In Fred Kogels Kalender ist der 1. Oktober dick angestrichen. An diesem Tag wird der Leonine-Boss nach Zürich fahren, um beim dortigen Filmfestival den "Game Changer Award" entgegenzunehmen. Kogel sei ein "inspirierender und visionärer Unternehmer", der dafür sorge, dass deutsche Produktionen auch international wahrgenommen werden, begründen die Schweizer ihre Preisträgerwahl. Mit Leonine habe er "von Grund auf eine neue Entertainment-Firma fürs digitale Zeitalter aufgebaut, welche unter einem Dach die spannendsten Künstler und erfolgreichsten Produzenten" versammle. Ein Jahr der Ehrungen für den vier Jahre jungen Konzern, nachdem im Mai in Cannes bereits das US-Fachblatt "Variety" seinen "International Achievement in Film Award" überreicht hatte.

Das kommt nicht von ungefähr. In vergleichsweise kurzer Zeit ist mit Finanzierung durch den US-Investor KKR ein Produktions- und Vertriebskonglomerat entstanden, das den heimischen Wettbewerb deklassiert hat. Bei der Gesamtleistung, in der neben den Umsatzerlösen noch nicht fertiggestellte Eigenproduktionen sowie entwickelte Stoffe ausgewiesen werden, liegt Leonine seit 2021 oberhalb der 400-Millionen-Euro-Marke und wird diese im laufenden Jahr wohl erstmals auch beim reinen Umsatz überschreiten. Als Nummer zwei im Markt ist Kogels früherer Arbeitgeber Constantin Film gut 50 Millionen davon entfernt.

Doch nicht nur die schiere Größe steht auf der Habenseite. Mit seinem Dreiklang aus Produktion, Distribution und Lizenzgeschäft verfügt Leonine über eine eingebaute Stabilität, die in konjunkturell stürmischen Zeiten hilft. Die Entwicklung von Umsatz und EBITDA im Licensing- und Distributionsgeschäft verlaufe positiv, teilt Kogel auf DWDL.de-Anfrage mit. "Unter der Annahme eines weiterhin erfolgreichen Kinogeschäfts gehen wir aktuell davon aus, unsere Ziele für 2023 in allen Produktbereichen zu übertreffen. Die sukzessive Normalisierung des Kinogeschäfts und unser starkes Kino-Slate mit Titeln wie 'John Wick: Kapitel 4', 'Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds & Snakes', 'Wochenendrebellen' und 'Girl You Know It's True' unterstützen diese erfreuliche Entwicklung."

Leonine Studios auf einen Blick

  • Vorjahresumsatz: ca. 390 Millionen Euro

  • Geschäftsführung: Fred Kogel (CEO), Quirin Berg, Sarah Fischer, Joachim Scheuenpflug, Max Wiedemann, Bernhard zu Castell

  • Gesellschafter: KKR, Mediawan Alliance, Management

  • Produktionsfirmen: Gebrüder Beetz Filmproduktion, Hyperbole Medien, i&u TV, Madame Zheng Production, Odeon Fiction, SEO Entertainment, W&B Television, Wiedemann & Berg Film

  • Produktionen 2023: Denn sie wissen nicht, was passiert (RTL); Die Teddy Teclebrhan Show (Prime Video); Eine Billion Dollar (Paramount+); Feuer & Flamme (WDR); Juan Carlos – Liebe, Geld, Verrat (Sky); Last Exit Schinkenstraße (Prime Video); Spieleabend (Netflix)

Umgekehrt erwarte man im Produktionssektor Umsätze und EBITDA unter Plan und spüre dort den "wirtschaftlichen Druck über das gesamte Kunden-Portfolio". Kogels Erklärung: "Stagnierende Abonnentenzahlen und damit einhergehend veränderte Strategien sowie sinkende Werbeeinnahmen führen – ungeachtet inflationsbedingt höherer Kosten – zu weiter steigendem Preisdruck auf die Produktionsbudgets über alles Genres." Dennoch kommt der Leonine-Lenker unterm Strich zu einem positiven Ausblick: "Auch in diesem Jahr bewährt sich unser diversifiziertes Geschäftsmodell und ermöglicht, vorübergehende Schwächen in einzelnen Bereichen über die gesamte Unternehmensgruppe hinweg auszugleichen. Aktuell gehen wir für die Leonine-Gruppe von einer Steigerung im mittleren einstelligen Bereich für Umsatz und EBITDA gegenüber 2022 aus."

Der Schwächenausgleich, von dem Kogel spricht, funktioniert nun also in eine andere Richtung als zuvor. In der Vorjahresanalyse des Konzerns konstatierte DWDL.de noch mit Blick auf andauernde Corona-Auswirkungen: "Während Kino- und Werbeerlöse spürbar absackten, schossen die digitalen Home-Entertainment-Umsätze in die Höhe und die Produktionserträge verzweieinhalbfachten sich." Dieses Jahr hat sich die allgemeine Marktlage bekanntlich gedreht: Kino ist wieder stärker, dafür sind TV und Streaming eingebrochen. Ohne die bestehende Aufsplittung der Erlöse – rund die Hälfte aus der Produktion, je ein Viertel aus Licensing und Distribution – wäre Leonine weitaus anfälliger. Als das Unternehmen 2019 an den Start ging, war es branchenweit eher angesagt, infolge des Streaming-Booms voll auf Produktion zu setzen.

