Über den teils jahrelangen Kampf um einen Sendeplatz im Ersten können so manche Fernsehmacherinnen und Macher in der ARD ein Liedchen singen. Riccardo Simonetti nicht. Die umtriebige „queere Nervensäge“, wie er sich selbst beschreibt, ist schon länger medial unterwegs aber erlebt in diesem Jahr seinen großen Durchbruch mit diversen Projekten. Dass er mit seinem neuen „Salon Simonetti“ direkt im Ersten Premiere feiert, ist auch ein Beleg dafür. Die nächtliche Sendezeit um 0.30 Uhr schmälert das nur bedingt. 

Ohnehin erwartet der Gastgeber selbst nicht einmal, dass ihn hier seine bisherigen Fans suchen. Das Anliegen ist ein anderes. „Diese Show ist nicht vorrangig für die gemacht, die mir auf Social Media schon folgen, sondern läuft eben in der ARD und im WDR, wo ich diesen Bildungsauftrag auch spüre: Menschen vor den Bildschirmen, die wenig Überschneidungen zu diesen Themen und Lebenswirklichkeiten haben, sich ansonsten vielleicht nicht unbedingt damit beschäftigen würden, etwas mit auf den Weg zu geben. Das ist der Reiz dieser Sendung und zutiefst öffentlich-rechtlich“, sagt Simonetti.

Zur Premiere, die seit Donnerstag auch in der ARD-Mediathek verfügbar ist, sind Moderator und Regisseur Thomas Hermanns und Model Alex Mariah Peter zu Gast, sprechen mit Simonetti darüber, was es bedeutet man selbst zu sein. Ein Thema, dass auch dem Gastgeber nahe liegt, der bei diesem Auftaktthema selbst viel zu sagen hat. In weiteren Folgen wird das ein wenig anders mit mehr Raum für seine Gäste. Man könnte sagen: It gets better. Das gilt übrigens auch für den ersten Eindruck der neuen Sendung, die überraschend anders ausfällt als man es nach der Ankündigung erwartet hätte. 

Salon Simonetti © ARD/WDR It gets better - nach dem Empfang in der IKEA-Küche

„Salon Simonetti“ hat zunächst einmal eine zeitgemäße OnAir-Verpackung, insgesamt so stimmig, dass man über manch angestrengt witziges Wortspiel in den Einspielern hinwegschauen kann. Anders als bei der Studio-Deko, in der die Gäste der Sendung empfangen werden. Hier wähnt man sich in einer Ikea-Ausstellung ehe es ab der siebten Minute in den eigentlichen Salon geht. Welchen Mehrwert eine zweite Gesprächssituation bei einem ohnehin nur halbstündigen Format hat, bleibt ein Geheimnis der Macherinnen und Macher. Wie gut, dass auch hier gilt: It gets better. Denn angekommen in der stimmigen Atmosphäre des Salons fühlen sich alle Beteiligten sichtbar wohler, was dem Gespräch gut tut. 

Eigentlich war aber auch alles etwas anders geplant, verrät Simonetti im Gespräch mit DWDL.de. „Am Anfang gab es auch die Überlegung, dass wir in einem schwulen Nachtclub drehen - und dann natürlich mit Publikum. Zu diesem Zeitpunkt der Planung waren die Corona-Auflagen aber noch strenger und natürlich auch die Ungewissheit davor, was in Zukunft wieder passieren könnte. Nicht dass wir ein großes Set darauf auslegen, dass es mit Publikum gefüllt ist und dann muss alles leer bleiben. Deshalb ist die Atmosphäre des ‚Salon Simonetti‘ noch intimer geworden als in den ersten Ideen dazu geplant. Bei einer zweiten Staffel hoffe ich aber darauf dass wir Publikum um uns haben.“ Dann bräuchte es auch keinen Geister-Applaus eines nicht existierenden Publikums mehr zu Showbeginn.

Mehr Simonetti kann dem deutschen Fernsehen nur gut tun, das hat in diesem Jahr nicht nur unser Kollege Peer Schader analysiert. Bei ZDFneo hatte der Entertainer ohne Gesangstalent, wie er selbst sagt, bereits eine Primetime-Show mit „Glow Up“, doch erst jetzt ist eine Show entstanden, die Simonetti nicht nur präsentiert sondern prägt. Oder wie er selbst sagt: „Ich habe schon viele Sendungen gemacht, dort aber in der Regel Aufgaben übernommen. ‚Salon Simonetti‘ ist aber kein Job, sondern ein persönliches Anliegen und von mir zusammen mit einem tollen Team rund um Seapoint und die Redaktion des WDR gestaltet.“ 

 

"Diese Sendung ist mein Geschenk ans deutsche Fernsehen"

 

Salon Simonetti © WDR/Lennart Speer
Das sehr persönliche Anliegen des Gastgebers spürt man. Inklusive der Wärme im Miteinander, die es so angenehm macht die Gespräche zu verfolgen, weil sie von gegenseitigem Interesse geprägt sind. So merkwürdig es klingt: Geredet wird im deutschen Fernsehen wahrlich genug, nur viel zu selten zugehört. „Ich glaube, jeder Mensch kann zugucken und was lernen. Deshalb habe ich, ohne irgendwie übermütig klingen zu wollen, aber trotzdem mit einem Augenzwinkern, gesagt: Diese Sendung ist mein Geschenk ans deutsche Fernsehen“, sagt Riccardo Simonetti im Gespräch mit DWDL.de. Und muss ein bisschen schmunzeln dabei.

