM trotz des ungewöhnlichen Zeitpunkts letztlich nicht viel von ihrer Strahlkraft verlieren wird. Wir sehen, dass Werbungtreibende dieses Sportereignis in ihren Kreationen aufgreifen und Kampagnen dazu initiieren."

Doch des einen Freud, des anderen Leid: Während ARD und ZDF die anstehende Fußball-WM in Sachen Werbevermarktung natürlich zupasskommt, könnte sie den Privaten in der ohnehin angespannten Situation das Leben zusätzlich erschweren. Da es sich bei der Ansetzung im Winter um ein Novum handelt, sind die Auswirkungen nicht ganz leicht einzuschätzen. Frank Vogel, Geschäftsführer der Ad Alliance räumt ein: "Das ist für uns alle eine Premiere, so dass wir auch noch keine Erfahrungswerte hinsichtlich Nutzung und Budgetplanung haben. Da für viele Kunden das Weihnachtsgeschäft jedoch der Umsatztreiber im Gesamtjahr ist, erwarten wir trotz dieses Großereignisses gattungsübergreifend eine gute Auslastung zum Jahresende".

Stephan Karrer © RTLzwei/Magdalena Possert Stephan Karrer, El Cartel Media
Bei Disney Media rechnet man gar mit einem "sehr positiven vierten Quartal", so Julia Schörner. "Wir bieten auch in dieser Zeit bewährt auf all unseren Plattformen Content in Premium-Qualität an und eröffnen in diesem Umfeld die Chance des Image-Transfers für Partner und ihre Marken." Stephan Karrer verweist auf gute Erfahrungen der EM im Sommer vergangenen Jahres: Den früher üblichen Rückgang der Buchungen während solcher Sport-Großereignisse habe es schon damals nicht gegeben, daher erwarte man ihn auch diesmal nicht. "Gleichzeitig stehen die Weihnachtskampagnen an, und wir glauben, dass die Kunden darauf trotz oder gerade wegen der wirtschaftlichen Lage nicht verzichten wollen."

Auch Lennart Harendza, Geschäftsführer von Seven.One Media, setzt darauf, dass das Vorweihnachtsgeschäft für den Handel die wichtigste Zeit des Jahres bleiben werde. Und während es bei den öffentlich-rechtlichen Sendern begrenzte Werbemöglichkeiten gebe, erwartet er, dass auch die Sender von Seven.One wieder "eine große Rolle" spielen werden - zumal man bei den Sendern "durch smarte Programmierungen und starke Inhalte zahlreiche attraktive Möglichkeiten für unsere Werbekunden abseits der Fußball-WM geschaffen" habe. Bei Sat.1 etwa setzt man während der WM auf "Big Brother" am späteren Abend und hofft auf eine Art "zweite Primetime", wenn die letzten Spiele in Katar schon abgepfiffen sind.

Der Ausblick: Zumindest Stabilität?

Trotz aller Unsicherheiten, die anstehen: Gerade die letzten Corona-Jahre haben die Branche ein Stück weit gestählt und mit Zuversicht ausgestattet - schließlich folgte 2020 auf den tiefen Corona-Einbruch gerad eim TV eine erstaunlich rasche Erholung. Und die fehlende Planbarkeit ist inzwischen auch gelernt. "Wir haben uns in den vergangenenen zweieinhalb Jahren daran gewöhnt, dass ständig etwas Unvorhergesehenes passiert. Das ist das 'New Normal' Die Erfahrungen von 2020 haben gezeigt, dass ich vor allem die TV-Werbemärkte sehr schnell ändern und stärker zurückkommen können", sagt etwa Frank Vogel von der Ad Alliance.

Uwe Esser © AS&S Uwe Esser, ARD Media
Bei all den Unsicherheiten ist eine Prognose fürs Gesamtjahr natürlich schwierig, bei Seven.One Media und der Ad Alliance möchte man sich da lieber nicht genau festlegen. Uwe Esser von ARD Media wagt eine Voraussage: "Für den TV-Markt insgesamt gehe ich von +/-0 am Ende Aus, vielleicht auch ein leichtes Plus". Ähnlich klingt es bei Julia Schörner von Disney Media Sales & Partnerships: "Mit Blick auf das ganze Jahr und die Erwartungen für das vierte Quartal rechen wir mit gesunder Stabilität für den Werbemarkt, die wir positiv bewerten." Ralf Hape von Sky Media erwartet ein leichtes Wachstum für den gesamten Bewegtbildmarkt, getrieben durch VOD. "Insofern hat der TV-Werbemarkt Chancen stabil zu laufen." Hans-Joachim Strauch vom ZDF Werbefernsehen sagt: "Mit Blick auf die erste Winter-WM zum Jahresende bin ich sehr zuversichtlich, dass wir 2022 an die Erfolge der Vorkrisenjahre anknüpfen werden."

Stephan Karrer von El Cartel Media gibt sich mit Blick auf die "kraftvolle Rückkehr" zahlreicher Kunden und der Zahl der Neukunden, die sich auf dem Niveau früherer Jahre bewege, ebenfalls verhalten optimistisch. Man erwarte "kein Wachstum, aber zumindest einen versöhnlichen Jahresabschluss". Und generell sagt Karrer: "Ich bin zuversichtlich, denn TV bewährt sich erfahrungsgemäß gerade in Krisenzeiten als das Medium mit der besten Performance und dem höchsten ROI. Deshalb sehen wir auch für 2023 beileibe nicht schwarz - aus heutiger Perspektive, denn natürlich kann die Welt im Januar schon wieder ganz anders aussehen."