Mit seiner am Montagabend verschickten Pressemitteilung hat ProSiebenSat.1 selbst in Unterföhring für Erstaunen gesorgt. Den Abgang von Rainer Beaujean, der Gegenstand besagter Mitteilung war, hat noch nicht einmal der enge Mitarbeiterkreis des 54-Jährigen kommen sehen. Kein Wunder, war der Manager doch erst vor einigen Monaten vom Vorstandssprecher zum Vorsitzenden des Vorstands befördert worden. Doch damals hatte noch Werner Brandt den Vorsitz des Aufsichtsrats inne. Zu dessen Nachfolger, dem langjährigen Springer-Mann Andreas Wiele, soll, wie man hört, Beaujeans Verhältnis nicht das beste gewesen sein.

Offiziell schweigt ProSiebenSat.1 freilich zu den Gründen, die zu der abrupten Trennung geführt haben. Ein schneller Blick auf den Aktienkurs verrät jedoch, dass es derzeit nicht rund läuft für den Medienkonzern. Fast die Hälfte ihres Wertes haben die Aktien binnen Jahresfrist verloren. Zwar hat ProSiebenSat.1 die Folgen der Corona-Krise gut überwunden, doch vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine, der massiv steigende Energiekosten nach sich zieht, ist die nächste Krise bereits da. Rückläufige Werbebuchungen sind schon jetzt spürbar und das Schlimmste könnte erst noch bevorstehen.

Klar ist aber auch, dass der personelle Wechsel an der Konzernspitze zugleich die Chance für eine Art Neuanfang bietet. Immer wieder hat Rainer Beaujean in den vergangenen Monaten mehr oder weniger unverblümt zum Ausdruck gebracht, wie wenig er vom italienischen Hauptaktionär Media for Europe hält. "Für das, was wir machen, brauche ich Europa nicht", gab Beaujean im vorigen Jahr zur Protokoll und erklärte, er könne "keinen Mehrwert" in Form einer Fusion mit MFE erkennen. Die Italiener wiederum machen keinen Geheimnis daraus, eine europäische TV-Allianz schmieden zu wollen.

Ein gemeinsamer Nenner? Eher undenkbar.

Dass sich das sonst so kommunikationsfreudige Media for Europa am Dienstag auf DWDL.de-Nachfrage nicht zum Führungswechsel bei ProSiebenSat.1 äußern wollte, kann daher als Zeichen der Zufriedenheit gewertet werden – verbunden mit der Hoffnung auf einen besseren Draht zwischen Mailand und Unterföhring. Dort, am bayerischen Sendestandort, will man den Wechsel indes nicht als Folge des wachsenden Einflusses von MFE, das jüngst in München eine eigene Dependance eröffnete, verstanden wissen.

Doch es ist nicht nur Media for Europe, das ein Auge auf ProSiebenSat.1 geworfen hat. Auch RTL hat in der Vergangenheit immer wieder sein Interesse an dem Konkurrenten bekundet. Tatsächlich aber dürfte eine Fusion der beiden großen Privatsender-Gruppen aktuell eher nicht infrage kommen. "Das Thema steht nicht auf der Agenda", teilte ein Sprecher der RTL Group am Dienstag auf DWDL.de-Nachfrage mit. Die Zurückhaltung dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass durch die geplatzte Fusion von M6 und TF1 in Frankreich wegen der strikten Medienhüter nicht gerade Rückenwind herrscht, um ein derartiges Projekt auch auf dem deutschen Markt zu forcieren.

Dabei hat sich an der grundsätzlichen Überzeugung von RTL nichts geändert. Dort erachtet man die internationalen Player als eigentliche Konkurrenz, denn diese schielen inzwischen längst nicht nur auf das Publikum, sondern auch auf die noch immer üppigen Werbeeinnahmen der großen Sender. Schon alleine deswegen ist in den nächsten Jahren wohl von einer Konsolidierung auszugehen. Immerhin: Mit Bert Habets steht nun ein Mann an der ProSiebenSat.1-Spitze, der auf mehr als zwei Jahrzehnte RTL-Erfahrung blickt, zuletzt eine Zeit lang als CEO. Gegen eine baldige Annäherung spricht jedoch Habets' plötzlicher RTL-Abgang vor drei Jahren. Und in Köln ist man aktuell ohnehin mit dem von Thomas Rabe ausgerufenen "Zukunftsprogramm One" gut beschäftigt.

So oder so wird der neue ProSiebenSat.1-Boss erstmal andere Aufgaben zu lösen haben. Die Entwicklung des Werbemarkts ist nur eine davon; eine weitere ist das Digitalgeschäft. Und dann ist da auch noch der Streaming-Markt. Erst wenige Wochen ist es her, dass ProSiebenSat.1 den Streamingdienst Joyn vollständig übernahm. "Unserer Strategie entsprechend erweitern wir unsere Reichweite insbesondere bei jungen Zielgruppen und schaffen neue Möglichkeiten der Monetarisierung", erklärte Rainer Beaujean damals und kündigte eine Verzahnung mit dem Influencer-Business sowie den eigenen Marken aus dem Dating- und Video- sowie Commerce- und Ventures-Segment an.

Ob das im Sinne seines Nachfolgers ist? Als CEO von RTL Nederland setzte Bert Habets beim dortigen Streamingdienst Videoland früh auf ein Pay-Modell. Joyn steht hingegen mit einer Vielzahl kostenloser, werbefinanzierter Inhalte für einen anderen Weg. Den richtigen zu finden, wird nun eine der Herausforderungen des Niederländers sein. Das aktuell schwierige Umfeld dürfte ihm den Start jedoch gewiss nicht erleichtern. 

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