Tarife mit Werbung sollen gleich mehrere Probleme lösen

Es klingt fast ein wenig paradox: In einer Zeit, in der Medienkonzerne fast weltweit über Werbezurückhaltung klagen, müssten eigentlich Abo-Einnahmen als Rettungsanker erscheinen. Doch ausgerechnet jetzt schwenkt man auch bei den Streaming-Diensten zunehmend auf teilweise werbefinanzierte Varianten um. Tatsächlich handelt es sich nicht wirklich um einen Widerspruch: Die Werbekrise hat vor allem die linearen Angebote getroffen, während Werbung im Digitalen weiter wächst, wie die Unternehmen bei der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen unisono Wer also als TV-Konzern seine Werbekunden nicht an Tech-Konzerne verlieren will, tut gut daran, seine digitalen Werbeflächen auszubauen. Deshalb werden die kostenlosen, rein werbefinanzierten FAST-Channels gehypet - und deshalb setzen auch Premium-Streamingdienste verstärkt auf Werbung.

Endgültig salonfähig machte dies der Marktführer Netflix, als er im Frühjahr vergangenen Jahres seine jahrelangen Beteuerungen, keine Werbung im eigenen Angebot zuzulassen, angesichts einer kurzen Wachstumsdelle über Bord warf und innerhalb weniger Monate eine Werbevermarktung und einen teilweise werbefinanzierten und damit günstigeren Einsteigertarif aus dem Boden stampfte. Die stetig wachsende Zahl von Streaming-Angeboten bei gleichzeitig nicht unendlich steigenden Budgets der potenziellen Kunden schien es also auch für den Platzhirsch notwendig zu machen, günstigere Einstiegsangebote zu machen - und es hat offenbar funktioniert, die Wachstumskurve zeigt bei Netflix längst wieder nach oben.

Wer nicht ohnehin schon selbst teils auf Werbefinanzierung setzte, zog in den folgenden Monaten nach - wobei Ausnahmen wie Apple TV+ die Regel bestätigen. Noch in diesem Jahr bringt beispielsweise Disney seinen Einstiegs-Tarif mit Werbung auch nach Deutschland, seit wenigen Wochen hat sich auch das Sky-Angebot Wow ähnlich aufgestellt. Denn bei Netflix hat man schnell gemerkt, dass sich mit dem Werbemodell mehr Geld verdienen lässt als mit dem vorerst weiter angebotenen teureren, aber werbefreien Einsteigertarif.

Werbefreies Streaming wird teurer

Nicht nur deshalb ist der Werbetarif bei den Anbietern so beliebt - er eröffnet zudem die Möglichkeit, höhere Preise für werbefreie Angebote zu verlangen. Wer bisher sein Tarifportfolio nach oben hin diversifizieren wollte, konnte dies nur mit starken Abstrichen bei der technischen Qualität im Einstiegsmodell und entsprechend besserer Bild- und Tonqualität in den teureren Varianten erreichen. Einer der Hauptgründe für ein Upgrade dürfte für viele auch die Möglichkeit mehrerer paralleler Streams gewesen sein.

Diese waren - machen wir uns nichts vor - auch deshalb für viele interessant, weil sich häufig Nachbarn oder Freunde einen Account geteilt haben - was wiederum nicht im Sinne der Anbieter ist. Dazu gleich mehr. Nun ist die Werbefreiheit an sich schon ein Zusatz-Feature, das man sich entsprechend bezahlen lässt. Netflix experimentiert gerade damit, sein bisheriges werbefreies Basis-Abo abzuschaffen. Das würde hierzulande bedeuten, dass die günstigste werbefreie Variante dann schon 12,99 Euro statt 7,99 Euro kostet.

Als Disney seinen werbefinanzierten Tarif in den USA eingeführt hat, erhielt er kurzerhand den Preis des bislang werbefreien Tarifs, während dieser deutlich teurer wurde. Inzwischen wurde für den werbefreien Tarif die nächste Preiserhöhung angekündigt. In Deutschland agiert Disney da im Vorfeld des Werbe-Tarifs zwar vorsichtiger, auch hier wird das Paket mit dem bisherigen Umfang aber teurer. Gleiches lässt sich bei Wow beobachten: Während der Einstiegspreis dank Werbung sinkt, wird das Angebot ohne Werbung teurer. Die Anbieter können die unschöne Schlagzeile der Preiserhöhung damit in einem Pakt mit einem günstigeren Einstiegspreis verkaufen - aus Marketingsicht keine schlechte Idee.

