Nach den gewöhnlichen Maßstäben gelten neun Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer im deutschen Fernsehen als großer Erfolg. Doch wenn die Fußball-Nationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft antritt, dann liegt die Quoten-Messlatte höher. 20 Millionen Fans, vielleicht 25 oder gar 30 - in dieser Größenordnung bewegten sich die TV-Reichweiten für gewöhnlich in der Vergangenheit. Insofern müssen die knapp mehr als neun Millionen, die am Mittwoch nach Angaben der AGF bei der Auftakt-Niederlage der DFB-Elf gegen Japan vor dem Fernseher saßen, als Enttäuschung gewertet werden. Zum Vergleich: Wenige Tage zuvor erreichte "Wetten, dass..?" über eine Million Menschen mehr, den Münsteraner "Tatort" wollten kürzlich sogar über 13 Millionen sehen.

Tatsächlich wurde nie zuvor eine niedrigere Sehbeteiligung bei einem WM-Spiel der Nationalmannschaft ausgewiesen. Und das ist offensichtlich keinesfalls nur auf die für das deutsche Publikum ungünstige Anstoßzeit um 14:00 Uhr zurückzuführen. Auch in der Vergangenheit gab es Spiele zu ähnlich früheren Uhrzeiten. Als die deutsche Nationalelf im Jahr 2002 um 13:30 Uhr gegen Kamerun antrat, wurden fast 16 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer ermittelt, acht Jahre später waren es beim Spiel gegen Serbien - ebenfalls um 13:30 Uhr - sogar ziemlich genau 22 Millionen. Und noch 2018 sahen über 25 Millionen Fans im ZDF das frühe WM-Aus gegen Südkora. Die Anstoßzeit war damals an einem Mittwoch um 16:00 Uhr.

Klar ist aber auch: Die Zeiten haben sich geändert, sodass zunehmend auch die Abrufzahlen der Livestreams an Relevanz gewinnen - erst recht, wenn ein WM-Spiel zu einer Zeit angepfiffen wird, zu der viele Millionen Menschen in Büros ihrer Arbeit nachgehen. Tatsächlich haben es diese Zahlen in sich: Wie eine ARD-Sprecherin gegenüber DWDL.de mitteilte, seien der sogenannte "Event-Livestream" der "Sportschau" sowie der 24/7-Stream in der ARD-Mediathek am Mittwoch rund 12,5 Millionen Mal abgerufen worden. Dazu kommt die parallele Übertragung bei MagentaTV, für die die Deutsche Telekom auf Nachfrage jedoch keine Nutzungszahlen rausrücken will.

Klar ist: Die tatsächliche Zuschauerzahl des deutschen Auftaktspiels dürfte ein ganzes Stück höher gelegen haben als es die ersten AGF-Zahlen nahelegten. Und doch scheint es, als sei vielen Fußballfans in diesem Jahr das WM-Fieber abhandengekommen. Die Debatten um Menschenrechte im Gastgeberland Katar und die daraus resultierenden Boykottaufrufe haben erkennbar Früchte getragen. An TV-Reichweiten von neun oder gar zehn Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern bei Vorrundenspielen ohne deutsche Beteiligung ist bislang nicht zu denken - lediglich zwei Partien erreichten bislang überhaupt mehr als fünf Millionen Fans. Das dürfte vor allem die Privatsender freuen, die im so wichtigen Vorweihnachtsgeschäft plötzlich mitunter höhere Quoten erzielen als im Vorfeld der Weltmeisterschaft befürchtet.

"Über dem Niveau der Vor-WM"

Uwe Esser und Hans-Joachim Strauch © AS&S/ZDF Werbefernsehen/Steffen Henkel Uwe Esser und Hans-Joachim Strauch
Bei den Vermarktern von ARD und ZDF, die sich schon seit Monaten darum bemühen, im Umfeld der WM-Übertragungen die Werbeplätze zu füllen, herrscht dennoch Zufriedenheit. "Gegenüber der WM 2018 liegen wir trotz der politischen Debatten über dem Niveau der Vor-WM", sagt Uwe Esser, Geschäftsleiter von ARD Media, auf DWDL.de-Nachfrage und betont, dass die einzelnen Vermarktungsplätze nicht an konkrete Reichweitenwerte gebunden seien. Ähnlich äußert sich Hans-Joachim Strauch, Geschäftsführer des ZDF-Werbefernsehens. "Mit der bisherigen Vermarktung und auch dem Buchungsstand sind wir zufrieden", erklärt er. "Externe Einflussfaktoren scheinen bei der Vermarktung der ersten Winter-Weltmeisterschaft in der Fußball-Geschichte nur eine untergeordnete Rolle zu spielen.

Will heißen: Aller Diskussionen und Quoten-Tiefs zum Trotz läuft das Werbegeschäft rund um die Fußball-Weltmeisterschaft gut. Wie groß das Interesse der Fans tatsächlich ist, dürfte sich unterdessen am kommenden Wochenende zeigen. "Das Spiel Deutschland gegen Spanien am Sonntag wird sicherlich sowohl in Richtung weiterem Reichweitenverlauf, wie auch Vermarktung entscheidend sein", sagt Strauch gegenüber DWDL.de. Fraglich allerdings, ob die Werbekunden - mit dem Wissen um die kräftig gesunkenen TV-Quoten - bei künftigen Turnieren noch einmal ähnlich tief in die Tasche greifen wollen.

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