Für viele österreichische Produzentinnen und Produzenten war der Streaming-Boom lange ein Thema, das mit voller Geschwindigkeit an ihnen vorbeigerauscht ist. Große internationale Produktionen von Streaminganbietern wurden fast nie gefördert, weil sie in keinen der bestehenden Filmförderungstöpfe passten. Also wanderten sie ab, meist ins benachbarte Ausland, wo es teils erhebliche Steuervorteile für die Produktionsfirmen gab. In Gesprächen mit der Politik wurden die Produzenten lange aufgerieben zwischen den verschiedenen Koalitionspartnern und sich ändernden Regierungsmehrheiten. Seit Anfang 2023 ist aber alles anders. 

Seit etwas mehr als drei Monaten gibt es nämlich ein neues Modell zur Film- und Serienförderung, mit dem Österreich europaweit Schlagzeilen macht. Schon bei der ersten Ankündigung im Sommer 2022 überschlug sich die österreichische Produzentenlandschaft mit Lob. Konkret sieht das neue Modell drei Säulen vor: Das Förderprogramm FISA+ unterstützt die Produktion von nationalen Filmen und Serien sowie internationale Projekte, sofern sie als Serviceproduktion von einem österreichischen Unternehmen umgesetzt werden. Der Fernsehfonds Austria fördert kleinere, vor allem österreichische Produktionen und vergibt einen Exzellenzbonus in Kombination mit FISA+-Förderungen. Für Kinofilme ist der Topf ÖFI+ zuständig. 

Vor allem das neue FISA+-Modell kommt, national wie international, gut an. Kern der Förderung ist ein nicht rückzahlbarer Zuschuss in Höhe von 30 Prozent der förderungsfähigen Ausgaben in Österreich. Weitere 5 Prozent kommen hinzu, wenn man bestimmte Richtlinien rund um "grünes Filmen" einhält. Kombiniert man diese Förderung mit dem Exzellenzbonus des Fernsehfonds Austria, kann man bis zu 40 Prozent Förderung der anfallenden Kosten erhalten. Während der Fernsehfonds Austria 13,5 Millionen Euro umfasst, sollen FISA+ und ÖFI+ nach Angaben der Politik völlig ohne Deckel Projekte fördern. 

Claudia Roth © IMAGO / Metodi Popow Claudia Roth
In der Theorie gibt es also kein Gerangel mehr um eine bestimmte Summe, die den Produzentinnen und Produzenten pro Jahr zur Verfügung steht. Die Art der Förderung ist auch europaweit ein echter Meilenstein, der verständlicherweise bei vielen Produktionsfirmen für Freude sorgt. Als Medien-Staatsministerin Claudia Roth Anfang des Jahres eine Neuordnung des deutschen Filmförderungswesens ankündigte, sagte sie, man müsse sich das österreichische Modell "sehr genau anschauen". Die Produzentenallianz war da schon weiter. "Aus unserer Sicht ist ein zuschussbasiertes und ungedeckeltes Fördermodell wie das österreichische auch für Deutschland der richtige Ansatz für ein zukunftsfähiges Fördersystem", erklärte Björn Böhning, Geschäftsführer der Produzentenallianz, bereits im November 2022. 

Die Hürden sind niedrig

Doch inzwischen mehren sich auch kritische Stimmen. Spricht man mit Produzentinnen und Produzenten aus Österreich sind diese grundsätzlich sehr glücklich über die Neuaufstellung der Film- und Serienförderung, fragen sich teilweise aber auch, ob das neue Modell nicht etwas nachlässig auf Schiene gebracht wurde. Die Hürden für internationale Produktionsfirmen, an Gelder zu kommen, seien zu niedrig, heißt es. Es besteht die Gefahr, dass finanzstarke Unternehmen aus dem Ausland für das Geld aus dem FISA+-Topf kurzerhand österreichische Tochterunternehmen gründen, die die Filme oder Serien dann als Serviceproduktionen umsetzen - und danach wieder geschlossen werden. Die Wertschöpfung in der heimischen Branche wäre um einen Schlag deutlich geringer als angepeilt. 