So arbeitet Leonine mit KI

  • CEO Fred Kogel: "Wir planen, unsere KI-Aktivitäten in einer zentralen Unternehmens-Unit zu bündeln, um alle KI-Projekte und Anwendungsmöglichkeiten koordiniert zu analysieren und zu implementieren." Aktuell erprobt Leonine bei einigen Titeln Zielgruppen- und Positionierungsanalysen via KI, die bei der datenbasierten Optimierung von Marketingstrategien und Kampagnen helfen sollen. Im Lizenzeinkauf laufen Testprojekte, um zu evaluieren, inwiefern KI die Bewertung und Auswahl von Filmen unterstützen kann. In der Technik experimentiert man mit Bildanpassungen bei der Erstellung von Synchronfassungen. Andere Abteilungen haben ChatGPT, Midjourney und Adobe Firefly in ihre Arbeitsprozesse integriert.

Während das Geschäftsjahr 2022 mit den Übernahmen der Produktionsfirmen Gebrüder Beetz und Hyperbole Medien sowie der Beteiligung am Animationsstudio Toon2Tango noch stark unter dem Eindruck der M&A-Tätigkeit stand, hat Leonine im laufenden Jahr bislang keine Akquisition zu vermelden. Dafür wurden allerdings an mehreren Stellen die Geschäftsbeziehungen zu wichtigen Hollywood-Partnern intensiviert und damit die Versorgungspipeline aufgefüllt. Ab Oktober übernimmt Leonine Vetrieb und Marketing sämtlicher physischer Home-Entertainment-Produkte der Walt Disney Company in Deutschland, Österreich und der Schweiz, beginnend mit den DVDs und Blu-rays von "Arielle, die Meerjungfrau" und "Guardians of the Galaxy Vol. 3". Disney selbst steigt aus dem Vetrieb aus. Mit dem renommierten Independent-Studio A24 wiederum hat Leonine ein gemeinsames Label gegründet, das an die Zusammenarbeit beim Oscar-Abräumer "Everything Everywhere All at Once" anknüpfen soll.

Die Kehrseite der Abhängigkeit vom Kinogeschäft zeigt sich derweil beim aktuellen Blick nach Hollywood: Dauern die Streiks der Drehbuchautoren und Schauspieler noch länger an, kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verschiebungen und Ausfällen. Die mittel- bis langfristigen Folgen seien "im Augenblick noch nicht kalkulierbar", sagt Kogel. Als Verleih könne man davon betroffen sein, dass die Filmstudios "ihre Promotion-Kampagnen nicht wie geplant umsetzen können und die Filme deshalb erst nach dem Streik in den Kinos starten". Die Fertigstellung von Filmen, die Leonine für seinen 2025er Slate vorgesehen hat, könne sich unter Umständen verschieben und "unsere Umsatzplanung im Jahr 2025 gegebenenfalls beeinflussen".

Andererseits sieht Kogel als Folge des Streiks auch "neue Chancen im Bereich Kofinanzierung, wenn US-Produzenten in europäische Produktionen investieren und verstärkt auf europäisches Talent zurückgreifen". Ein Kandidat, der davon profitieren könnte, ist der von Wiedemann & Berg Film produzierte Spielfilm "Girl You Know It's True", in dem Simon Verhoeven die tragische Geschichte des Popduos Milli Vanilli erzählt – mit Matthias Schweighöfer als Frank Farian. Hierzulande kommt er zu Weihnachten ins Kino, Leonine beginnt bald mit dem internationalen Verkauf. Zudem will der CEO die Zahl deutscher Kinofilme "in unserem Slate erhöhen".

Monsieur © Beautiful Minds Media "Der Profi": Kogel auf dem Cover des Männermagazins "Monsieur"
Es war mutmaßlich der Rückenwind trotz herausfordernder Zeiten, der Kogel einen seiner selten gewordenen Personality-Ausflüge ins Lifestyle-Umfeld antreten ließ. Körperbetont im dunkelblauen T-Shirt, die Unterarm-Tribals zur Kamera gedreht, posierte er fürs Cover der Sommerausgabe von Petra Winters "Monsieur"-Magazin. Headline: "Der Profi". Im Innern erfuhren die Leser, dass der 62-jährige Manager nur noch 30 statt 44 Kilometer pro Woche läuft und mit seinen acht- und elfjährigen Söhnen Taekwondo trainiert ("Da tanke ich Kraft"). Daneben blieb noch genug Raum, um im Interview einen Reformvorschlag für ARD und ZDF zu platzieren: Deren betriebliche Altersversorgung fresse einen Teil der Programmfinanzierung auf, dafür müsse man sich eine Lösung überlegen. "Effizient wäre", so der einstige ZDF-Unterhaltungschef, "die Länder würden den Sendern diese Bürde abnehmen. Dann wäre wieder Geld da." Um das PR-Glück vollkommen zu machen, zitierte "Monsieur" auch noch Lob von der Konkurrenz: Es gebe wenige Leute in der Branche, mit denen er einen so ehrlichen und offenen Austausch habe, gab UFA-Chef Nico Hofmann zu Protokoll. "Was Fred auszeichnet, ist eine unglaubliche Geradlinigkeit."