Als ntv am vergangenen Mittwoch in die Berliner Bertelsmann-Repräsentanz lud, um - eine Woche zu früh - seinen 30. Geburtstag zu feiern, ließ es sich sogar der Bundespräsident nicht nehmen vorbeizuschauen. "Wir bleiben dran, das ist das Versprechen, das ntv seinen Zuschauern macht", sagte Frank-Walter Steinmeier in seiner Ansprache und äußerte den Wunsch, dass auch in Zukunft viele verschiedene Medien dranbleiben mögen, "dass sie das aktuelle Geschehen beobachten, erklären, diskutieren, dass sie ihrem demokratischen Auftrag gerecht werden, mündige Bürger zu informieren". Steinmeiers abschließende Bitte: "Bleiben Sie neugierig, bleiben Sie kritisch - und bleiben Sie dran!"

Es ist einigermaßen gesichert, dass ntv weiterhin dranbleiben wird, auch wenn Nachrichtenfernsehen hierzulande unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten schon immer ein schwieriges Unterfangen war. So gesehen ist es dem Betreiber RTL Deutschland, dem ntv seit 2006 gehört, durchaus hoch anzurechnen, dass man sich bis heute den teuren Luxus eines solchen Senders leistet - erst recht in Konkurrenz zu einem starken öffentlich-rechtlichen System. Dass der Erfolg keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt indes der Blick nach Berlin, wo Springers Bild-Ausflug ins Fernsehen schon in wenigen Wochen zu großen Teilen wieder eingestampft wird - nach kaum mehr als einem Jahr.

Sonja Schwetje © MG RTL D / Marina Rosa Weigl Sonja Schwetje
Dabei belegen die hohen Quoten von ntv in den zurückliegenden Krisen-Jahren, dass ein Sender wie ntv gebraucht wird. Tatsächlich befindet sich ntv seit nunmehr fast drei Jahren gewissermaßen im Dauerkrisenmodus, zunächst durch die Corona-Krise, später dann durch den bis heute anhaltenden Krieg in der Ukraine. "In herausfordernden Zeiten müssen wir umso mehr für das Publikum da sein", sagt ntv-Chefredakteurin Sonja Schwetje im Gespräch mit DWDL.de und verweist darauf, seit Kriegsbeginn mit mehreren Teams in der Ukraine zu sein. Damit geht auch eine dauerhafte Anspannung einher. "Jede noch so kleine Reise in einem Kriegsgebiet birgt Risiken und muss bestmöglich vorbereitet sein."

Belohnt wird ntv mit hohen Vertrauenswerten - was auch vor dem Hintergrund wachsender Skepsis gegenüber etablierten Medien in Teilen der Gesellschaft bemerkenswert ist. "Diese Entwicklung bereitet mir große Sorge", sagt Schwetje nachdenklich. "Eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen denkt, wir werden vom Regierungssprecher gebrieft. Was für ein Unsinn!" Besagter Unsinn geht inzwischen so weit, dass sich ntv ebenso wie zahlreiche andere Berichterstatter bei vielen Demonstrationen überlegen muss, Security mitzuschicken. "Das darf nicht sein", findet die ntv-Chefredakteurin und erzählt, einmal in Rage gebracht, dass sie inzwischen sogar hasserfüllte Nachrichten bekommt, wenn sie harmlose Postings zum Thema Pressefreiheit veröffentliche.

30 Jahre ntv © RTL Deutschland / Markus Nass Stephan Schmitter, Geschäftsführer Programm RTL Deutschland sowie Geschäftsführer von RTL News und ntv, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Liz Mohn und ntv-Chefredakteurin Sonja Schwetje.

Der 30. Geburtstag von ntv ist also möglicherweise eine gute Gelegenheit, um noch einmal ganz grundsätzliche Debatten anszustoßen. Es sei gesellschaftlich wichtig, dass Menschen ihre Positionen austauschen. "Dazu wollen wir auch unseren Anteil leisten", formuliert Sonja Schwetje die Rolle ihres Senders. Denn: "Es geht bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen um eine gemeinsame Gesprächsgrundlage - selbst wenn diese 'nur' der Wunsch ist, unsere Demokratie zu beschützen."

Pioniere an der Wall Street

Als ntv am 30. November 1992 den Sendebetrieb aufnahm - damals in der Berliner Taubenstraße -, waren solche Themen noch Zukunftsmusik. Und auch sonst herrschten andere Verhältnisse, auch hinter den Kulissen von ntv. Der damalige US-Medienkonzern TimeWarner war von Beginn an an dem ersten deutschen Nachrichtensender beteiligt, ehe kurz nach Sendestart auch das große US-Vorbild CNN einstieg. Die RTL Group kam erst zehn Jahre später ins Boot - zu einem Zeitpunkt also, als sich ntv nicht zuletzt mit seiner Börsenberichterstattung, getrieben vom Boom des Neuen Marktes, einen Namen gemacht hatte.

