Seit einem Monat ist eine fast schon vergessen geglaubte Debatte in der Fernsehbranche wieder aufgeflammt. Seit sich RTL Deutschland dazu entschieden hat, einen neuen Versuch zu unternehmen, die Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen um zehn Jahre bis 59 zu erweitern, wird wieder eifrig über den Umgang damit diskutiert. Viel weiter als vor gut zehn Jahren, als das Thema vor dem Hintergrund des fortschreitenden demografischen Wandels in Deutschland schon einmal auf der Tagesordung stand, ist die Branche allerdings offenkundig nicht - was schlicht daran liegt, dass ProSiebenSat.1 nicht gewillt ist, sich dem Konkurrenten aus Köln vollends anzuschließen, sondern stattdessen lieber weiter mit sogenannten "Relevanzzielgruppen" argumentiert, also verschiedenen Zielgruppen, die den überwiegend komplementär programmierten Sendern entsprechen.

Ralf Hape © Sky Ralf Hape
Einen Mistreiter hat RTL Deutschland in Sky Media, schließlich hat der Vermarkter von Sky und anderen kleineren Sendern auch schon vor Jahren umgeschwenkt auf 14-59 - wissend, dass darin nicht die alleinige Wahrheit liegt. "Grundsätzlich vertreten wir den Standpunkt, dass jeder Werbekunde seine eigene Zielgruppe hat, insofern ist die Diskussion etwas mühsam", sagt Sky-Media-Geschäftsführer Ralf Hape gegenüber DWDL.de. "Klar ist natürlich, dass es einen gemeinsamen Nenner braucht, um Leistungen zu vergleichen. Mit Blick auf die Entwicklung von TV-Landschaft und Nutzungsverhalten macht aus unserer Sicht die Zielgruppe E14-59 am meisten Sinn. Aus diesem Grund ziehen wir schon seit langem diese Zielgruppe zur Berechnung unserer Preise heran."

Spannend ist, dass der RTLzwei-Vermarkter El Cartel Media keineswegs den Kölner Kollegen folgt - was letztlich auch an der sejr jungen Ausrichtung des Senders liegt, der gleichwohl mit Formaten wie dem "Glücksrad" oder "Genial daneben" auch zunehmend ältere Publikumsschichten ansprechen will. Es sei richtig, dass das lineare TV-Publikum älter geworden ist, betont Geschäftsführer Stephan Karrer. "Das spiegeln wir in unserem Programm, ohne junge Zielgruppen aus dem Auge zu verlieren, die einfach zur Marke RTLzwei gehören. Deshalb passt 14-49 weiterhin gut. Als marktweit gelernter Maßstab erleichtert das im Tagesgeschäft den schnellen Vergleich zwischen den Sendern. Nicht mehr und nicht weniger.“ 

Stephan Karrer © RTLzwei/Magdalena Possert Stephan Karrer
Gleichzeitig forderte Karrer die Branche auf, sich bei der Debatte ehrlich zu machen. "Eine wie auch immer definierte Referenzzielgruppe sagt wenig darüber aus, wie erfolgreich eine Programmmarke ist – beim Publikum oder als Werbeumfeld. RTLzwei macht Inhalte für viele Zielgruppen und auf vielen Plattformen. Das wissen die Werbekunden und planen entsprechend differenziert", betont Stephan Karrer auf DWDL.de-Nachfrage.

Während sich Disney und Paramount nicht äußern wollen, ist man bei Warner Bros. Discovery indes noch zwiegespalten. "Wir beobachten die vielfältigen Debatten rund um relevante Zielgruppen innerhalb der linearen TV-Landschaft sehr genau. Einerseits erscheint eine Erweiterung der als werberelevant definierten Altersgruppe im Hinblick auf den demografischen Wandel sinnvoll, andererseits bedingt diese durch die größere Reichweite auch eine zunehmende Streuung relevanter Daten und damit einhergehend eine geringere Vergleichbarkeit der einzelnen Leistungswerte", sagt eine Unternehmenssprecherin. "Davon abgesehen ist der Werbemarkt vermehrt auf der Suche nach enger definierten Zielgruppen, die thematisch passend zu den jeweiligen Kampagnen angesprochen werden können, was Trends wie Programmatic Advertising beweisen. Es wird spannend zu beobachten, wie sich diese Entwicklungen mit den Diskussionen rund um die Zielgruppen vereinen lassen." Eine konkrete Lösung sieht freilich anders aus.