Dem Account-Sharing ist der Kampf angesagt

Wie bereits erwähnt, bieten die teureren Abonnement-Pakete die Möglichkeit, mehrere Streams parallel zu nutzen. Nun gibt es sicherlich die eine oder andere Großfamilie, die vier parallele Streams unter einem Dach benötigt - wahrscheinlicher ist es aber, dass man diese erhöhte Grenze benötigt, wenn man den Account mit anderen Personen außerhalb des eigenen Haushalts teilt. Eine Praxis, die jahrelang gang und gäbe war und von den Anbietern auch geduldet wurde - teilweise wurde sogar damit kokettiert.

Aber auch hier spielt der "Netflix-Schock" - also die im Nachhinein betrachtet wirklich minimale Wachstumsdelle Anfang letzten Jahres - eine Rolle. Damals entschied sich Netflix, gegen Account-Sharing vorzugehen, um das Abo-Wachstum am Laufen zu halten. Nach zaghaften Versuchen in ersten Ländern läuft der weltweite Rollout inzwischen: Wer seinen Account teilen will, kann das weiterhin tun - aber nur gegen eine zusätzliche Gebühr. Umgekehrt wird es bisherigen Account-Sharern leicht gemacht, ihr Profil in einen separaten Account zu überführen.

Die Erfahrungen, die Netflix damit gemacht hat, sind gut. Man hat vielleicht ein paar Kunden verloren, aber unterm Strich ist die Bilanz positiv. Das hat auch die Konkurrenz aufmerksm registriert: Disney-Chef Bob Iger kündigte anlässlich der jüngsten Quartalszahlen an, nun ebenfalls nach Möglichkeiten zu suchen, das Account-Sharing entweder zu verhindern oder zusätzlich zu monetarisieren. Letzteres sei für das Jahr 2024 zu erwarten. Kaum anzunehmen, dass andere Anbieter nicht ähnlich vorgehen werden.

Profitabilität im Blick: Konzerne steigen auf die Kostenbremse

Wachstum, Wachstum, Wachstum - um die Abozahlen zu steigern und zum weit enteilten Marktführer Netflix aufzuschließen, war den Konzernen, die das Streaming-Business zunächst verschlafen hatten, eine Zeit lang nichts zu teuer. Doch der Wind hat sich gedreht - nicht nur, weil das Abo-Wachstum inzwischen begrenzt scheint, sondern auch, weil das traditionelle TV-Geschäft schwächelt. Und dort wurde und wird noch immer das Geld verdient, das die meisten Konzerne im Streaming weiterhin in teils atemberaubendem Tempo verbrennen.

Nun jedenfalls haben es alle eilig, ihr Zukunftsgeschäft Streaming schneller als zunächst geplant in die Gewinnzone zu bringen. Das ist noch ein weiter Weg: Disney etwa machte allein in den drei Monaten April bis Juni in diesem Bereich einen Verlust von 512 Millionen Dollar - was schon eine Halbierung im Vergleich zum Vorjahr war. Bei Paramount Global lag das Minus innerhalb eines Quartals bei 424 Millionen Dollar. Immerhin: Warner Bros Discovery hat schon gezeigt, dass der Break Even schaffbar ist. Aus 518 Millionen Dollar Minus im Vorjahreszeitraum wurden im Frühjahrs-Quartal 2023 -3 Millionen Dollar.

Je mehr die Börse und Analysten nun aber auf die finanziellen Details und weniger die Abo-Entwicklung blicken, desto mehr werden die Konzerne auch überlegen müssen, welche und wie viele Produktionen sie sich wirklich leisten können. Angesichts der schier unübersichtlichen Zahl an Serien, die in den letzten Jahren produziert wurden, muss etwas mehr Augenmaß aber auch fürs Publikum nicht zwangsweise eine schlechte Nachricht sein.