Einer, der schon früh bei ntv zu sehen war, ist Markus Koch. "Wir waren Pioniere an der Wall Street", erinnert sich der Wirtschaftsjournalist im Gespräch mit DWDL.de. "Nach Maria Bartiromo von CNBC, war ich wenige Monate nach ihrem Start, der zweite dauerhaft an der New Yorker Aktienbörse stationierte Journalist. Damals konnte man erleben, was Börse bedeutet, und wie der Aktienmarkt atmet. Fast 5.000 Menschen haben damals in den drei Handelsräumen gearbeitet. 'Gier ist gut', wie Gordon Gekko von Wall Street einst sagte, das konnte man dort jeden Tag spüren."

 

"Die Zeiten des Predigens von der Kanzel sind vorbei."
Markus Koch

 

Das Aktienfieber hatte auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Börsen-Berichterstattung. "Geld ist scheu wie ein Reh, und geil wie ein Bock", sagt Koch. "Es war eine Goldene Ära, jedenfalls bis zum großen Knall und Platzen der Tech-Bubble. Die Wissenden haben weniger Geld verdient als die Ahnungslosen, weil der Begriff Risikomanagement ein Fremdwort war. Reich ohne Arbeit, schrieb damals die 'Bild'. Plötzlich war ich zu Gast bei Harald Schmidt, dem SWR-'Nachtcafé' oder der 'NDR Talkshow'."

Im Jahr 2000 wurde Markus Koch für seine Arbeit gar für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Nur wenige Wochen danach verkaufte er einen Teil seiner bis dato kräftig gewachsenen Presseagentur. "Mir wurde der Boom zu heiß", erzählt Koch, "und tatsächlich platzte die Tech-Bubble in dem Jahr, die Nasdaq verlor bis Herbst 2002 fast 80 Prozent. Das Ende des wunderbaren Wahnsinns." Heute, sagt er, sei der Begriff der Berichterstattung überholt. "Ich erstatte keinen Bericht, sondern lebe den Gedanken von Community, mit dem Austausch auf gleicher Augenhöhe, und zwar mit CEOs genauso wie mit Privatanlegern. Die Zeiten des Predigens von der Kanzel sind vorbei."

Das weiß auch Sonja Schwetje, die mit den vielen Live-Schalten an die Börsen in Frankfurt und New York auch auf eine "attraktive Entscheider-Zielgruppe" schielt, wie sie diejenigen nennt, die sich noch immer für den Verlauf von Aktienkursen interessieren. "Aber gerade jetzt spüren wir doch alle, dass Wirtschaft viel mehr ist als Börse", sagt die ntv-Chefredakteurin zu DWDL.de. "Wirtschaft ist Nutzwert, Wirtschaft betrifft die Lebenswelt von jeder und jedem Einzelnen." Es sei daher wichtig, Wirtschaft so aufzubereiten, dass sie auch für andere Zielgruppen attraktiv ist, etwa in der neuen Sendung "Service", mit der auch Berühungsängste abgebaut werden sollen.

Forderungen an die Medienpolitik

Für ntv geht es indes mehr denn je darum, sich klar am immer härter werdenden Medienmarkt zu positionieren. "Wir möchten unseren Platz haben zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den globalen Plattformen", betont Schwetje und kritisiert eine Ungleichbehandlung. "Als privat finanziertes Medium leisten wir die gleiche exzellente Qualität wie ARD und ZDF. Deshalb muss es medienpolitisch für uns einen Raum in Sachen Auffindbarkeit, Refinanzierung und Wettbewerbsfähigkeit geben. Wir sind erfinderisch, agil und in der Lage, uns ganz schnell zu verändern – aber wir haben als privates Rundfunkunternehmen auch viele Auflagen, die andere nicht haben." Es gehe nicht darum, die Existenzberechtigung von ARD und ZDF infrage zu stellen, sagt sie, aber: "Da, wo Wettbewerb funktioniert, darf er nicht durch ungleiche Bedingungen behindert oder verzerrt werden."

Dass ntv inzwischen längst vorwiegend aus Köln sendet und nicht aus Berlin, wo der Bundestag oder der jüngst auf dem Geburtstagsempfang erschienene Bundespräsident ihren Sitz haben, empfindet Schwetje nicht als Problem. "Natürlich muss man als Nachrichtensender in Berlin vor Ort sein. Trotzdem ist es von Vorteil, bodenständig in Köln verankert zu sein, weil es eine Gefahr ist, Teil des politischen Betriebs und dadurch vielleicht etwas blind zu werden für bestimmte Themen." Themen, die ntv perspektivisch auch in einem neuen Studio aufbereiten wird. Ein "sehr gutes Konzept" habe man bereits in der Schublade, sagt die Chefredakteurin, die hier an einen modularen Ansatz glaubt. "Ich wünsche mir flexiblere und sehr agile Mechanismen, verbunden mit einem vollautomatisierten Modus."

Und Markus Koch? Der Journalist ist auch nach fast drei Jahrzehnten noch immer fester Bestandteil von ntv. Doch seine Perspektiven haben sich geweitet, allen voran durch seinen Podcast und fast drei Millionen Follower in den sozialen Medien, auf die er erkennbar stolz ist. "Das Parkett ist heute eine Schaubühne vergangener Zeiten", sagt er. "Eines ist geblieben: Es geht ums Geld verdienen, und darum keines zu verlieren. Deshalb wird die Börse immer wie ein Thriller sein, der niemals endet." Und ntv wird sicher dran bleiben.