Es gibt auch bereits ein erstes prominentes Beispiel, bei dem die österreichische Produzentenlandschaft die Stirn runzelt. Die HBO-Serie "The Palace" mit Kate Winslet in der Hauptrolle wurde im Januar und Februar in Österreich gedreht, gefördert durch FISA+. Als österreichischer Servicepartner hinter dem Projekt steht die Wiener Onnoo One Film, von der erfahrene Fernsehmacherinnen und Fernsehmacher bislang wenig gehört haben. Die im Impressum des Unternehmens angeführte Geschäftsführerin ist bislang unbekannt in der Branche. Auf Anfrage von DWDL.de bestätigt Onnoo One Film lediglich, an der Umsetzung von "The Palace" beteiligt gewesen zu sein. Weitere Auskünfte über die eigene Geschäftstätigkeit gebe man nicht. Die Geschäftsführerin sagt gegenüber DWDL.de, sie habe in der Vergangenheit auch andere Filmprojekte betreut. Welche das sind, will sie nicht sagen. Ein Produzent unkt im Gespräch mit DWDL.de, der Name "Onnoo One Film" würde das ganze Dilemma ("Oh no!") der neuen Film- und Serienförderung schon gut beschreiben. Von der Vienna Film Commission heißt es dagegen, 200 Menschen seien in den Dreharbeiten eingebunden gewesen, zwei Drittel davon kamen aus Österreich. 

Jedes in Österreich gedrehte Filmprojekt hat nicht nur positiven Effekte für die heimische Filmbranche sondern auch für den Standort an sich.
Sprecherin des Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft


Für das Bundeswirtschaftsministerium, das die Vergabe der FISA+-Gelder verantwortet, ist diese Praxis kein Problem - im Gegenteil. Man wollte internationale Produktionsfirmen nach Österreich holen und das ist zum Start offenkundig sehr gut gelungen. Das Ministerium argumentiert ohnehin auf einer anderen Ebene: "Jedes in Österreich gedrehte Filmprojekt hat nicht nur positiven Effekte für die heimische Filmbranche sondern auch für den Standort an sich: es profitieren sowohl Tourismus als auch andere Dienstleister in Österreich von den in Österreich getätigten Ausgaben der Filmproduktionen", heißt es in einer Stellungnahme gegenüber DWDL.de. So steigere man nicht nur die Steuereinnahmen, sondern trage zur Schaffung und Erhalt "qualifizierter Arbeitsplätze" bei und steigere die Wertschöpfung in Österreich. 

Die ungedeckelte Förderung, die einen Deckel hat

Nach dieser Logik kommt jeder Euro, den man in die Förderung steckt, auf verschiedenen Wegen doppelt und dreifach zurück. Insofern macht es Sinn, dass das neue Modell von der Politik als ungedeckelt beworben wird. Nur: Ganz so einfach ist es nicht. Tatsächlich gibt es nämlich sehr wohl einen Deckel: Bei FISA+ liegt dieser im aktuellen Jahr bei 21,5 Millionen Euro und bei ÖFI+ bei 15,5 Millionen Euro. Das bestätigt das Bundeswirtschaftsministerium gegenüber DWDL.de und nennt damit erstmals offiziell Zahlen, die bislang nur wie Geister durch die Branche gespukt sind. Die insgesamt 37 Millionen Euro sind im Bundesfinanzrahmengesetz für die Förderung vorgesehen, denn eine ungedeckelte Förderung, für welches politische Projekt auch immer, sieht der österreichische Gesetzgeber gar nicht vor. 

Film und Serienförderung Österreich © DWDL.de Auf der MIPTV in Cannes wurde das österreichische Fördermodell ebenfalls beworben.

"Zusätzlich wurde aber dazu eine Überschreitungsmöglichkeit im Rahmen der haushaltsrechtlichen Instrumente vorgesehen", heißt es vom Ministerium gegenüber DWDL.de. Das heißt konkret: Sind die Fördertöpfe leer, sollen sie ganz einfach wieder aufgefüllt werden. Ob das aber tatsächlich so reibungslos funktionieren wird, bleibt abzuwarten, schließlich muss das Finanzministerium einem solchen Antrag des Wirtschaftsministeriums erst zustimmen. Auch Produzenten, mit denen DWDL.de gesprochen hat, haben hier Fragezeichen. Noch liegt Geld in den Töpfen, aber der Run auf die Förderungen in den ersten Wochen nach dem Start war hoch. Bereits acht Wochen nach dem Start gab es Anträge mit einer Zuschusshöhe von insgesamt 20 Millionen Euro. Welche Projekte das genau sind, ist aktuell noch unklar, weil die Förderungsentscheidungen bislang nicht veröffentlicht wurden. So ist einstweilen nicht klar, wie viel Geld an Serviceproduktionen ging. Vom Wirtschaftsministerium heißt es, eine Liste der Projekte solle "bald" veröffentlicht werden. 