Die Mauern fallen: Man muss nicht alles für immer exklusiv behalten

Noch so ein Paradigma der letzten Jahre, das mit Blick aufs Geld nun fällt, ist der Trend, am liebsten Inhalte nur noch für den eigenen Streamingdienst zu produzieren, diese dann weltweit selbst auszuwerten und dauerhaft im eigenen Angebot zu behalten. Damit schnitten sich die US-Konzerne zwei in der Vergangenheit sehr lukrative Einnahmequellen ab: Die Lizenzierung an fremde Streaming-Plattformen auf dem Heimatmarkt - viele CW-Serien wurden erst durch einen umfangreichen Netflix-Deal überhaupt möglich. Und die internationale Vermarktung, etwa auf dem wichtigen deutschen Markt.

Doch nun hat man offenbar mal nachgerechnet und dabei festgestellt, dass es nicht nur keine weiteren Einnahmen bringt, wenn einmal produzierte Serien dauerhaft über den eigenen Dienst abrufbar sind, sondern im Gegenteil sogar noch Kosten verursacht. Hier war Warner Bros. Discovery Vorreiter, dort verschwanden etliche ältere HBO-Produktionen plötzlich aus dem Angebot und tauchten stattdessen etwa bei werbefinanzierten FAST-Channels wieder auf - oder neuerdings auch bei Netflix. Ähnliche Deals dürfte man künftig häufiger sehen. Auch RTL-Chef Thomas Rabe wusste beim jüngsten Pressegespräch zu den Quartalszahlen zu berichten, dass man nun wieder auf eine verhandlungsbereitere US-Seite trifft, was die Lizenzierung von Inhalten in Deutschland angeht.

Gemeinsam sind wir stärker: Bundling-Angebote im Kommen

Es ist auch eine Reaktion darauf, dass es nunmal gar nicht so leicht ist, eine ausreichend große Nutzerbasis fürs eigene Angebot zu gewinnen, zumal wenn die potentielle Kundschaft ja schon diverse andere Streamingdienste abonniert hat. Eine andere Lösung dafür heißt: Bundling - also die Bündelung verschiedener Angebote, beispielsweise durch einen Dritt-Dienstleister, der dann alles aus einer Hand anbietet.

Ein Paradebeispiel dafür ist die Zusammenarbeit von Magenta TV und RTL+. Es ist zwar nicht ganz klar, wieviele der knapp 4,5 Millionen Kundinnen und Kunden von RTL+ hierzulande deswegen den Streaming-Dienst empfangen, weil er im Normalfall bei Magenta TV gleich inklusive ist. Doch RTL weist jedes Quartal wieder darauf hin, dass diese Zusammenarbeit ein entscheidender Faktor für das Wachstum war. Hier ist die Kooperation besonders eng, aber dass man Streamingdienste im Bündel mit anderen Angeboten deutlich günstiger bekommt, als wenn man sie einzeln abonniert, lässt sich längst überall beobachten.

Da sich so die Kosten für die Neukundengewinnung deutlich senken lassen, dürfte es für viele Streaming-Anbieter trotz der geringeren monatlichen Einnahmen ein lukratives Geschäft sein, wie auch Paramount-Boss Bob Bakish bestätigte und den Ausbau von Bundling-Angeboten in Aussicht stellte. Und obendrein läuft man bei einem Kunden, der gleich mehrere Angebote gemeinsam gebucht hat, weniger Gefahr, dass er angesichts sonst meist monatlicher Kündbarkeit zur On-Off-Beziehung zu seinem Streamingdienst neigt und nur dann an Bord bleibt, wenn er gerade eine Serie unbedingt sehen will.

Kostenfreie Probemonate gehören der Vergangenheit an

Wer hier besonders aufmerksam war, konnte sich in der Vergangenheit ziemlich gut mit kostenlosen Probemonaten bei den unterschiedlichen Anbietern durchhangeln - schließlich ermöglichte das Modell, alle Serienfolgen auf einen Schlag zu veröffentlichen, die gewünschte(n) Serie(n) problemlos innerhalb des kostenfreien Monats zu bingen.

Dieses Anbieter-Hopping kann angesichts der Vielzahl der Angebote noch immer ein für Kundinnen und Kunden durchaus lukratives Modell sein - allerdings kommen sie in der Regel nicht drum herum, etwas zu bezahlen. Die früher üblichen kostenfreien Probemonate zu Beginn sind nämlich bei den meisten Anbietern entweder drastisch auf eine Probewoche geschrumpft oder gleich ganz abgeschafft worden. Auch in diesem Detail zeigt sich also: Mit Streaming muss endlich Geld verdient werden - und zwar angesichts der Entwicklung des linearen Fernsehens eher früher als später.