Uwe Esser © AS&S Uwe Esser
Gänzlich einig in der Betrachtung der Zielgruppen-Diskussion sind sich noch nicht einmal die Vermarkter des öffentlich-rechtlichen Werberahmenprogramms. "Die realitätsferne Einengung der Referenzzielgruppe auf 14-49 wurde von uns bereits seit vielen Jahren hinterfragt und für unsere Marktpositionierung im TV-Markt auch nicht herangezogen", sagt Uwe Esser, TV-Chef von ARD Media. Für die Vermarktung des Ersten habe man sich daher immer an der demografischen  Entwicklung und den Kernzielgruppen des Programms orientiert - "und da war unsere Kernzielgruppe die 20- bis 59-Jährigen", so Esser.

14-59 hält er dennoch nicht für die richtige Lösung. "Der aktuelle Vorstoß von RTL geht in die richtige Richtung, greift aber zu kurz. Wenn man die aktuelle demographische Entwicklung unserer Gesellschaft betrachtet und die Diskussionen über ein Renteneintrittsalter mit 70 Jahren, kann man absehen, wohin die Reise auch in den Referenzzielgruppen des Vermarktungsgeschäftes geht. Da sind wir dann in einem Bereich, wo wir von den 20- bis 69-Jährigen sprechen. Übrigens dehnt sich auch das Kauf- und Konsumverhalten in diese Richtung aus. Daher sollten wir diese Diskussion konsequent an den Realitäten entlang führen."

Hans-Joachim Strauch © ZDF Werbefernsehen/Steffen Henkel Hans-Joachim Strauch
Allzu weit von einer Betrachtung des Gesamt-Markes wäre man mit einer solch breit gefassten Zielgruppe daher nicht. Hans-Joachim Strauch, Geschäftsführer des ZDF Werbefernsehens, will sich letztlich gar nicht auf eine einzige Zielgruppe festlegen. "Soziodemografische Merkmale wie das Alter waren und sind nicht alleinig mitentscheidend für Absatzwerbung. Eine Erweiterung der Zielgruppe auf 14–59 entspricht aus Vermarktungssicht auch nicht der Marktrealität", erklärt er gegenüber DWDL.de. "Vielmehr gilt es, innerhalb der Gesamtseherschaft Zielgruppen mit größerem Käuferpotenzial zu erreichen. Um bei TV-Kampagnen Streuverluste möglichst zu minimieren, sollte daher mit Konsumzielgruppen geplant werden."

Wie kurios der Blick auf eine Zielgruppe sein kann, beweist unterdessen Kai Ladwig und nimmt die Diskussion mit Humor. "Im Dezember diesen Jahres werde ich aufhören zu konsumieren, denn dann werde ich 50 Jahre alt und passe nicht mehr in die Werbewelt die einst - mutmaßlich -  Helmut Thoma und Co. für mich vorgesehen hatten", sagt der CMO des Vermarkters Visoon und schiebt schnell hinterher: "Kleiner Scherz, aber ich bin ein gutes Beispiel für die Absurdität dieser einstmals festgelegten Referenzzielgruppe. Die TV-Welt hat sich seit der Einführung des Privatfernsehens verändert und im Jahr 2023 ist die Gruppe der 14- bis 49-Jährigen weniger aussagekräftig für Relevanz und Erfolg bei Zuschauern aka Konsumenten."

Kai Ladwig © Visoon Kai Ladwig
Ladwig sieht die Branche in der Pflicht, sich zu wandeln. "Von TV wird an vielen Stellen eine Veränderung hin zum Digitalen erwartet, die auch eingelöst wird, aber bei der Zielgruppenbetrachtung ist der Werbemarkt auf Einkaufsseite äußerst konservativ und möchte die guten alten Referenzwerte beibehalten. Ich sage das übrigens, obwohl wir bei Visoon im Vermarktervergleich den höchsten Anteil an jungen Zielgruppen haben", so Ladwig, dessen Haus unter anderem Welt, MTV und Nickelodeon vermarktet. "Es macht aus unserer Sicht Sinn, die Referenzzielgruppe an die reale demografische Entwicklung anzupassen und den somit höheren Stellenwert der TV-Reichweiten besser abzubilden. Sie ist aber auch nur das: Ein Referenzwert."

Verkauft werde immer schon auf sehr differenzierten Produkt- oder Verwenderzielgruppen, sagt der Visoon-Geschäftsführer und schließt mit einem Augenzwinkern: "Abgesehen davon gewinne ich so noch ein paar Jahre unbeschwerten Konsum als vollwertiger Zielgruppenteilnehmer."

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