Bert Habets © ProSiebenSat.1 Media SE/Benedikt Müller Bert Habets
Als ProSiebenSat.1-CEO Bert Habets kürzlich über die Strategie des Medienkonzerns sprach, kam er an einer Stelle aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Habets erklärte, dass man Joyn stärken wolle - und nannte als Positiv-Beispiel die Streamingplattform Zappn. Die gehört ebenfalls zum Konzern, allerdings in Österreich. Zappn agiert wie Joyn auch als Aggregator und hat mit dem ORF und ServusTV die direkte Konkurrenz mit Österreich-Programm an Bord, so konnte man in den zurückliegenden Jahren massiv wachsen. Das hat man auch in Unterföhring registriert. Habets referierte vor der Presse steigende Nutzerzahlen und deren gestiegene Sehdauer auf Zappn. Man habe mit Zappn bewiesen, dass man es schaffen könne, so der Tenor. Nun will man aber Joyn ausbauen und sieht diese Plattform als digitale Zukunft - im gesamten deutschsprachigen Raum. Wie passt das zusammen? 

Das würde man wahrscheinlich auch gerne in Österreich wissen. 

Joyn Österreich © Joyn
Als Joyn 2019 an den Start ging, hieß es noch, die Plattform solle Ende des Jahres auch in Österreich starten - und Zappn darin aufgehen. Doch es passierte: nichts. Mitte 2020 hieß es nochmals, Joyn stehe in Österreich "in den Startlöchern". Und wieder: nichts. Vor mittlerweile gut zwei Jahren räumte man offiziell ein, vorerst keinen Start der Plattform in Österreich zu planen - schloss das aber nicht grundsätzlich aus. Klar ist aber auch: Hört man Managerinnen und Manager von ProSiebenSat.1Puls4, so heißt die Österreich-Gruppe des Medienkonzerns, sprechen, merkt man schnell, dass sie kein allzu gesteigertes Interesse an einer Einführung von Joyn haben, wenn Zappn dafür wegfällt. Dafür hat sich die App zu gut etabliert. 

Der neue Aufschlag aus Unterföhring, Joyn auch in den anderen Märkten im deutschsprachigen Raum zu etablieren, kommt also einigermaßen überraschend. Und während es durchaus Sinn machen würde, Joyn-Originals, die nach wie vor nicht in Österreich zu sehen sind, irgendwie nach Österreich zu bringen, ist wohl nicht davon auszugehen, dass Joyn in der Zukunft eine so gewichtige Rolle spielt wie Zappn heute. Bislang agierte ProSiebenSat.1Puls4, zur Gruppe gehört auch ATV, relativ autark von der deutschen Konzernmutter, es wäre überraschend, sollte sich das ausgerechnet jetzt ändern und aus Deutschland die Vorgabe kommen, ein etabliertes Produkt durch ein anderes zu ersetzen. 

Während Joyn-Originals weiter nicht für österreichische Zuschauerinnen und Zuschauer zu sehen sind, ist das andersrum teilweise anders. Im Herbst 2022 holte Joyn eine ganze Reihe von eigenproduzierten ATV-Realitys nach Deutschland, darunter mit "Forsthaus Rampensau" der erfolgreichste Neustart des Senders seit langer Zeit. Und auch sonst bedienen sich die deutschen Sender ab und zu gerne an den Programmneuheiten aus Österreich: Als Sat.1 vor wenigen Jahren die Sendung "Richtig witzig" mit Hugo Egon Balder umsetzte, passierte das auf einer Puls-4-Lizenz. Überraschend, dass die Show mit ihren im Schnitt mehr als 9 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe nicht fortgesetzt wurde. 

"Volles Haus"? Bitte nicht...

Volles Haus! © Sat.1/Willi Weber
Aber nicht nur in Sachen Streaming fährt ProSiebenSat.1Puls4 manchmal einen etwas anderen Weg als die Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland. Als Sat.1 vor wenigen Wochen mit großen Brimborium seine neue Nachmittags-Show "Volles Haus" startete, entschied man sich in Österreich lieber dafür, die Sendung im Fensterprogramm Sat.1 Österreich nicht zu zeigen. Das ist insofern überraschend, als dass Sat.1 Österreich eben ein Fensterprogramm des deutschen Senders ist und weite Strecken schlicht aus Deutschland übernimmt, auch wenn einige wenige Programmteile für das österreichische Publikum ausgetauscht werden. Bei den Quoten, die "Volles Haus" in Deutschland derzeit einfährt, kann man den Verantwortlichen in Österreich auf die Schulter klopfen.

Als Sat.1 vor einigen Jahren "Endlich Feierabend" zeigte, zog übrigens auch Österreich noch mit. Auch "Die perfekte Minute" ist aktuell in Sat.1 Österreich am Vorabend zu sehen. Offiziell verliert man natürlich kein böses Blut über das neue Nachmittags-Format der deutschen Kollegen. Stattdessen verweist man auf das Konkurrenzprogramm in Österreich, dadurch würde es Sinn machen, sich "programmlich anders aufzustellen".