"Vienna Blood" kehrt nach Wien zurück

Oliver Auspitz © Petro Domenigg/MR Film Oliver Auspitz
Grundsätzlich aber hat das neue Modell der Film- und Serienförderung schon viel bewegt. Amazon hat erst kürzlich eine neue Serie angekündigt, die man in Wien dreht (DWDL.de berichtete) und die Wiener Produktionsfirma MR Film holt seine Reihe "Vienna Blood" zurück in die österreichische Hauptstadt, nachdem man zuletzt nach Budapest gegangen war. Und Beta Film hat als direkte Folge des neuen Modells die Gamma Film gegründet und will Österreich damit zum Zentrum seiner Mittel-, Ost- und Südosteuropa-Aktivitäten machen. Geleitet wird die Gamma Film von Oliver Auspitz, der auch geschäftsführender Gesellschafter von MR Film ist. 

Um sagen zu können, wie gut es tatsächlich funktioniert, ist es noch zu früh.
MR-Film-Geschäftsführer Oliver Auspitz


Auch Auspitz zeigte sich bereits gegenüber mehreren Medien begeistert von dem neuen Modell. "Österreich ist nun interessant, weil es ermöglicht, mehr und besser zu produzieren und dabei kompetitiver zu sein", sagte er vor einigen Monaten gegenüber der Tageszeitung "Kurier". Ohne den wirtschaftlichen Anreiz hätte man im internationalen Vergleich keine Chance, so der Filmemacher zuletzt in "Blickpunkt Film". Von DWDL.de auf mögliche Schwächen des Modells angesprochen, verweist Auspitz auf die Einführung vor wenigen Wochen. "Um sagen zu können, wie gut es tatsächlich funktioniert, ist es noch zu früh. Grundsätzlich spüre ich aber eine große Begeisterung in der Branche, dass sich Österreich für die Neuaufstellung der Film- und Serienförderung entschieden hat", sagt Auspitz. Nach einem Jahr werde man sehen können, wie viel Volumen in Serviceproduktionen gehen und wie viel in internationale Koproduktionen. Die Umwegrentabilität, die durch das neue Modell geschaffen werde, sei aber "sehr hoch", so der Produzent.

"Verantwortung, System vor Missbrauch zu schützen"

Alexander Glehr © IMAGO / ZUMA Wire Alexander Glehr
Alexander Glehr ist Filmproduzent, Geschäftsführer der Film AG sowie Präsident der Association of Austrian Filmproducers (aafp). Er sagt im Gespräch mit DWDL.de, das neue Fördermodell versetze die Hersteller von Produktionen in die Lage, Filme und Serien umzusetzen, "die sich vor allem auch im internationalen Marktumfeld messen können". Er spricht von einem "Bekenntnis zur Herstellung von TV-Inhalten maßgeblich österreichischer Prägung", das "international alle Vergleiche sucht". Der Run in den ersten Wochen auf die Fördertöpfe sei wenig überraschend immens gewesen. "Durch die relativ niedrigschwelligen Qualifikationskriterien sorgten FISA+ und ÖFI+ vor allem international für Aufsehen." Glehr spricht auch von Nachzieheffekten, weil Produzentinnen und Produzenten Projekte verschoben hätten, um nun die neue Förderung mitzunehmen. 

"Wir gehen davon aus, dass weiterhin über das Jahr stetig Projekte beantragen werden, diese erste Welle an Einreichungen aber nicht als Basis für Hochrechnungen herangezogen werden kann", sagt Glehr und klingt dabei schon etwas warnend. Auch er freut sich über das neue Fördermodell, verweist aber auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen generell. "Auch wenn von Seiten der Politik FISA+ und ÖFI+ als ungedeckelte Förderung angekündigt wurden, wird in Zeiten multipler wirtschaftlicher Krisen sehr genau darauf geschaut werden, dass so ein System seine Wirkungsziele erreicht, nicht ausgenützt wird und die versprochene Umwegsrentabilität einlöst. Als Antragssteller stehen wir also auch in der Verantwortung, dieses System vor Missbrauch zu schützen."

Darüber hinaus will sich die aafp dafür einsetzen, dass in den Förderrichtlinien noch stärker darauf geachtet wird, dass unabhängige Produzentinnen und Produzenten so viele Rechte an den Werken wie möglich behalten, um so mit internationalen Verwertungskonzernen auf Augenhöhe zu agieren. Das ist sicherlich ein Punkt, der auch den deutschen Produktionsfirmen wichtig ist bei einer Neugestaltung der hiesigen Film- und Serienförderung.