Wieder einmal ist Simonetti bei den Öffentlich-Rechtlichen zuhause, nach „Glow Up“ und dem „ZDF-Fernsehgarten“ bei den Mainzern und „Legendär“, einer Primetime-Reihe, die er für den WDR macht. Was reizt ihn an ARD und ZDF? „Ich fühle mich zum Öffentlich-Rechtlichen hingezogen, weil die Themen, über die ich sprechen möchte, dort gut aufgehoben sind. Gerade auch vor einem erwachseneren Publikum über zum Beispiel Diversity zu sprechen halte ich für wahnsinnig wichtig. Denn gerade ältere Menschen, die ich hier auch erreichen möchte, können oft gut nachvollziehen, wie es ist wenn man sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlt und auf dem Bildschirm und in Diskussionen unsichtbar ist. Diversität geht alle Generationen an.“

So ist „Salon Simonetti“ überraschend anders geworden. Inhaltlicher als vermutet und weniger opulent. Keine Showtreppe, wenig Glamour. Fast schon nüchtern könnte man es nennen. Damit kann der Gastgeber leben. „Mir war in diesem Fall die große Showtreppe gar nicht so wichtig. Wenn den Leuten eine Showtreppe fehlt könnte ich auch damit leben, wenn ihnen der Inhalt der fehlt, dann würde mich das schon eher beschäftigen. Außerdem: Eine Treppe haben wir ja, kommen aber hoch statt runter“, sagt Simonetti und lacht. Weniger Extravaganz, mehr Inhalt - und das genau da, wo Simonetti neue Zielgruppen kann, die dank guter Vorbereitung des Gastgebers die persönlichen Erfahrungen von Thomas Hermanns, insbesondere aber des mehrfachen Coming Outs von Alex Mariah Peter nahe gebracht bekommen.

Salon Simonetti © WDR/Lennart Speer Die Gäste der ersten Sendung: Alex Mariah Peter und Thomas Hermanns

Am Ende ist es bedauerlich, dass die Kürze des Formats einen aus der gerade geschaffenen Gesprächsatmosphäre reißt. Umso mehr ärgert man sich um verschenkte Minuten zu Beginn. Noch so eine Gelegenheit zur Verbesserung, wenn die ARD bzw. der WDR diesem ruhigen Gesprächsformat die Chance einer zweiten Staffel geben würde. Ein bisschen fühlt man sich dank der entstehenden Gesprächsintensität erinnert an „B.trifft“ von einst, auch wenn es dort nicht die Lust an Darstellungsformen gegeben hat, wie im "Salon Simonetti" mit einem eigentlich sehr gelungenen Einspieler des Gastgebers zum Thema der Sendung, der zu Beginn der Sendung der bessere Einstieg gewesen wäre als das sich entwickelnde Gespräch zu unterbrechen.

Gibt es einen Wunschgast? „Heidi Klum wäre eine sehr spannende Gesprächspartnerin“, so Simonetti nach kurzer Überlegung. „Ich finde, dass ihr sehr oft unrecht getan wird in der Berichterstattung und den sozialen Medien. Da spiegelt sich oft auch Alltagssexismus: Als sie vor zwanzig Jahren als Unterwäsche-Model gearbeitet hat, hat sich niemand dran gestört. Postet sie heute ein Unterwäsche-Foto von sich, folgen fiese Reaktionen.“ Und ein anderer Wunschgast ist zu früh verstorben: „Karl Lagerfeld ist gestorben, kurz bevor wir uns kennenlernen sollten. An ihn hätte ich viele Fragen. Und ich hätte so wahnsinnig gerne Dirk Bach kennengelernt. Und Alfred Biolek hatte mich zum Essen eingeladen, nachdem wir uns im ‚Kölner Treff‘ kennengelernt hatten. Aber bevor ich die Einladung annehmen konnte, ist er leider verstorben.“

In den jetzt schon produzierten Folgen der ersten Staffel kommen erst einmal noch Moderator Jochen Schropp, die Autorin und Aktivistin Luisa L’Audace, Sänger Lie Ning, Autorin Tara-Louise Wittwer, trans Schauspieler Brix Schaumburg, Moderatorin Evelyn Weigert, Schauspielerin Thelma Buabeng sowie der Queerbeauftragten der Bundesregierung Sven Lehmann. Mit ein paar Veränderungen am Format könnte es dann weitergehen. Und vielleicht kommt irgendwann Heidi Klum vorbei. Zu Halloween war Simonetti jedenfalls gerade erst bei ihrer Party in New York.

"Salon Simonetti" läuft am (sehr) späten Donnerstagabend in der ARD, am späten Freitagabend im WDR Fernsehen. Die jeweils neue Folge ist ab Donnerstag aber auch in der ARD-Mediathek abrufbar.