Apropos Sat.1 Österreich: Wussten Sie, dass das Fensterprogramm und das dahinterliegende Unternehmen gar nicht zu 100 Prozent zum Medienkonzern gehören? Aktuell hält ProSiebenSat.1 nur 75,50 Prozent an der Wiener SAT.1 Privatrundfunk und Programmgesellschaft m.b.H. Die restlichen Anteile liegen bei der Medienbeteiligungsgesellschaft Medicur der Bankengruppe Raiffeisen, die ist auch an der Tageszeitung "Kurier" und der ORF-Techniktochter ORS beteiligt. Bis vor wenigen Jahren hielt ProSiebenSat.1 sogar nur etwas mehr als 50 Prozent an Sat.1 Österreich, 2020 kaufte man aber den 24,5 prozentigen Anteil des Medienunternehmens Styria zurück. 

News, News, News

Und dann ist ProSiebenSat.1Puls4 auch noch auf einem anderen Gebiet ziemlich erfolgreich unterwegs, das die deutsche Mutter erst seit diesem Jahr wieder selbst beackert: News. In Unterföhring produziert man seine Nachrichten seit Januar wieder inhouse. Im Mai soll zudem eine einheitliche News-Marke an den Start gehen, später im Jahr folgt dann auch ein neues Studio. Es hat schon eine gewisse Portion Ironie, wenn ProSiebenSat.1 vor mehr als zehn Jahren seinen damaligen Nachrichtensender N24 (heute Welt) verkauft hat und ausgerechnet der News-Kanal Puls 24 der Österreich-Tochter nun ein wichtiges Pfund in deren Ausrichtung ist. 

Corinna Milborn © Bernhard Eder Corinna Milborn
Puls 24 liefert viele Stunden am Tag Live-Berichterstattung und verzichtet dabei auf eine boulevardeske Aufmachung. Man experimentiert mit neuen Formaten; hat auch Talks im Programm, die regelmäßig für Schlagzeilen in anderen Medien sorgen. ProSiebenSat.1Puls4-Infochefin Corinna Milborn ist eine der bekanntesten Journalistinnen im Land (und wurde 2022 von DWDL.de zu einer Bildschirmheldin gekürt). Und wenn Wahlen anstehen, fahren Puls 4, Puls 24 und ATV ein Programm auf, das etliche Sendungen und direkte Duelle zwischen den zur Wahl stehenden Personen beinhaltet. Politikerinnen und Politiker wissen zwar, dass im ORF teils deutlich mehr Menschen zusehen, sie wissen aber auch, dass sie es sich nicht leisten können, nicht in die Sendungen zu kommen.

Das alles will ProSiebenSat.1 in Deutschland noch erreichen. Keine Frage, zuletzt waren News und Info-Formate wieder wichtiger für Unterföhring und ProSieben setzte immer wieder auf vertiefende Einzelstücke zur Primetime, aber es ist noch ein langer Weg zu gehen. 

Mit dem 4Gamechangers-Festival hat ProSiebenSat.1Puls4 in den zurückliegenden Jahren zudem ein eigenes Event auf die Beine gestellt, das nicht nur die Medienbranche umspannt, sondern darüber hinaus auch Start-ups in verschiedenen Bereichen anspricht. Der Konzern nutzt das Festival auch stets für einen großen Aufschlag in eigener Sache. Inzwischen ist 4Gamechangers für die Branche so relevant geworden, dass auch der ORF nicht mehr drum herum kommt und im vergangenen Jahr als Co-Partner eingestiegen ist. Auch dieses Jahr richtet man die Veranstaltung wieder gemeinsam aus - und zeigt eine bemerkenswerte Eintracht von Öffentlich-Rechtlich und Privatrundfunk. 

Auch in Österreich gibt's Probleme

Aber auch in Österreich ist nicht alles Gold, was glänzt. Alle Sender der Gruppe haben das Laster, mit vergleichsweise wenig Budget auskommen zu müssen. ATV hat sich hier relativ gut in der Reality-Ecke positioniert, Puls 4 dagegen darbt aktuell etwas vor sich hin und sucht mit vielen Experimenten seinen Weg. Von den großen Shows à la "The Masked Singer Austria" hat sich der neue Senderchef erst kürzlich verabschiedet. Man will hin zu mehr Kosteneffizienz und daher vor allem auf Formate setzen, die sich oft wiederholen lassen. Das ist vor allem deshalb verständlich, weil der österreichische Markt rund zehn Mal kleiner ist als der deutsche - hochwertige Produktionen aber gleich viel kosten. Für die Zuschauerinnen und Zuschauer ist es ein Verlust, für sie bleibt in Sachen Shiny Floor nur noch der ORF. 

Die Budgetknappheit ist aber vielleicht auch ein Grund dafür, dass ProSiebenSat.1Puls4 oftmals andere Wege geht bzw. gehen muss als die Kollegen in Deutschland. In Österreich sieht Unterföhring jetzt aber immerhin, dass viele Projekte, die man selbst angehen will, funktionieren können. Klar ist aber auch, dass dafür oft ein langer Atem nötig ist, sei es bei den News oder bei Joyn. Das war auch in Österreich nie anders.